Giordano-Bruno-Stiftung kritisiert die Zulassung der Strafverfolgung als "Kniefall vor einem Despoten"

"Wer hat Böhmermann verraten? Christdemokraten!"

BERLIN. (hpd) Der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon hat die Entscheidung der Bundesregierung, eine Strafverfolgung gegen Jan Böhmermann auf der Basis von §103 StGB zuzulassen, als "Kniefall vor einem Despoten" kritisiert, der "in seinem eigenen Land den überkommenen Straftatbestand der Majestätsbeleidigung nutzt, um politische Gegner auszuschalten." 

Die Erklärung von Kanzlerin Merkel, in Deutschland solle nicht die Regierung, sondern die Justiz "das letzte Wort" haben, weshalb die Ermächtigung zur Strafverfolgung "keine Vorverurteilung Böhmermanns" bedeute, bezeichnete Schmidt-Salomon als "heuchlerisch": "Eine Ermächtigung zur Strafverfolgung kann nur dann erteilt werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht besteht. Insofern muss die deutsche Kanzlerin zumindest unterstellen, dass Jan Böhmermann gegen §103 StGB verstoßen haben könnte. Dies ist jedoch absurd, wenn man den Kontext berücksichtigt, in dem das umstrittene Gedicht ‚Schmähkritik‘ vorgetragen wurde."

"Echte Schmähkritik setzt voraus, dass der Kritiker seine Schmähungen ernstmeint", erklärte Schmidt-Salomon. "Liegt diese Voraussetzung hier vor? Ganz sicher nicht! Denn niemand, der die Sendung gesehen hat, und noch halbwegs bei Verstand ist, wird davon ausgehen, dass Jan Böhmermann ernsthaft unterstellen wollte, dass der türkische Präsident ungewöhnlich kleine Genitalien hat und sexuell mit Ziegen und Schafen verkehrt! Böhmermann ging es um etwas völlig anderes: Seine Satire zielte darauf ab, dass Erdogan zwischen berechtigter Satire und verbotener Schmähkritik nicht unterscheiden kann, was der türkische Präsident mit seiner Reaktion auf die ZDF-Sendung dann ja auch eindrucksvoll unter Beweis stellte. Schon allein dies wäre tragisch-komisch genug und ein Beweis für Böhmermanns satirische Qualitäten! Leider aber scheint auch die deutsche Kanzlerin samt ihrer Berater, wie sich heute gezeigt hat, nicht über das erforderliche Differenzierungsvermögen zu verfügen, denn ansonsten hätte sie dem Strafverfolgungsinteresse der Türkei aufgrund fehlenden Tatverdachts niemals nachgeben dürfen!"

Positiv hob Schmidt-Salomon hervor, dass sämtliche SPD-Minister gegen die Strafverfolgung gestimmt haben: "In Anlehnung an eine alte Redewendung, die ursprünglich gegen die SPD gerichtet war, könnte man heute sagen: ‚Wer hat  Böhmermann verraten? Christdemokraten!‘ Wie schon bei der Sterbehilfedebatte ist die CDU/CSU nun auch bei der Frage des Umgangs mit der Türkei all jenen in den Rücken gefallen, die die Prinzipien einer offenen Gesellschaft stärken wollen. Die Kanzlerin hätte heute die Chance gehabt, ein klareres Profil zu zeigen und dem türkischen Präsidenten eine Lehrstunde in Sachen Demokratie, Meinungs- und Kunstfreiheit zu erteilen. Diese Chance hat Angela Merkel kläglich vergeben." 

Dass die Bundesregierung plant, §103 StGB in Bälde zu streichen, begrüßte der gbs-Sprecher: "Dies ist ein längst überfälliger Schritt! In diesem Zuge müsste allerdings auch §166 StGB fallen, da ‚Gotteslästerung‘ und ‚Majestätsbeleidigung‘ seit jeher eng miteinander verbunden sind. Beide Paragraphen gehen zurück auf die unselige Zeit der Vermählung von Thron und Altar und haben in einer modernen offenen Gesellschaft nichts zu suchen, da sie die Fundamente des demokratischen Rechtsstaats untergraben."


Nachtrag von Michael Schmidt-Salomon (15.4., 20.00 Uhr):

In der Debatte um den Fall Böhmermann wurde behauptet, die Kanzlerin habe auf Basis der bestehenden Gesetze keine andere Möglichkeit gehabt, als eine "Ermächtigung zur Strafverfolgung" zu erteilen. Dies ist unwahr, sehr viel eher lässt sich das Gegenteil begründen: Denn §104a StGB, der die Voraussetzungen zur Strafverfolgung nach dem überalterten § 103 regelt, soll Bundesbürgern einen gewissen Schutz vor verfassungsrechtlich bedenklichen Verfahren bieten, die vom Ausland her angestrebt werden. Die Bundesregierung ist daher gesetzlich verpflichtet (!), den juristischen Sachverhalt zu prüfen, bevor sie eine Ermächtigung erteilt! Dabei ist klar, dass sie ohne begründeten Tatverdacht keine Strafverfolgung nach §103 StGB zulassen darf. Diese Entscheidung den Gerichten zu überlassen, wie es Merkel nun vorsieht, ist somit ein Verstoß gegen die Bestimmungen von §104a, der keinen juristischen Automatismus vorsieht, sondern der Bundesregierung (zum Schutz der Bürger und der Grundrechte) eine aktive Rolle zuweist. Man muss daher sehr klar unterscheiden zwischen Beleidigungsverfahren nach §103 StGB (staatliche Ebene) und Beleidigungsverfahren nach §185 StGB (persönliche Ebene). Kurzum: Die heutige Entscheidung der Kanzlerin war nicht nur aus politischen, sondern auch aus juristischen Gründen höchst kritikwürdig. Tatsächlich wäre die Bundesregierung verfassungsrechtlich dazu verpflichtet gewesen, die Ermächtigung zur Strafverfolgung im "Fall Böhmermann" nach §103/104 zu verweigern und Erdogan auf den persönlichen Klageweg nach § 185 zu verweisen, wie auch der Rechtsexperte Alexander Thiele in diesem "Verfassungsblog" dargelegt hat:

http://verfassungsblog.de/erlaubte-schmaehkritik-die-verfassungsrechtliche-dimension-der-causa-jan-boehmermann/