hpd Themenwoche Nicht-Glauben

Volker Panzer: "Leben ohne Gott – und dennoch ein glücklicher Mensch sein"

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Das Nicht-Glauben hat viele Gesichter. Im Rahmen der hpd Themenwoche Nicht-Glauben zeigen wir einige davon. Hier: Volker Panzer.

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"Oster Behn, Oster Behn, Ohne Glaubenster Behn ist des Menschen Verder Behn" Was haben wir darüber gelacht, als Kinder im katholischen Saarland: Oh Sterben, oh Sterben, ohne Glauben sterben ist des Menschen Verderben. Aber das war es auch schon.

Ansonsten war der Glaube nicht zum Amüsieren da, denn es herrschte ein strenges Regiment. Gelobt sei Jesus Christus. In Ewigkeit amen. In Demut und Reue bekenne ich meine Sünden. Ich habe Vater und Mutter nicht geehrt, ich war unachtsam in der heiligen Messe und? Fragt der Pastor?

Und ich habe Unkeuschheit getrieben: allein. Wie oft? Und dann wollte er Einzelheiten wissen… Du weißt, sagt der Pastor, dass du dafür in die ewige Verdammnis kommst, wenn du stirbst. Zehnmal "Gegrüßest seist du Maria". Ego te absolvo usw.

Das war so in meiner Kindheit. Da musste der 12 jährige Bub, der Aushilfsmessdiener war, mindestens einmal im Monat zur Ohren-Beichte, wie alle seines Jahrgangs, in dem katholischen Dorf im Saarland. Und bei mir war es besonders schlimm, denn ich war Frucht einer Mischehe: mein Vater stammte aus Pommern und war evangelisch und stand mehr oder weniger unter strenger Beobachtung.

Das alles ist lange her. Aber, dass einen heute - nach fast 60 Jahren - der ritualisierte Sündenerlass immer noch im Kopf herum spuckt, kann man vielleicht mit zwei Begriffen beschreiben: Angst vor der ewigen Verdammnis in der Hölle und Rettung in letzter Minute. Wir Katholiken damals lebten in einer ständigen Hab-Acht-Stellung: Angst vor der Hölle hatten wir alle, aber in den Himmel wollte ich auch nicht, denn - und das legte schon früh den Keim des Nichtglaubens in mein Herz: Im Himmel gibt es ja gar keine Tiere, das kann also nur langweilig sein und als ich das einmal im Religionsunterricht zur Sprache brachte wurde ich angeschriien: "Tiere haben keine unsterbliche Seele".

Und noch etwas blieb mir in Erinnerung an diese Zeit: der Umstand nämlich, dass alle Gläubigen – in meinem Fall – Katholiken zwar inbrünstig glaubten: An Gott, seinen eingeborenen Sohn, den heiligen Geist etc. etc., aber nicht in allen Lebenslagen. Von heute aus gesehen scheint es mir, als haben Christen eine Art: Fuzzy logic eingebaut, fünfe mal gerade sein zu lassen oder bösartiger ausgedrückt: alle Gläubigen heucheln. Weil es wirklich schwer ist, ein rundum gottgefälliges Leben zu führen, werden wissenschaftliche Erkenntnisse einfach ausgeblendet oder das Glaubensbekenntnis mutiert zur Folklore.

Deshalb möchte ich den Spieß einmal umdrehen und fragen: warum muss sich die auf Wissenschaft begründete Vernunft erklären und der Glaube nicht?

Warum werden im Namen des Glaubens – und hier zähle ich auch die weltlichen totalitären Glaubensgehäuse hinzu – Verbrechen aller Art begangen immer im Bewusstsein des rechten Glaubens zu sein und warum kann ich mich mit meinem optimistischen Glauben an das Gute in der menschlichen Entwicklung nur negativ definieren als Atheist, als Agnostiker oder als Ungläubiger?

Es ist doch immer noch so, dass es sobald ich mich als Ungläubiger oute - in muslimischen Ländern, sollte das tunlichst vermieden werden, es ist viel zu gefährlich – ich wie ein Sonderling betrachtet werde: Es ist so als hätte ich eine eklige eiternde ansteckende Krankheit eingestanden. So einer bringt doch nur alles durcheinander.

Dabei sind wir doch mal ehrlich.

Glaubt wirklich jemand, wortwörtlich, was im christlichen Glaubensbekenntnis steht: Schöpfer des Himmels und der Erde, hinabgestiegen in das Reich des Todes, aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich frage: das jüngste Gericht, eine Art himmlicher Volksgerichtshof. Jesus eine Art Josef Mengele? Das kann doch nicht sein. Ja, sagen dann die Schriftgelehrten, so wörtlich darf man die alten Texte (das Glaubensbekenntnis stammt aus dem 4 Jhd.) nicht nehmen, sondern muss sie den jeweiligen Gegenwarten anpassen. Aha. Warum braucht man sie dann überhaupt?

Das 21. Jahrhundert begann mit einer religiösen Kriegserklärung an die Welt. Seit dem 11. September 2001 sei nichts mehr so wie es einmal war, wird gesagt und der Philosoph Jürgen Habermas raunte, eine religiöse Saite in uns sei ins Schwingen gekommen. Auch bei religiös unmusikalischen Menschen. Also bei mir kam nichts in Schwingen. Im Gegenteil der Massenmord und der anschließende Kampf gegen den Terror – auch im Namen des Glaubens - haben nur wieder deutlich gemacht, dass es mehr räsonierende Vernunft auf dieser Welt geben muss und keine Versöhnung in irgendeinem Jenseits. Ich jedenfalls bin gegen jedes Gottes-Soldatentum

Die Massenmörder von New York, Paris und Brüssel, Berlin und London werden keine 72 Jungfrauen im Paradies treffen, allerdings auch die Opfer werden nicht in den Himmel kommen, denn der Himmel ist leer.

Was zurückbleibt ist die Trauer und das Mitleid mit den Irrgläubigen, denn: Gott ist nicht tot, wie Friedrich Nietzsches berühmtester Satz lautet, der den Philosophen überlebt hat, sondern: Er wurde nie geboren. Gott ist eine Fiktion, eine Projektion oder wie es Niklas Luhmann unübertroffen formuliert eine Kontingenzformel. Was heißt das?

Da die Welt undurchschaubar ist, rätselhaft, eine Art black box, und die Natur den frühen Menschen so bedrohlich vorkam, so dass einem vielleicht einmal der Himmel auf den Kopf fallen könnte, bedarf es der Erklärmuster: Was nicht verstanden werden kann - und vielleicht nicht zu verstehen ist - wird mit dem Namen Gott bezeichnet.

Kontingenzformel Gott. Das heißt die enge Fassung des Problems wird als dessen Lösung angesehen: das hat Konsequenzen: dazu Niklas Luhmann:

  • "Die Kontingenzformel Gott zielt darauf ab, andere Möglichkeiten, die auch gegeben sind, zu unterdrücken".
  • "Unendliche Informationslasten werden durch die Kontingenzformel Gott in endliche überführt".
  • "Dafür braucht die Kontingenzformel Gott professionelle Assistenz: nämlich Priester".
  • "Um zu funktionieren nämlich die Komplexität der Welt zu reduzieren muss die Kontingenzformel Gott generell die Welt entwerten: das Jenseits muss her. Wer an Gott nicht glaubt, wird ausgeschlossen".

Wer nicht daran glaubt, wird ausgegrenzt, und wie wir immer wieder erfahren müssen im schlimmsten Fall eliminiert: als der die oder das Böse.

Mit der Erfindung Gottes, so könnte man schlussfolgern, musste das Böse, der Teufel in Gestalt des Widersachers oder des Ungläubigen gleich mit erfunden werden, wie die kommunizierenden Röhren gehören Himmel und Hölle zusammen. Wer glaubt hat Angst. Oder andersrum: Angst ist die Grundhaltung aller Gläubigen. Und ein ängstlicher Typ bin ich nun wirklich nicht.

Ich bin kein A-Theist auch kein A-Gnostiker. In beiden Begriffen schwingt ja Gott oder Geist immer noch mit und es klingt negativ. Ich bin evolutionärer Humanist.

Das heißt, wenn man so will: ich glaube an die Wissenschaft.

Den Begriff "evolutionärer Humanist" hat der Biologe Julian Huxley geprägt und als erster UNESCO-Generalsekretär 1948 trug er maßgeblich zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bei.

Julian Huxley behauptet, dass wir Menschen Charles Darwin folgend nichts anderes sind als Säugetiere mit einem großen Gehirn, das es den homo sapiens ermöglicht sich nicht nur in der Welt zurecht zu finden, sondern auch herauszufinden, woher wir kommen. Er meint damit: "Der Mensch ist ein zufälliges Produkt der biologischen Evolution. Das "Ich" ist nichts anderes als ein Artefakt des "körperbewussten Gehirns".

Das hört sich erst mal etwas merkwürdig an, aber wenn wir die 7 Millionen, die uns von unseren nächsten Verwandten, den großen Menschenaffen, trennen, wissenschaftlich untersuchen, dann bekommen wir Einblicke, wie wir geworden sind und warum wir durchaus stolz auf unsere Gattung sein können.

Wir sind nicht böse und brauchen keinen Gott, denn der ist nur ein Hirngespinst und der Affe in uns ist unser Freund.

Nach der Lektüre des 2015 erschienenen Buch von Clive Gamble, John Gowlett, und Robin Dunbar: "Evolution, Denken, Kultur. Das soziale Gehirn und die Entstehung des Menschlichen" wurde mir erst mal bewusst, wie entspannend es ist, sich als evolutionärer Humanist zu begreifen. Die Autoren - Biologen und Archäologen aus England - haben gewissermaßen eine neue Schöpfungsgeschichte geschrieben. Jedenfalls für mich.

Um es kurz zu machen. Wir, die Affen und die Menschen, stammen aus Afrika.

Vor ca. 7 Mio Jahre gab es dort eine Klimakatastrophe, der Urwald ging zurück, die Savanne wurde größer und die Affen, die dort lebten, mussten sich anpassen und den aufrechten Gang lernen. Nach langer, langer Zeit wurde aus den Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans und Gorillas die Gattung des "homo". Erst mal mit allerlei Zwischenstufen: Ardipithecus, Australopithecus, homo erectus, Neanderthaler, homo sapiens, (der wie wir heute wissen auch schon 300000 Jahre alt ist)

Das Leben war hart in Afrika und viel Zeit zum Graulen blieb nicht.

Affen kraulen sich nicht, um sich zu lausen, sondern um zu zeigen wir sind Freunde. Das Kraulen setzt Endorphine frei und bewirkt ein gefestigtes Gruppenverhalten.

Das bedeutet, man muss viel Zeit haben. Im Urwald hatte man sie, da wachsen einem ja die Früchte gewissermaßen in den Mund. Aber im Grasland der Savanne muss man schon auf Trab sein, um satt zu werden. Man könnte sagen: der Klimawandel hat unsere Vorfahren die Affen aus dem Paradies vertrieben. Es musste etwas gefunden werden, welches das Kraulen ersetzt und in etwa das gleiche Ergebnis zeitigt

Die Theorie vom sozialen Gehirn besagt nun, dass ähnliche Endorphinausschüttungen auch anders möglich sind. Durch Sprache.

Robin Dunbar behauptet nun in seinem Buch: Tratsch und Klatsch. Wie der Mensch zur Sprache fand." Sprache ist entstanden, damit wir tratschen können".

"Auch Musik und Gesang sind sehr wirksame Mittel, den Gefühlszustand einer Gruppe auszudrücken. Wenn wir singen und tanzen fühlen wir uns wohl…beide Tätigkeiten eignen sich in idealer Weise dazu, im Gehirn Opiatwellen auszulösen" Und noch etwas habe ich aus diesem neuesten Schöpfungsbericht gelernt: Wie wichtig nicht nur zur Fortpflanzung, sondern auch zur Zufriedenheit des oder der Einzelnen die Sexualität ist. Und schon von Anfang an: Nochmal Robin Dunbar:

Die Partnerwahl ist im Grunde eine Frage der Reklame…"Heldentaten" haben eines gemeinsam: Sie lassen sich schwer fälschen.

Jagt ist eine Art Nebenbeschäftigung, die der Werbung um Partnerinnen dient: Großwild zu jagen ist gefährlich, und Erfolg in diesem Bereich ist ein Kennzeichen für genetische Qualität.

Die ausschließliche Monogamie ist eine evolutionäre Sackgasse – durch sie wird eine Art offensichtlich weniger flexibel…Und der Verlust von Flexibilität ist kein Rezept für Evolutionserfolg. Die Evolution des menschlichen Gehirns ist vor allem durch die Erfordernisse der sexuellen Selbstdarstellung vorangetrieben worden.

Und all das wollen Gläubige nicht wahr haben. Wie gefährlich für Gläubige diese neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Evolutionsforscher sind, mag die Erkenntnis gelten, dass in der Evolution nicht die Männer die Herren der Schöpfung sind, sondern die Frauen, sie wählen aus mit wem sie sich fortpflanzen wollen. Religion, so sagen die Evolutionsforscher ist entstanden, als die Gruppen, oder Herden immer größer wurden und Schamanen oder charismatische Führerpersönlichkeiten sich in den Vordergrund drängten und jede Form des Andersdenkens verhinderten.

Und das möchte ich für mich nicht mehr haben.

Seit meiner Kindheit, seit dem Himmel ohne Tiere, kann ich an religiöse Gebote nicht mehr glauben und vertraue der Wissenschaft, die sich – das liegt in der Natur der Sache - auch immer weiter entwickelt.

Seit nunmehr elf Jahren gibt es das Manifest des evolutionären Humanismus, geschrieben von Michael Schmidt-Salomon, dem Philosophen der Giordano-Bruno-Stiftung. Darin heißt es: "Der evolutionäre Humanismus legt uns nahe aufgeklärte Hedonisten zu folgen. Epikur sah das höchste Gut auf Erden im Glück, das größte Übel im Unglück. Epikur versuchte seinen Mitmenschen die Furcht vor den Göttern und dem Tod zu nehmen. Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst." Und weiter heißt es: "Der evolutionäre Humanismus versteht sich als offenes System: keine absoluten Kategorien. Er weiß um die Relativität menschlicher Erkenntnis, weshalb er die religiöse Strategie historisch gewachsene Vorstellungen in heilige Dogmen zu verwandeln ablehnt."

Aber was bedeutet das für den Einzelnen, also für mich, wenn ich keinen Rückhalt in einer Kirchengemeinde mehr habe. Wird man da nicht traurig, einsam und unglücklich. Nein.

Für mich ist das Glück der Glaube an das Jetzt: Carpe diem oder wie Albert Camus geschrieben hat "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen". Max Weber hat diesen Sachverhalt so formuliert. Er sagt: "Wer mit der Welt im Hader liegt, will nicht erlöst werden. Er hat zu tun." Oder wie Heinrich Heine in "Deutschland ein Wintermärchen" gereimt hat:

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust
Und Zuckererbsen nicht minder

Ja, Zuckererbsen für Jedermann,
sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen

Also mein Fazit: "Oster Behn, Oster Behn. Mit Glaubenster Behn ist des Menschen Verder Behn".


Volker Panzer ist Herausgeber des Humanistischen Pressedienstes. Zuvor arbeitete der Journalist und Moderator für das ZDF und mehrere ARD-Anstalten.