Nachruf auf Volker Panzer

Ein wunderbarer Mensch

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Volker Panzer, 31.05.1947 - 13.08.2020
Volker Panzer, 31.05.1947 - 13.08.2020

Volker Panzer, der Erfinder und Moderator des legendären "ZDF-Nachtstudios", ist tot. Der 1947 geborene Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung und Herausgeber des Humanistischen Pressedienstes starb am Donnerstagmorgen im Alter von 73 Jahren in seiner Wohnung in Berlin. Michael Schmidt-Salomon erinnert an einen guten Freund und Stiftungskollegen.

Wohl niemand hat mich so oft um den Schlaf gebracht wie Volker Panzer – und dies, obwohl ich ihn anfangs gar nicht einmal persönlich kannte! Wenn ich mich recht erinnerte, sah ich ihn erstmals in der "ZDF-Nachtstudio"-Sendung vom 22.10.1997, als Ernst Pöppel, Friedrich Cramer und Josef H. Reichholf über die Frage "Wie schnell sind wir wirklich? – Vom Urknall ins Internet" diskutierten. Von da an war es um mich geschehen: Woche für Woche schaltete ich fast zwanghaft in der Nacht von Sonntag auf Montag die Sendung von Volker Panzer an – und wunderte mich mehr und mehr über diesen außergewöhnlichen Moderator, der sich mit seinen Gästen ebenso geistreich über Gentechnik, Quantenphysik, Hirnforschung, Ökologie, Geschichte oder Künstliche Intelligenz unterhalten konnte wie über Mode, Musik, Literatur, Filme oder die "Weltanschauung Fußball".

Das Erstaunliche war: Obwohl manche dieser Sendungen Themen behandelten, die mich auf Anhieb gar nicht interessierten, habe ich mich niemals gelangweilt, was sicherlich auch daran lag, dass sich vor Volkers "virtuellem Kamin", der unablässig auf einem Bildschirm im Hintergrund loderte, das Who’s Who aus Kunst und Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft versammelte. Dass es möglich war, eine solche Sendung fernab des Mainstreams über 15 Jahre hinweg zu produzieren, war wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass sich Volker durch frühere Meriten (u.a. als Mitarbeiter von "aspekte" und "Terra X" sowie als Redaktionsleiter des Ressorts "Kultur und Gesellschaft" beim ZDF), eine gewisse "Narrenfreiheit" erkämpft hatte. Noch entscheidender war aber sicherlich, dass die Einschaltquoten in 430 Folgen mit 2500 Gästen (!) trotz aller Unkenrufe niemals abrutschten! Mit diesem dauerhaften Erfolg hatte wohl niemand ernsthaft gerechnet – mit Ausnahme vielleicht von Volker Panzer selbst.

Volker hat das Unmögliche möglich gemacht: Ein derart intellektuelles Format wie das "nachtstudio" hat es nie zuvor im deutschen Fernsehen gegeben – und wird es vermutlich auch in Zukunft nicht wieder geben! Mein einziges Problem mit dieser großartigen Sendereihe war, dass sie mir allzu oft den Schlaf raubte – nicht nur, weil sie so spät ausgestrahlt wurde, sondern auch, weil ich mitunter bis in die Morgenstunden nicht aufhören konnte, über die Argumente der Sendung nachzudenken. Als ich im August 2007 erstmals selbst ins "nachtstudio" eingeladen wurde (in eine Sendung mit Seyran Ates, Jean Ziegler und Heiner Geißler über "Strategien der Weltverbesserung"), warf ich Volker augenzwinkernd vor, schuld daran zu sein, dass ich seit 10 Jahren (!) montagsmorgens kaum noch zu gebrauchen sei. Er setzte daraufhin sein breitestes Lächeln auf und sagte: "Das wundert mich nicht! Denn wie heißt es so schön bei Heinrich Heine? Denk‘ ich an Panzer in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht!"

Botschafter eines sanften, epikureischen Humanismus

Um humorvolle Kommentare war Volker niemals verlegen. So richtig in Fahrt kam er oft erst nach der Sendung, wenn es mit dem Team und den Gästen zu seinem Lieblingsitaliener ging, wo bei gutem Essen und gutem Wein (oft auch etwas zu viel gutem Wein!) ausgiebig über "Gott und die Welt" diskutiert wurde. Allein schon wegen diesen wunderbar epikureischen "nachtstudio"-Nachfeiern bin ich dankbar dafür, dass ich in den Jahren 2007-2012 fünfmal das Vergnügen hatte, an der Sendung mitwirken zu dürfen.

2011, als sich abzeichnete, dass mit Volkers Pensionierung das "nachtstudio" komplett eingestellt würde (die letzte Live-Sendung wurde im Juni 2012 ausgestrahlt), nahmen wir ihn in den Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung auf. Er selbst hätte diesen Schritt schon deutlich früher vollzogen, nämlich bereits 2007 nach unserer zweiten gemeinsamen Sendung mit dem passenden Titel "Ist Gott nur eine Wahnvorstellung?" Doch ich riet davon ab, weil ein Moderator vom Publikum als "moderat" wahrgenommen werden sollte – und die gbs damals (fälschlicherweise) im Ruf stand, eine Organisation "militanter Atheisten" zu sein.

Volker selbst war alles andere als ein "militanter Atheist" – obwohl er in seiner Kindheit und Jugend einiges Leid in christlichen Bildungsanstalten erfahren hatte. Er war zu warmherzig, zu humorvoll und zu entspannt, um mit "Schaum vor dem Mund" gegen Andersdenkende vorzugehen. Dies machte ihn zum idealen Botschafter eines sanften, epikureischen Humanismus (siehe hierzu auch den 2013 erschienenen Gesprächsband "Glück ist etwas ganz Kleines"), was ihn in die Lage versetzte, selbst zwischen heftigst verfeindeten Lagern vermitteln zu können. Für die "säkulare Szene" im Allgemeinen und die gbs im Besonderen war es natürlich ein echter Glücksfall, dass Volker nach dem "nachtstudio"-Ende 2012 deutlich mehr Zeit hatte, um sich bei uns einzubringen: So moderierte er neben vielem anderen die "Kritische Islamkonferenz 2013", übernahm die Herausgeberschaft des Humanistischen Pressedienstes (hpd) und engagierte sich in der Kampagne "Mein Ende gehört mir – Für das Recht auf Letzte Hilfe".

Letzte Worte

Als Volker vor Jahren von dem Magazin "Cicero" gefragt wurde, was er tun würde, wenn er wüsste, dass er nur noch 24 Stunden zu leben habe, lautete seine Antwort: Zunächst einmal würde er gut recherchieren, ob das wirklich stimmt. Falls ja, würde er sich erstens LSD besorgen, weil er das noch nie ausprobiert hat, zweitens gutes Essen und guten Wein bei seinen drei Lieblingsitalienern bestellen und drittens Freunde und Verwandte zu einer großen Abschiedsparty einladen. Die abschließenden Sätze des Artikels waren "typisch Volker": "Finanziell würde ich gar nichts regeln, auch keine Grabstätte auswählen, das sollen andere für mich tun. Nur die Italiener, die würde ich sofort bar bezahlen."

2018, als wir uns das letzte Mal am Stiftungssitz trafen, wirkte Volker ungewöhnlich still und in sich gekehrt. Sein Zustand machte mir Sorgen. Leider bestätigten sich diese Befürchtungen kurze Zeit später, als Volker einen Schlaganfall erlitt, von dem er sich nie wieder erholen sollte. Er konnte kaum noch sprechen oder schreiben. Direkte Treffen waren aufgrund der räumlichen Distanz ausgeschlossen. Das Ganze war hart, brutal und unfair – so, wie das Leben leider mitunter auch sein kann: Ausgerechnet Volker, der große Kommunikator, der so vielen Wissenschaftlern und Kulturschaffenden ein Forum für ihre Ideen geboten hatte, fand nun keinen Weg mehr, seine eigenen Gedanken und Empfindungen mit der Außenwelt zu teilen! Wie sehr ihn dies getroffen hat, verrät der (mit fremder Hilfe ermöglichte) letzte Blogeintrag auf seiner Website, der mich, wie sicherlich viele seiner Freundinnen und Freunde, zutiefst erschüttert hat. Ein Trost ist immerhin, dass er zuhause im Kreis seiner Liebsten "mit Blick in den Sonnenaufgang" sterben konnte, wie seine Frau gestern über Volkers Facebook-Seite mitteilte.

Im "ZDF-Nachtstudio" gab es ein wiederkehrendes Element, nämlich "Das letzte Wort", mit dem Volker die Sendung mit einem geistreichen, oft überraschend-witzigem Zitat abrundete. Das "letzte Wort" hatte er auch in einem Video, das 2016 zum 10-jährigen Bestehen des Humanistischen Pressedienstes produziert wurde. Lachend führte er aus, dass sich die Reichweite des hpd seit seiner Gründung immer weiter erhöht habe und er sich irgendwann "so weit ausgedehnt haben wird, dass alle Menschen auf der Welt ihn lesen!" Ich finde, dass dieses kurze, schalkhafte, spontan improvisierte Statement perfekt zum Ausdruck bringt, was Volker als Person auszeichnete. Als ich diese Sequenz 2016 das erste Mal sah, zauberte sie ein Lächeln in mein Gesicht. Heute löst sie bei mir Wehmut aus, denn sie offenbart in aller Deutlichkeit, was für einen wunderbaren Menschen wir für immer verloren haben.

Michael Schmidt-Salomon

Erstveröffentlichung auf der Webseite der Giordano Bruno Stiftung.

Siehe auch: Volker Panzer: "Leben ohne Gott – und dennoch ein glücklicher Mensch sein" - der Artikel entstand im Rahmen der hpd-Themenwoche Nicht-Glauben