Kommentar

Münster hat's mit dem Kreuz

Im westfälischen Münster endete heute das G7-Außenministertreffen. Themen von weltpolitischem Rang gab es zu diskutieren, vom Klimawandel bis zum Ukraine-Krieg. Doch um die Gesprächsergebnisse hinsichtlich dieser Themen schert sich nun kaum noch einer, nachdem ein konservatives Lokalblatt berichtet hat, dass im Tagungssaal das Kreuz entfernt wurde. Ein Kommentar von hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg.

Auf Wunsch von Außenminsterin Annalena Baerbock – und wohl auch auf Buhlen der Stadtverantwortlichen – fand das G7-Außenministertreffen diesmal in Münster/Westfalen statt. Wegen der Symbolkraft des Ortes. Für die weniger geschichtssicheren unter den Leserinnen und Lesern: Im Friedenssaal des Historischen Rathauses von Münster wurde 1648 der Westfälische Frieden unterzeichnet. Ein Friedensschluss, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, welcher verheerende Verwüstungen über ganz Europa gebracht hatte. Auch das G7-Treffen sollte deshalb in diesem Friedenssaal stattfinden. Hierfür musste jedoch eine Umgestaltung des Raumes stattfinden. So wurde unter anderem Teppichboden verlegt, ein großer Konferenztisch und Beleuchtung aufgebaut – und ein goldenes Kreuz aus dem Raum entfernt.

Letzteres fiel einem Mitarbeiter der konservativen Regionalzeitung Westfälische Nachrichten auf, die aufgrund ihrer Kirchennähe von Münsteranern auch gelegentlich salopp als "Bischofsblatt" oder "Kirchenpostille" bezeichnet wird. Das Kreuz aus dem Friedenssaal entfernt? Welch Skandal! Darüber musste natürlich voll Empörung berichtet werden. Sowas kann passieren, wenn man große Politik in einem piefigen Nest wie Münster machen will, in dem die weltanschaulichen Uhren anders ticken und dringend auf die heutige Zeit vorgestellt werden müssten.

Für die Berichterstattung über den Kreuz-Skandal holte man zunächst ein Statement der Stadt ein. "Das Außenamt habe seine Bitte nach Angaben der Stadt damit begründet, dass Menschen mit unterschiedlichem religiösen Hintergrund an dem Treffen teilnehmen würden", so das Ergebnis der Investigativrecherche der Westfälischen Nachrichten. Und weiter: "Eine solche Bitte sei bislang noch nie an die Stadt gerichtet worden, heißt es aus Kreisen der Verwaltung."

Da räumt also tatsächlich das Auswärtige Amt religiösen Klimbim aus dem Sitzungssaal, weil Religion bei politischen Gesprächen nichts zu suchen hat. Unfassbar! – Die religiöse Empörung des Lokalblättchens zahlte sich aus. Mehrere Medien sprangen sofort darauf an. Vor allem die konservativen, für die das Entfernen eines Kreuzes stets den Untergang des Abendlands bedeutet. Bei einer Regierungspressekonferenz sah sich sogar der Sprecher des Auswärtigen Amts, Christofer Burger, mit der Frage konfrontiert, wie es denn zu der Kreuzentfernung gekommen sei? Er stellte sich tapfer vor seine Ministerin und erklärte, dass diese nicht mit der Frage befasst gewesen sei und dass es keine Entscheidung auf politischer Ebene gegeben habe.

Die Welt ist mit gigantischen Problemen konfrontiert, die auf dem G7-Treffen zu verhandeln waren, aber hey, wen interessieren auf einer Pressekonferenz schon mögliche Ergebnisse, wenn man sich auch über ein kurzzeitig entferntes Kreuz aufregen kann?

Bei diesem vom Provinzblatt provozierten Skandal musste sich selbstverständlich auch Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) zu Wort melden, vor Übernahme seines Oberbürgermeisteramts übrigens langjähriger Mitarbeiter des Bistums Münster. Auf seinem Facebook-Account erklärte er zu der Causa Kreuz: "Die Stadt hat alles unternommen, um einen reibungslosen Ablauf der Konferenz zu ermöglichen. Ich meine aber, diese Entscheidung hätte so nicht getroffen werden dürfen, und ich bedaure sie. Mein Eindruck ist, dass auch die Außenministerin davon überrascht wurde. Das Kreuz gehört seit Jahrhunderten zum Friedenssaal und damit zur Geschichte und Kultur des Konferenzortes. Das christliche Kreuz ist ein Zeichen der Versöhnung."

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, warf der Bundesregierung im Fernsehsender der Welt sogar vor, sie sei "traditions- und geschichtsvergessen", weil das christliche Menschenbild die gemeinsame Basis der liberalen und rechtsstaatlichen Demokratien der G7-Staaten sei. Noch einen Schritt weiter ging die kulturpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Christiane Schenderlein, die gegenüber der konservativen Rheinischen Post erklärte, dass durch die Abhängung des Kreuzes "unsere kulturelle Identität vor den Augen der restlichen Welt vorsätzlich verleugnet" werde.

Was daran so wütend macht, ist nicht nur, dass durch diese Provinzposse die wichtigen Themen des G7-Treffens völlig überdeckt werden. Es ist auch nicht nur das alberne Kasperltheater der CDU, die zur Ablenkung der eigenen gravierenden Versäumnisse während ihrer Regierungszeit jede Chance nutzt, um auf die aktuelle Bundesregierung einzudreschen. Es ist vor allem die Geschichtsvergessenheit derjenigen, die anderen Geschichtsvergessenheit vorwerfen.

Nicht das christliche Menschenbild ist nämlich die gemeinsame Basis der liberalen Demokratien der G7-Staaten, es sind die allgemeinen Menschenrechte und gemeinsame Werte, die auch im traditionell eher weniger christlichen G7-Land Japan vertreten werden. Vor allem aber ist das Christentum – historisch betrachtet – definitiv keine Religion der Versöhnung, auch wenn dies von Kuschelchristen heute gern so dargestellt wird. Man erinnere an die Zwangschristianisierung im frühen Mittelalter und während der Kolonialzeit, an die Kreuzzüge, an das blutige Reich der Wiedertäufer im 16. Jahrhundert in Münster oder eben auch an den Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert. Ein brutaler Krieg, ausgelöst und immer wieder angefacht durch Zwistigkeiten konkurrierender christlicher Konfessionen. Damit im Friedenssaal von Münster die Verhandlungen über einen Friedensschluss überhaupt stattfinden konnten, musste die Stadt damals vor Verhandlungsbeginn für neutral erklärt werden – das heißt, sie wurde für die Dauer der Verhandlungen von ihren Verpflichtungen gegenüber dem Kaiser und dem Fürstbischof entbunden.

Wer immer im Auswärtigen Amt nun also die Idee hatte, das Kreuz aus dem Friedenssaal zu entfernen: Er hätte kaum historischer handeln können. Denn religiöse ebenso wie politische Neutralität sind nun mal die Grundbedingung aller Verhandlungen. Auch wenn man das in Münster erst noch lernen muss.

Hinweis: Die Autorin ist gebürtige Münsteranerin.

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