Vergangene Woche fand in Leipzig die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) statt. Im Fokus standen die Themen Öffentlicher Rundfunk und die Migrationspolitik. Worüber öffentlich nicht gesprochen wurde, war ein Beschluss zur Ablösung der altrechtlichen Staatsleistungen an die Kirchen.
Gefasst unter Tagesordnungspunkt 12 beschlossen die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder kurz und knapp auf einer halben Seite, dass sie gegen das von der Bundesregierung momentan angestrebte Grundsätzegesetz sind, das ohne Zustimmungspflicht durch den Bundesrat auskommen soll (der hpd berichtete). Die hiermit verbundenen erheblichen finanziellen Lasten stünden aktuell in keinem Verhältnis zu den vielfältigen Herausforderungen bei gleichzeitig knappen Finanzen, heißt es im Beschlusspapier.
Laut Verfassungsauftrag, der aus der Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz übernommen wurde, muss zuerst der Bund ein solches Gesetz erlassen, auf dessen Grundlage dann die Länder eigene Gesetze verabschieden können. Die Kirchen erhalten momentan noch immer mehr als 600 Millionen Euro jährlich (Tendenz steigend) aus allgemeinen Steuermitteln als Ausgleichszahlungen für Besitztümer, die vor über 200 Jahren an den Staat gingen.
Säkulare Vertreter kritisieren den MPK-Beschluss: "Es ist befremdlich, dass die Länder pauschal eine Ablösung der Staatsleistungen ablehnen, bevor die Rahmenbedingungen überhaupt öffentlich bekannt sind", findet Ulla Bonnekoh, stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Konfessionsfreien. "Schließlich handelt es sich hierbei um einen Verfassungsauftrag, den es zu erfüllen gilt, den man nicht einfach generell ablehnen kann." Weiter merkt sie an: "Sollten die Länder Grund zu der Annahme haben, dass eine Ablösesumme veranschlagt werden soll, die unangemessen hoch ist, sollte darüber diskutiert werden. In die Debatte sollten neben Kirchen und Politik auch zivilgesellschaftliche Akteure eingebunden werden, denn die Staatsleistungen betreffen schließlich alle Bürgerinnen und Bürger. Der Zentralrat ist bereit, sich an diesen Gesprächen zu beteiligen."
Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten, der Mitglied im Zentralrat ist, meldet sich ebenfalls zu Wort: "Der IBKA vertritt die Auffassung, dass die Ablösung durch die bisher geleisteten Zahlungen als erfolgt zu gelten habe und dementsprechend keine weiteren Zahlungen zu leisten sind", sagte sein Erster Vorsitzender Rainer Ponitka dem hpd. "Meines Wissens handelt es sich bei den im Reichdeputationshauptschluss von 1803 begründeten sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen um einerseits die lebenslange Alimentierung der damals 'abtretenden geistlichen Regenten', die inzwischen natürlich verstorben sind – entsprechend kann es auch keine staatlichen Zahlungsverpflichtungen mehr für Kirchenpersonal wie zum Beispiel Bischöfe geben – und zweitens um den Unterhalt der zu der Zeit existierenden Domkirchen." Er vermutet: "Die Ablehnung der Ministerpräsidentenkonferenz die per Weimarer Reichverfassung und Grundgesetz vorgeschriebene Ablösung – vielleicht sogar eine Rückforderung überzahlter Leistungen – zu forcieren, ist meines Erachtens wahltaktischem Kalkül geschuldet."
Die Humanistische Union (HU) macht sich seit vielen Jahren für die Erfüllung des Verfassungsauftrags stark. Johann-Albrecht Haupt, der als Experte auf dem Gebiet altrechtliche Staatsleistungen gilt, sagt dazu in einer Pressemitteilung der HU: "Das ist nicht nur ein erneuter Akt obrigkeitlichen Ungehorsams gegenüber der Verfassung, sondern auch ein schwer erträglicher Umgang mit Steuergeldern, die von allen Steuerzahlern aufgebracht werden, auch von denen, die sich von der Kirche abgewandt haben." Das sei auch deshalb empörend, weil die Regierungschefs einerseits die knappen öffentlichen Finanzen angesichts der "vielfältigen Herausforderungen" beklagen, andererseits aber offensichtlich auch weiterhin keine Kenntnis davon haben, ob und in welcher Höhe die Ablösung tatsächlich zu Belastungen der einzelnen Landeshaushalte führen würde. Bisher gibt es nämlich auch nach über 100 Jahren – der Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen, stand bereits in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 – keine Aufstellung darüber, auf welcher Rechtsgrundlage und in welcher Höhe in den einzelnen Ländern die abzulösenden Staatsleistungen des maßgeblichen Jahres 1919 gezahlt wurden. Die Humanistische Union weist darauf hin, dass allein seit 1949 mehr als 21,3 Milliarden Euro an die beiden Kirchen gezahlt wurden, im laufenden Haushaltsjahr 618 Millionen Euro und im kommenden Jahr absehbar (noch liegen nicht alle Haushaltsplanentwürfe der Länder vor) mehr als 630 Millionen Euro.
Friedrich Coradill vom Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen (BASTA) rechnet weiter vor: "Bereits in 20 Jahren wird die Marke von 1 Milliarde Euro pro Jahr überschritten." Er habe bereits mehrfach dargestellt, dass eine zeitnahe Ablösung gegenüber einer Weiterzahlung über diesen Zeitraum eine Einsparung von mehr als 6 Milliarden Euro bringen würde. "Die 'vielfältigen Herausforderungen' (zitiert aus dem Papier der Ministerpräsident:innen, Anm. d. Red.) erlauben es also nicht, sich mit dem Thema zu befassen – und das bei knappen Finanzen. Die Regierungschefs der Länder widersprechen sich mal wieder selbst und der Beschluss zeigt erneut die in keinem Verhältnis stehende Kirchenfreundlichkeit der Länderchefs."
Hinweis der Redaktion: Im zweiten Absatz war fälschlicherweise von 600 Euro die Rede, dies haben wir am 30.10. um 17:30 Uhr korrigiert.
12 Kommentare
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Kommentare
E. Steinbrecher am Permanenter Link
Jedem ist sein Hemd näher als das des Nächsten.
Warum wird keine Grundsteuer seitens der größten Grundbesitzer in Deutschland gezahlt? Bei Zuwendungen aus Brüssel`s Kassen nur bezüglich der Landwirtschaft, dürfte man auch die Hände, natürlich verschleiert über Pachtpreise, mit aufhalten. So verdient man letztlich an allen erzeugten Lebensmitteln indirekt mit. Und wer zahlt mal wieder diese Art von Raubzug? Die Antwort kennt jeder!
Mathias Werner am Permanenter Link
Kleiner Fehler entdeckt, statt "mehr als 600 Euro" muss es "mehr als 600Mio €" heißen.
hpd-Redaktion am Permanenter Link
Vielen Dank für den Hinweis, wir haben es korrigiert.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Dieses politische Versagen wäre - geschichtlich betrachtet - eine Chance für die Kirchen, zu beweisen, dass sie dem Allgemeinwohl dienen wollen - durch Mildtätigkeit, Liebe und freiwilligem Verzicht auf Staatsleistung
Also: Geld oder Liebe?
Ob sie diese Chance wohl nutzen werden? Hmm...?
A.S. am Permanenter Link
Bei Religion geht es um Macht und Geld für die Priester.
Territorialkämpfe zwischen Priesterschaften, die ihre Gläubigen gegeneinander hetzen, nennt man "Religionskriege".
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Meine Frage ist auch eher ironisch zu verstehen. Natürlich werden die Kirchen keinen Cent ihres unfassbar großen Reichtums, ihres gigantischen Immobilienbesitzes und ihrer Privilegien aufgeben.
Und wenn die Politik weiterhin versagt, verringert nur eine ausreichend große Zahl von Austritten die sowieso zweifelhafte Legitimieren der Staatsleistungen...
Hans-Jürgen Bre... am Permanenter Link
Wer sich informiert, mit welchen Schauer-Märchen und welcher Gewalt die Kirchenfürsten das Volk über Jahrhunderte ausgepresst haben und wie blutig Widerstand dagegen von diesen selbsternannten Würdenträgern niedergesc
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Das Hauptproblem scheint mir zu sein, dass die Zahlungen an die Kirchen überhaupt nicht auf dem Reichsdeputationshauptschluss (RDHS) von 1803 zu beruhen scheinen, sondern auf den Konkordaten und Kirchenverträgen, die
Erklärt wird das mit Verlusten der Protestanten im Rahmen der Religionswirren im Zusammenhang mit dem 30-jährigen Krieg. Schuld an dieser Malaise sind aber nicht die klug verhandelnden Kirchen, sondern die Staatsvertreter, die sich bilderbuchmäßig haben vorführen lassen.
Ulrich Bock am Permanenter Link
Die Staatsleistung an die Kirchen gehören abgeschafft. Das steht auch im Grundgesetz.
Welchen Erfolg hätte eine Klage beim Bundesverfassungsgericht oder bei einem zuständigen europäischen Gerichtshof.
Werner Koch am Permanenter Link
Gibt es außer den sogenannten „Staatsleistungen“ Zahlungsverpflichtungen, die vor 200 Jahren bestanden haben, die heute noch bestehen, die jährlich angehoben werden – gekoppelt an die Entwicklung der Beamtengehälter?
Es wäre hilfreich, wenn die Parteien bei der Aufstellung der Kandidaten die Zusammensetzung der Bevölkerung auch berücksichtigen und mehr säkulare Kandidaten aufstellen. Dazu gehört auch, dass die Wähler aufgeklärt sind, solche Missstände erkennen und nicht auf schöne Worte oder populistische Propaganda hereinfallen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich denke, privat säkular ist die aktuelle Regierung in jedem Fall. Keiner hat bei der Vereidigung auf Gott geschworen. D. h. auf die persönliche Einstellung der Kandidaten zu achten, ist sinnlos.
G.B. am Permanenter Link
Seit hunderten von Jahren werden wir belogen und betrogen von den Kirchen und von unserer Politik, sind wir wirklich so machtlos dieses Unrecht weiterhin erdulden zu müssen?
Diese "Himmelschreiende" Ungerechtigkeit ist unerträglich und kann auf Dauer nicht weiter ertragen werden, also lasst nicht nach zu kämpfen gegen diesen Betrug an den Bürgern in
der BRD und letztendlich weltweit.