7. Mai 2021: Neun Jahre "Kölner Urteil"

Vielfältiges Onlineprogramm zum weltweiten Tag der genitalen Selbstbestimmung

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Wie im letzten Jahr findet der WWDOGA aufgrund der Corona-Pandemie online statt.

Morgen jährt sich die Verkündung des "Kölner Urteils" zum neunten Mal. Dieses hatte 2012 auch Jungen das Recht auf genitale Selbstbestimmung zugesprochen, indem es eine medizinisch nicht indizierte Vorhautentfernung ("Beschneidung") eines Jungen als eine strafbare Körperverletzung bewertete. Inzwischen ist der 7. Mai längst weltweit als "Wolrdwide Day of Genital Autonomy" (WWDOGA) zu einem Symbol für die Selbstbestimmungsrechte des Kindes unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion und Tradition geworden. Anlässlich dieses Tages findet ein ganztägiges Live-Online-Event von 9:30 Uhr bis 21:30 Uhr auf YouTube und Facebook statt, zu dem ein breites Aktionsbündnis aufruft.

Inhaltlicher Schwerpunkt in diesem Jahr sind die weltweiten Gesetzeslagen. Es gibt global sehr unterschiedliche Rechtssituationen für nicht-therapeutische operative Eingriffe und Normierungen an Genitalien von Kindern und Jugendlichen. In der WWDOGA-Statistik 2021 werden sie erstmalig für alle Kinder gesammelt und kontinuierlich erweitert und aktualisiert.
Was besagen die Gesetze? Wen berücksichtigen sie – und wen nicht? Und selbst wenn es überhaupt kein Gesetz gibt: Wie ist das zu interpretieren?
Wir laden ein, darüber im Sinne universellen Kinderschutzes zu diskutieren.

Wann sind Mädchen endlich geschützt?

Laut WHO beschreibt der Begriff der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) alle Praktiken, bei denen die äußeren weiblichen Genitalien teilweise oder vollständig entfernt werden sowie alle sonstigen medizinisch nicht begründeten Verletzungen am weiblichen Genital. Abhängig von Motiven und Art der Beschneidung führt der Eingriff für die Betroffenen zu unterschiedlich starken gesundheitlichen, physischen, sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Die Praktik ist in jeglicher Form international als schwere Menschenrechtsverletzung anerkannt und wird dennoch weltweit praktiziert: Sowohl in 29 Ländern in Sub-Sahara-Afrika sowie in Süd-, Südost- und Zentralasien als auch in Europa, den USA und Kanada. Besonders in Asien nehmen durch medizinisches Personal ausgeführte Formen zu, die immer wieder in Forderungen nach einer rechtlichen Duldung münden – was eindeutig der WHO widerspräche.

Auch Jungen gehört ihr Genital allein

Der eigentlich verharmlosende Begriff "Beschneidung" steht bei Jungen für die Amputation (lateinisch: amputare – "ringsherum abschneiden") der Vorhaut, die den Verlust von durchschnittlich 50 Prozent der gesamten Penishaut und des für sexuelle Empfindungen sensibelsten Teils mit sich bringt und die natürliche Physiologie des Penis sowie dessen Erscheinungsbild irreversibel verändert. Komplikationen sowie physische und psychische Spätfolgen sind zunehmend dokumentiert.

Erkrankungen der Vorhaut machen nur in seltenen Fällen eine Vorhautentfernung medizinisch unumgänglich. Eine beschwerdefreie Vorhautenge im Kindes- und Jugendalter ist keine Krankheit. Oft weitet sich die Vorhaut erst in der Pubertät. Bei tatsächlichen Beschwerden helfen in den meisten Fällen nichtoperative Therapien.

Leiden und Traumata von Intersex-Kindern durch Genital-OPs ohne eigene Einwilligung

Ein bis zwei von 1.000 Kindern werden mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen geboren. Es kommt immer wieder zu frühen Genitaloperationen mit geschlechtsbestimmendem Charakter und zu Hormonbehandlungen vor der Einwilligungsfähigkeit. Die Betroffenen haben später das Gefühl abnorm zu sein und sind in ihrer körperlichen Unversehrtheit ungefragt übergangen worden.

Logo des "Wolrdwide Day of Genital Autonomy"
Logo des "Wolrdwide Day of Genital Autonomy"

Alle pädiatrischen Verbände in Deutschland empfehlen inzwischen, diese Maßnahmen nur noch in einem Alter vorzunehmen, in dem die betroffene Person einwilligungsfähig ist. Auch international bewegt sich die fachliche Diskussion teilweise in diese Richtung. Körperliche Integrität und Selbstbestimmung müssen aber vielerorts noch in die Wirklichkeit der Praxis integriert werden. Seit 20 Jahren protestieren Betroffene öffentlich gegen diese Operationen, die sie als fundamentale Menschenrechtsverletzung, Genitalverstümmelung, als traumatisierend und zerstörerisch für das sexuelle Empfinden beschreiben. Vorwürfe, die auch durch Menschenrechtsgremien wie den UN-Kinderrechtsausschuss bekräftigt werden.

Diskriminierung von transsexuellen Menschen

Trans*-Menschen möchten häufig ihre körperlichen Merkmale durch eine Operation an ihr wahres Geschlecht angleichen. Soll aus einem Penis eine Vulva gebildet werden, fehlt ohne die Vorhaut ideales Gewebe in erheblichem Ausmaß.

Das Kölner Urteil

Am 7. Mai 2012 bewertete das Kölner Landgericht eine medizinisch nicht indizierte "Beschneidung" an einem nicht einwilligungsfähigen Jungen als rechtswidrig. Dies war nur folgerichtig, denn auch Kindern standen in Deutschland die Rechte auf körperliche Unversehrtheit und gewaltfreie Erziehung zu. Warum hätten diese Rechte gerade vor dem Intimbereich haltmachen sollen, und dann auch noch exklusiv nur vor dem von Jungen?

Der Deutsche Bundestag entschied am 12. Dezember 2012 als Reaktion auf das Kölner Urteil in einem Hauruckverfahren, dass Eltern aus jeglichem Grunde in eine "Beschneidung" ihrer Söhne einwilligen können. Ein Widerspruch zu sämtlichem übrigen gesetzlichen Schutz von Kindern und gleich ein mehrfacher Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention.

Hass und Menschenfeindlichkeit: Bei uns keine Chance!

Wir fordern alle Protestierenden auf, sich deutlich von Pauschalisierungen und Menschenhass zu distanzieren und immer wieder deutlich zu machen, dass es nur um das Wohl, die körperliche Unversehrtheit und das Recht des Kindes auf Selbstbestimmung gehen kann.

Der "Weltweite Tag der genitalen Selbstbestimmung" fordert:

  • Einhaltung und Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention Artikel 2 (Schutz vor Diskriminierung), Artikel 3 (Vorrang des Kindeswohls) und Artikel 24, Absatz 3 (Abschaffung schädlicher Bräuche).

  • Gesetzesinitiativen weltweit, die den Schutz aller Kinder unabhängig vom Geschlecht vor nicht-therapeutischen Genitaloperationen vorsehen.
  • Schutz von Kindern mit atypischen körperlichen Geschlechtsmerkmalen vor medizinisch nicht notwendigen Genitaloperationen und weiteren Eingriffen.
  • Sofortiger Stopp der Massenbeschneidungen von Jungen im Rahmen angeblicher HIV-Prävention in afrikanischen Ländern.
  • Öffentliche Forschung und Aufklärung zu den Folgen von nicht-therapeutischen Genitaloperationen an Kindern in ihren unterschiedlichen Formen und sozialen Kontexten.

Zum "Wolrdwide Day of Genital Autonomy" ruft ein breites Bündnis aus 71 nationalen und internationalen Organisationen auf (die komplette Liste findet sich hier). Den aktuellen Stand des Sendeplans des Live-Online-Events finden Sie hier. Eine Teilnahme ist über YouTube und Facebook möglich.

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