Als mutiger Hoffnungsträger gegen radikal-islamische Koranschulen wirkt eine säkulare arabisch-deutsche Schule im Berliner Bezirk Neukölln. Auf ihren Leiter Hudhaifa Al-Mashhadani ist im November mutmaßlich ein Mordanschlag verübt worden. Er lebt fortan in der Gewissheit: "Es gibt Islamisten und Linksextreme, die mich töten möchten".
Obwohl Unversöhnlichkeiten auch außerhalb von Berlin-Neukölln zur gesellschaftlichen Realität gehören, zeigt sich die Gemengelage einer heillosen Aufsplitterung hier besonders deutlich: Zwischen gemäßigten Muslimen, Hamas-Rechtfertigenden, islamistischen Predigern, Verteidigern des israelischen Existenzrechts, antimuslimischen Hetzern, palästinensischen Aktivisten – zwischen Verharmlosern und Eiferern. Menschen, die sich zu Wort melden, ohne sich einem der Lager zugehörig zu fühlen, müssen davon ausgehen: Was auch immer sie sagen oder mäßigend anmahnen, von bestimmten Kreisen werden sie dafür verteufelt und angegriffen. Bezeichnend ist, dass es dabei nicht mehr um eine Spaltung in traditionelle Gegensätze wie zwischen politisch Linken und Rechten oder zwischen Gottlosen und Religiösen geht.
Es gibt im Bezirk Neukölln einen Ort, wo sowohl die arabische Sprache gelehrt als auch eine Haltung für Demokratie, Toleranz und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen vertieft wird, nämlich die arabisch-deutsche Sprachschule Ibn Khaldun. Anfeindungen und ständige Bedrohungen in diesem Brennpunktbereich sind seit langem an der Tagesordnung. Dort wurde unlängst der SPD-Bezirksbürgermeister aus dem Amt gedrängt – linken Genossen der eigenen Partei gelang es, Martin Hikel durch den gegen ihn gerichteten Kampfbegriff "antimuslimischer Rassismus" politisch zu demontieren (der hpd berichtete).
Humanistische Ideale der Ibn Khaldun-Schule unter Polizeischutz
In einem zentral gelegenen Gebäude in Berlin-Neukölln finden jeden Samstag und Sonntag für insgesamt circa 700 Schulkinder (von 5 bis 16 Jahren) mit qualifiziertem Personal Sprachkurse (auch als kurdischer und hebräischer Unterricht) statt. Die Angebote reichen von spielerisch-bildlicher Einführung zum Verständnis von Worten über Grundlagen des arabischen Satzbaus bis hin zum geförderten Lese- und Schreibverständnis in der Sekundarstufe. Dabei wird auf der Internetseite ausdrücklich betont: "Der Unterricht ist frei von religiösen Inhalten und offen für Kinder jedweder Herkunft" – dabei natürlich auch aus jüdischen oder nicht-religiösen Familien.
Die Schule ist durch ihre Gegnerschaft zum Antisemitismus auch zum Hassobjekt von radikalen Pro-Palästina-Aktivisten geworden, zumal sich das Kollegium für einen Austausch mit israelischen Schülern und Schülerinnen einsetzt. Schmierereien mit Hass-Symbolen und eindeutigen Drohbotschaften gehören zur Normalität, es ist auch zum Steinwurf durchs Klassenzimmerfenster gekommen, zudem kursieren diffamierende Flugblätter und wird der Name des Schulleiters Hudhaifa Al-Mashhadani mit roten Hamas-Dreiecken überklebt. Bei Freitagsgebeten in Moscheen ist er schweren persönlichen Beleidigungen ausgesetzt.
Bereits seit langem steht der immer an den Wochenenden stattfindende säkulare Lehrbetrieb wegen der Sicherheitsgefährdungen unter Polizeischutz. Dessen Verstetigung sei auch Bürgermeister Hikel zu verdanken, über den Al-Mashhadani im Cicero sagt: "Ohne ihn hätten wir unsere Arbeit niemals machen können (…). Er war stets auf der Seite säkularer und gemäßigter Vereine, Organisationen, Gewerbetreibender und Familien, die in Neukölln einfach nur ein normales Leben fernab von religiöser Indoktrination und Clan-Kriminalität führen wollen." Als Bezirksbürgermeister habe er jedes Jahr das Fastenbrechen an einem zentralen Neuköllner Ort begleitet – mit tausenden Muslimen. Hikels Widersacher nutzten den Begriff "antimuslimisch" gegen ihn "völlig an der Realität vorbei" einzig und allein, um ihn loszuwerden.
Zulauf als Zeichen gegen Kopftuchzwang und religiöse Heilslehren
Namensgeber der Schule ist Ibn Khaldun, ein Gelehrter und Historiker (1332-1406), dessen in Andalusien angesehene Familie zu Beginn der spanischen Reconquista nach Ceuta emigrieren musste. In Nordafrika vertrat er dann vehement den Grundsatz, dass die Aufrechterhaltung der sozialen und politischen Ordnung eine Frage des Zusammengehörigkeitsgefühls sei. In diesem Sinne versteht sich die Schule Ibn Khaldun ausdrücklich als säkulare Einrichtung für Schüler und Schülerinnen jeglicher Glaubensrichtung und beruft sich auf humanistische Ideale wie Bildung und interkulturelle Verständigung.
Trotz der vor allem seit dem 7. Oktober 2023 nicht mehr nur verbalen Anfeindungen haben gemäßigt muslimische wie bewusst säkulare arabische Eltern ihre Töchter und Söhne vermehrt an dieser Bildungsstätte angemeldet. Sie erfreut sich seit ihrer Gründung vor fünf Jahren in der arabischen Community wachsender Beliebtheit – als humanistische Alternative zu orthodox-islamischen Angeboten. Dazu gehören in den Neuköllner Hinterhöfen solche Koranschulen, die etliche Erwachsene aus ihren Herkunftsländern noch allzu gut kennen und fürchten gelernt haben.
Die Schaffung von säkularen Freiräumen trage zur interkulturellen Verständigung in Berlin und Brandenburg bei, hieß es Anfang September in der Berliner Morgenpost. Dort konnte Stefanie Dietrich aus dem Leitungsteam der Ibn Khaldun-Schule vermelden: "rund 400 Kinder stehen auf der Warteliste." Weil man sie in einer Koranschule gezwungen hatte, sich ein Kopftuch aufzusetzen, seien kürzlich 73 Mädchen im Alter von 9 bis 13 Jahren dazugekommen. Dies sei für benachbarte Einrichtungen, in denen ein ideologisierender antisemitischer Unterricht mit religiöser Heilslehre verbunden ist, natürlich ein Dorn im Auge.
Mordversuch an Schulleiter Al-Mashhadani

Foto: © privat
Nach eigenen Angaben hatte Al-Mashhadani sich als Politikwissenschaftler an der Universität von Bagdad auf Extremismusbekämpfung spezialisiert, gegen Terroristen und Islamisten ebenso wie für Frieden mit Israel gekämpft und ist eine Zeit lang auch Parlamentsabgeordneter gewesen. Wegen unerwünschten Auftretens sei er von der Geheimpolizei ohne Anklage zwei Jahre in ein berüchtigtes Gefängnis gesperrt worden und habe danach aufgrund anhaltender Drohungen das Land verlassen müssen. Nach Berlin kam der heutige Leiter der Ibn Khaldun-Schule 2020 als politisch Geflüchteter (zur Erinnerung: Es war das Jahr, in dem ein französischer Lehrer von einem 18-jährigen Dschihadisten in einem Pariser Vorort ermordet wurde). Dass ihm nun etwas in Deutschland passieren würde, damit habe er nicht gerechnet: Am Freitag, den 14. November entging er nur knapp einem Mordversuch – der Staatsschutz ermittelt.
In der taz schildert er den Vorfall nahe seiner Schule folgendermaßen: "Ich habe auf die U-Bahn gewartet …" Als der Zug einfuhr, habe ihn jemand von hinten "mit einer starken Bewegung nach vorn gestoßen". Nur weil er stabil geblieben sei und sich halten konnte, sei er nicht auf die Gleise gefallen. "Die Bahn war da, ich bin mit ein paar großen Schritten eingestiegen", der Angreifer habe ihn noch gegen Schulter und Kopf geschlagen sowie an seiner Jacke packen können. Dann hätten sich die U-Bahntüren glücklicherweise schnell geschlossen. "Er hat mir durch das Fenster eine Geste gezeigt: Zwei Finger hat er am Hals entlangbewegt, als Drohung, dass sie mich umbringen wollen …", und mit ihnen dann auf seine Augen gezeigt, "nach dem Motto: Wir beobachten dich." Der Täter habe eine palästinensische Kufiyah (ein Palästinensertuch) um den Hals getragen.
Die Schule veröffentlichte nach dem Attentat auf ihren Leiter eine Erklärung, unterstützt durch arabische, jüdische und kurdische Vereinigungen in Deutschland. Darin heißt es, der Vorfall mache erneut deutlich: "Radikal linke Strukturen" und "politisch-islamistische Netzwerke" versuchten zunehmend, "den gesellschaftlichen Diskurs zu beeinflussen, demokratische Stimmen einzuschüchtern und engagierte Persönlichkeiten zum Schweigen zu bringen".
Muslime leiden unter islamischer Feindseligkeit
Hudhaifa Al-Mashhadani und seine Schule scheinen ein Beispiel dafür zu sein: Islamisch motivierte Bedrohungen richten sich oft gegen jene Muslime, die als nicht besonders religiös gelten. Die Politik hätte insofern drei Felder in der sogenannten Islamdebatte streng auseinanderzuhalten, jedenfalls nicht zu vermengen oder gar gegeneinander auszuspielen: Islamismusprävention, muslimisches Leben und rassistisch motivierte Islamfeindlichkeit.
Vom Cicero als einer gefragt, der die politische Szene in Neukölln besonders gut kennt, antwortete Al-Mashhadani: "Ich beobachte, dass die Muslimbrüderschaft versucht, Einfluss über junge Leute zu gewinnen – besonders in der SPD-Jugend, der Grünen-Jugend oder linken Gruppen." Nach dem vereitelten Anschlag verurteilte Berlins Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die "feige Tat" scharf und solidarisierte sich öffentlich mit Al-Mashhadani und seinem Engagement. Dieser beklagt, zwar würden auch Teile der SPD noch hinter ihnen stehen, doch "die Grünen und vor allem die Linke lassen es geschehen, dass wir islamistischen und extremistischen Milieus dann zum Fraß vorgeworfen werden". Dreißig Jahre lang habe sich der radikale Islam in Berlin ein Netzwerk aufbauen können, wogegen er zusammen mit Verbündeten leider stets vergeblich gekämpft hätte. Gleichzeitig sei nun auch die Tatsache, dass eine islamfeindliche, rechtsextreme Partei von einem Viertel der Gesellschaft gewählt werde, Anlass zu großer Sorge.
Angst für sich persönlich möchte der Schulleiter abwehren, zumal er seine Schülerinnen und Schüler nicht im Stich lassen dürfe und wolle. Er müsse nun aber mit der Gewissheit leben: "Es gibt Islamisten und Linksextreme, die mich töten möchten" – wogegen er sich nicht mehr geschützt fühle.







9 Kommentare
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Kommentare
Doro Müller am Permanenter Link
ob es der hpd glaubt, oder nicht, es gibt ihn, den "antimuslimischen Rassismus" – auch wenn der hpd etwas anderes suggeriert, mit der Bezeichnung "Kampfbegriff"
malte am Permanenter Link
Die Diskussion um den Begriff "Antimuslimischer Rassismus" taucht hier ja regelmäßig immer wieder auf. Meiner Meinung nach hat Armin Pfahl-Traughber hier gut erklärt, wieso der Begriff unangemessen ist:
https://hpd.de/artikel/antimuslimischer-rassismus-analytische-kategorie-oder-polemisches-schlagwort-16906
Doro Müller am Permanenter Link
@ malte Sagen Sie mir doch bitte einfach mit Ihren Worten, warum der Begriff "Antimuslimischer Rassismus" - für Sie - "unangemessen" ist. Danke.
Armin Pfahl-Traughbers Artikel "»Antimuslimischer Rassismus« – analytische Kategorie oder polemisches Schlagwort?" habe ich gelesen. Da gäbe es viel zu kritisieren, wenn man es denn wollte. Hier nur ein Punkt: Erst schreibt Pfahl-Traughber über "biologischen" / "biologistischen" Rassismus, Zitat: "Bedeutsam ist, dass eine biologische Kategorie als grundlegend gilt und es in dieser Hinsicht keine Veränderbarkeit gibt. Für die folgenden Ausführungen spielt keine Rolle, dass die Auffassung von einer "Rasse" mittlerweile als WISSENSCHAFTLICH ÜBERHOLT gilt." Und dann macht er diesen Rassismus, der nach eigener Aussage keine wissenschaftliche Grundlage hat, selber zum Mass der Beurteilung, Zitat Pfahl-Traughber: "Dabei verkannten die Anhänger des Konzepts "Kulturrassismus" indessen zwei Punkte: Zunächst ging damit die Ausweitung des eigentlichen Rassismus-Verständnisses einher, die INHALTLICHEN SPEZIFIKA entschwanden so aus der konkreten Wahrnehmung." Was für "inhaltliche Spezifika"? Der Klassiker, die Hautfarbe? Der klassische biologische Rassismus: Weiß gleich intelligent, Schwarz gleich dumm? Hatte Pfahl-Traughber nicht gerade selber festgestellt, dass das wissenschaftlich unhaltbar ist?
malte am Permanenter Link
Muslime in Deutschland sind häufig von Rassismus betroffen. Das hat aber nichts mit ihrer Religion zu tun.
Außerdem sehe ich die Funktion kritisch, die der Begriff "Antimuslimischer Rassismus" im Diskurs erfüllt. Er dient letztlich dazu, jede auch noch so differenzierte und emanzipatorische Kritik am Islam als rassistisch zu diskreditieren. Im Fall Martin Hikel wird es sogar noch absurder: Hikel wurde zum Vorwurf gemacht, dass er den Begriff NICHT verwendet.
Ganz generell habe ich ein Problem mit der Begriffserweiterung, die die Bezeichnung "Rassismus" erfahren hat. In der Wissenschaft und in der politischen Debatte wird ganz selbstverständlich zwischen Antisemitismus und Antijudaismus differenziert. Wieso ist eine ähnliche Differenzierung beim Thema Rassismus nicht möglich?
Was Pfahl-Traughber mit "inhaltlichen Spezifika" meint, ist ziemlich klar: Spezifisch für den Rassismus ist, dass er sich auf angeborene, unveränderliche Merkmale bezieht, die außerhalb der Kontrolle des Individuums liegen. Auf kulturelle Phänomene trifft das nicht zu.
Inseljunge am Permanenter Link
Es ging ja wohl nicht darum, ob es das Phänomen und den Begriff "antimuslimischen Rassismus" überhaupt gibt, sondern eher darum, ob der Begriff in der hier beschriebenen Situation zutreffend und stichhaltig
Die Verflachung und Aushöhlung zum reinen "Kampfbegriff" findet ja durch diejenigen statt, die kritische Auseinandersetzung mit dem Islam und Islamismus damit belegen. Ziel kann dabei ja nur sein, jede Kritik an einer Weltanschauung absichtlich falsch auf Personen und deren Herkunft/Ethnie zu beziehen, um so jede echte, argumentative Auseinandersetzung zu vermeiden oder zu beenden.
Das ist ebenso dumm und böswillig, als würde man Kritik z. B. an katholischem Gedankengut dadurch abwehren wollen, dass man einfach "katholikenfeindlichen Rassismus" unterstellt.
PJ am Permanenter Link
Hallo Frau Müller,
Ich finde Ihre Aussage gefährlich, da Sie legitime Kritik am Islam sehr schnell mit dem Kampfbegriff labeln und den Kritiker damit direkt in die Ecke des Rassisten drängen.
Aus eigener Erfahrung: Ich habe einmal einem Arbeitskollegen (strenggläubiger Moslem) gesagt, dass die Unternehmensregeln mehr Gewicht haben als religiöse Normen. Es ging hierbei um Gebetszeiten und ob ich aus einem Termin mit dem CEO herausgehen würde.
Lange Rede, kurzer Sinn: Der Arbeitskollege ist zu einer Behörde gegangen und wollte mich wegen Diskriminierung anzeigen. Es ist nie zu einer Anzeige gekommen.
Nun frage ich Sie: Ab wann hört legitime Kritik auf?
Nach der oben-beschriebenen Erfahrung bin ich sehr kritisch. Leider gibt es viel zu viele Menschen, die nicht einmal mehr die vorsichtigste Kritik oder das Infragestellen von Glauben hinnehmen können und sofort mit Kanonen auf Spatzen schießen.
Gita Neumann am Permanenter Link
Zum Verständnis der Paradoxie: Der Begriff "antimuslimischer Rassismus" wurde im (erfolgreichen!) Kampf für den Abgang des Bezirksbürgermeisters Martin Hikel (SPD) eingesetzt mit der Begründung.
Gita Neumann, Autorin des Beitrags
Roland Fakler am Permanenter Link
Warum kann eine Schule in Deutschland Mädchen zum Tragen eines Kopftuches zwingen?
A.S. am Permanenter Link
Aber eine grundsätzliche Frage:
Kann es "muslimische Säkularität" überhaupt geben?
Ich halte diesen Begriff für genauso verfehlt wie den "antimuslimischen Rassismus".