Die vergessenen Opfer der Taliban

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Gestern jährte sich die erneute Machtergreifung der Taliban in Afghanistan zum dritten Mal. Mit dem im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Bundesaufnahmeprogramm hatte die Bundesregierung vielen Menschen im Land Rettung in Aussicht gestellt. Menschen, die den westlichen Verbündeten vor Ort halfen. Menschen, die von den Islamisten für "minderwertig" gehalten werden. Jedoch will das Bundesinnenministerium die Mittel für das Aufnahmeprogramm im kommenden Jahr um fast 90 Prozent kürzen. Das könnte das Todesurteil für tausende Menschen bedeuten. 

Nicht nur Journalisten wie Mohammad Azim werden trotz aller Versprechungen der Bundesregierung allein gelassen (die Tagesschau berichtete), sondern auch Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden.

Anlässlich des gestrigen dritten Jahrestages der erneuten Machtergreifung der Taliban in Afghanistan meldete sich der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) mit einer Pressemitteilung zu Wort. Jörg Hutter aus dem Bundesvorstand erklärte:

"Die Taliban streben die systematische Vernichtung queeren Lebens in Afghanistan an. Berichte von Verfolgung, Vergewaltigungen und Morden an LSBTIQ*-Personen erreichen uns im Grunde täglich. Alle, die sich dies trauen und irgendwie leisten können, fliehen in die Nachbarländer, vor allem nach Iran und Pakistan." 

Er wies weiter darauf hin, dass für die Betroffenen auch eine Flucht dorthin lebensgefährlich sei, denn sowohl in Pakistan als auch im Iran erwarten queere Menschen tagtägliche Ausgrenzung und schlimmstenfalls die Todesstrafe.

Für manche Personengruppen ist die Bedrohung besonders akut. Frauen wurden seit der Machtübernahme systematisch aus allen Teilen der Gesellschaft ausgeschlossen. Mädchen ist der Schulbesuch ab der siebten Klasse verboten, Frauen dürfen weder arbeiten noch studieren oder allein das Haus verlassen. Laut der UN-Bildungsorganisation UNESCO wurde seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban 2021 mindestens 1,4 Millionen afghanischer Mädchen der Besuch weiterführender Schulen verweigert.

Drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban sind Menschen in Afghanistan, die sich dort für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, stärker denn je gefährdet. Menschen, die in allen gesellschaftlichen Bereichen demokratische Werte verbreiteten sowie (ehemalige) Ortskräfte werden immer stärker verfolgt, willkürlich inhaftiert, gefoltert und hingerichtet. Sie müssen sich unter prekären Bedingungen versteckt halten, um zu überleben.

Eine Gruppe deutscher und international tätiger Menschenrechtsorganisationen forderte gestern die Fortsetzung des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan. In dem Text heißt es unter anderem:

"Wenn – wie in Afghanistan – die Lebensbedingungen im eigenen Land zu gefährlich werden, sind Menschen gezwungen, ihr Land zu verlassen. Sie verlassen ihre Heimat und damit die Menschen und Orte, mit und an denen sie ihr Leben bisher aufgebaut hatten. Die Entscheidung, aus dem eigenen Land zu flüchten, wird nie leichtfertig getroffen. Diese Menschen zu schützen, ist eine humanitäre Pflicht Deutschlands. Aufgrund seiner Beteiligung am zwei Jahrzehnte dauernden internationalen Militäreinsatz in Afghanistan hat Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber gefährdeten Afghan*innen, zu der die Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag bekannt hat."

Mit dem im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Bundesaufnahmeprogramm hat die Bundesregierung vielen Menschen in Afghanistan Rettung in Aussicht gestellt. Bisher wurde jedoch nur ein Bruchteil der angekündigten Aufnahmen realisiert. Und nun plant die Bundesregierung, sich vollends aus der Verantwortung zu verabschieden.

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