Der mutigste Mann, den ich kenne – so lobt die Integrationsbeauftragte des Berliner Bezirks Neukölln seinen Einsatz gegen kriminelle Machenschaften und islamistische Bedrohungen. Links-identitätspolitische SPD-Genossen haben allerdings Hikels Kurs angefeindet und ihm im November ausreichend Unterstützung zur neuen Kandidatur versagt.
SPD-Bezirksbürgermeister Martin Hikel (39) – hochgewachsen, eher schmächtig, gebürtiger Ost-Berliner, Lehrer, Familienvater zweier Kinder – ließ Shisha-Bars und Schnell-Restaurants auf illegale Aktivitäten durchsuchen. Solcher Verbundeinsätze mit Ordnungsamt, Polizei und anderen Behörden bediente er sich gegen kriminelle und gewalttätige Angehörige arabisch-stämmiger Großfamilien. Er initiierte Versuche, den Zusammenhalt zwischen den Bewohnern des Bezirks mit hohem Migrationsanteil zu stärken und ferner, überbordende Müllprobleme in den Griff zu bekommen.
Das war den an Identitätspolitik orientierten Parteilinken in der SPD insgesamt zu viel. Sie kritisierten scharf, traditionelle Verwandtschaftsstrukturen und kulturelle Besonderheiten würden durch antimuslimischen Rassismus vorverurteilt.
Hikel gegen "Clankriminelle" wie gegen "Hamas-Netzwerke"
Dabei gelten Teile des Bezirks deutschlandweit als Hochburg der Clankriminalität sowie gewalttätiger Auseinandersetzungen – zu denen auch einige radikale pro-palästinensische Demonstrationen beigetragen haben. Für die in Berlin-Neukölln geborene, aufgewachsene und lebende Güner Balci (50), Integrationsbeauftragte in ihrem Heimatbezirk, ist Hikel der mutigste und aufrechteste Politiker, den sie kenne. Sie erläuterte im Tagesspiegel: "Wenn er das nicht mehr macht, dann geht es hier den Bach runter". Neukölln werde bereits jetzt in Teilen von organisierter Kriminalität beherrscht. Ausgerechnet die Bewohner, die sich dagegen zur Wehr setzten, würden Gewaltvorfällen besonders ausgesetzt. Das seien etwa "Gewerbetreibende, die nicht die Hamas als Freiheitskämpfer betiteln wollen". Balci führte zu Hikel weiter aus: "Gemeinsam mit säkularen Muslimen im Bezirk kämpft er seit Jahren gegen Islamismus".
Damit habe er sich viele Feinde gemacht, so Balci weiter. Die extremistische Muslimbruderschaft mit ihren Verbündeten oder zumindest sie Verharmlosenden würden versuchen, Hikel zu diffamieren und politisch mundtot zu machen. Außer ihm habe kaum jemand "Hamas-Netzwerken und ihren Unterstützern angstfrei und entschlossen den Kampf angesagt", betonte sie. Teile der SPD würden eine islamistische Bedrohungslage lieber ignorieren. Innerhalb seiner Partei agierten einige Hikel-Kritiker schlimmer als seine ärgsten politischen Feinde. "Und sie machen das intensiv und im Schulterschluss mit Teilen der Landes-SPD", so Balci. Sie nannte dabei den Namen des SPD-Fraktionschefs im Berliner Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, der den Kampf gegen "antimuslimischen Rassismus" gerne in der Berliner Verfassung hätte. Saleh gilt als Strippenzieher und Machtpolitiker, der – stets bemüht, seinen Einfluss zu sichern – je nach Opportunität mit diesen oder jenen Kräften paktiert: gegen Hikel mit den Parteilinken. Tatsächlich hat Saleh es versäumt oder umgangen, sich einmal explizit zum Hamas-Terrorangriff zu äußern.
Säkulare arabisch-deutsche Schule als Leuchtturm und Hassobjekt
Hikel verstetigte auch den nötigen Polizeischutz für die säkulare arabisch-deutsche Schule für Sprache, Bildung und Sport "Ibn Khaldun", die unter ständigen Attacken und Drohungen zu leiden hat – bis hin zum jüngsten als Mordversuch eingestuften Angriff auf ihren Leiter (und Kritiker islamistischer Netzwerke) durch einen Tatverdächtigen (mit palästinensisch weiß-rotem Kufiya-Tuch). Die Schule in der Nähe des zentralen U-Bahnhofes Neukölln gilt aufgrund ihrer Gegnerschaft zu religiösem Fanatismus und Antisemitismus als Hassobjekt: Fundamentalistische Islamvertreter haben sie ebenso im Visier wie radikale "Propalästina-Aktivisten", zumal sich das Kollegium für einen Austausch mit israelischen Schülern und Schülerinnen einsetzt.
Schmierereien mit eindeutigen Drohbotschaften sind an der Tagesordnung, es kam auch schon zu einem Steinwurf durchs Klassenzimmerfenster. Trotz der Sicherheitsgefährdungen und Anfeindungen melden muslimische und säkulare arabische Eltern ihre Töchter und Söhne vermehrt bei dieser Bildungsstätte an. Sie erfreut sich seit ihrer Gründung vor fünf Jahren mit nunmehr 700 Schülern und Schülerinnen wachsender Beliebtheit – als Alternative zu orthodox-islamischen Angeboten. Dazu gehören in den Neuköllner Hinterhöfen solche Koranschulen, die etliche Erwachsene aus ihren Herkunftsländern noch allzu gut kennen. Der in Bagdad geborene Leiter Hudhaifa Al-Mashhadani (44) kündigte an, sich trotz schon vieler vorausgegangener Einschüchterungen ("Wir beobachten dich") nicht von seinem Toleranz- und Demokratieverständnis abbringen zu lassen. Dazu gehöre ein humanistisches Bildungsideal, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung, die strikte Trennung von Staat und Religion und die Kritik an Judenhass und islamistischer Ideologie.
Unterwanderungen und Gefahren durch Muslimbruderschaft
Al-Mashhadani sagte im Cicero-Interview über Hikel: "Ohne ihn hätten wir unsere Arbeit niemals machen können. Er war stets auf der Seite säkularer und gemäßigter Vereine, Organisationen, Gewerbetreibende und Familien, die in Neukölln einfach nur ein normales Leben fernab von religiöser Indoktrination und Clan-Kriminalität führen wollen. […] Hikel hat jedes Jahr das Fastenbrechen auf der Sonnenallee begleitet – mit tausenden Muslimen." Hikels Widersacher nutzten den Begriff "antimuslimisch" gegen ihn "völlig an der Realität vorbei" und allein, um ihn loszuwerden.
Eine schleichende Gefahr für die Gleichberechtigung durch islamistische Gruppen äußere sich unter anderem in Kindergärten, in denen Jungen und Mädchen unterschiedlich behandelt würden. Nach weiteren islamistischen Unterwanderungsstrategien gefragt als einer, der die Neuköllner Politszene gut kenne, antwortete der Schulleiter: "Ich beobachte, dass die Muslimbrüderschaft versucht, Einfluss über junge Leute zu gewinnen – besonders in Teilen der SPD-Jugend, der Grünen-Jugend oder linken Gruppen."

Immerhin würden auch Teile der SPD noch hinter ihnen stehen, doch "die Grünen und vor allem die Linke lassen uns im Stich" und ließen es geschehen, "dass wir islamistischen und extremistischen Milieus dann zum Fraß vorgeworfen werden". Al-Mashhadani ist sich sicher: "Es gibt Islamisten und Linksextreme, die mich töten möchten". Nach dem am 14. November vereitelten Anschlag auf ihn solidarisierte sich der Berliner Kai Wegner (CDU) öffentlich und verurteilte die "feige Tat" – bei der jetzt der Staatsschutz für politische Angelegenheiten ermittelt. Nach Martin Hikels Abgang bestehe, so Al-Mashhadani Anlass zu sehr großer Sorge, wobei er persönlich aber keine Angst habe.
Die Neuköllner Sonnenallee als migrantischer Anziehungspunkt
Auch Martin Hikel hat sich nicht einschüchtern lassen. Er will vielmehr deshalb nicht erneut für sein Bürgermeisteramt kandidieren, weil bei der Wahlunterstützung ein für ihn entscheidender Anteil von mehr als 25 Prozent der eigenen Genossen gegen ihn gestimmt hat. Darüber berichteten auch Medien wie der Spiegel. Hikel wird ein in manchen Kreisen verpönter Law and Order-Kurs vorgeworfen. Dabei haben unter Schutzgelderpressungen der von ihm bekämpften Kriminalität vor allem die muslimischen Ladenbesitzer in dem Abschnitt der Sonnenallee zu leiden, der Berlins "arabische Straße" genannt wird. Hikel gibt im Interview mit der Zeit an: "Ich kann die Sonnenallee noch entlanglaufen" – wobei ihm arabische Jugendliche "Hey Bürgermeister" zuriefen.
Der Noch-Bürgermeister, so heißt es nun aus der Neuköllner SPD nach seinem Rückzug, habe "unter oftmals schwierigen Rahmenbedingungen mit großem Einsatz dazu beigetragen, den Bezirk zusammenzuhalten, sozialen Ausgleich zu sichern und politische Schwerpunkte der SPD voranzubringen." Der Verwaltungsbezirk Neukölln zählt mit über 300.000 Einwohnern, die aus 160 Nationen stammen, zu den am dichtesten besiedelten Innenstadtgebieten in Deutschland.
Dabei umfasst die im Brennpunkt stehende Gegend um die Sonnenallee nur einen kleinen Bereich vom multikulturell geprägten Neukölln. Am Ende dieser Straße befand sich einst der südliche Grenzübergang von West- nach Ost-Berlin. Ab den 1970ern zogen viele Libanesen und staatenlose Palästinenser auf der Flucht vor dem libanesischen Bürgerkrieg in die Gegend, wo sie günstige Wohnungen vorfanden. In freigewordenen Ladenflächen eröffnen sie Geschäfte für Obst und andere Lebensmittel, Brautmoden und Elektronik, Shisha-Bars, Schawarma-Imbisse, Restaurants und Bäckereien mit kulinarischen Spezialitäten.
Seit gut 15 Jahren sind Teile des Bezirks Neukölln mitgeprägt durch eine sogenannte Hipster-Kultur mit wenig Neigung zu pragmatischen Verbesserungen und ein studentisches Milieu mit politisch links-queerer, antikolonialistischer und antipatriarchaler Ausrichtung. In diesen Kreisen geht es eher um Stilfragen, Symbole, Abgrenzungen zum Mainstream, Identitäten und oft sinnlose Debatten zur richtigen oder falschen Wortwahl (sogenanntes "Wording", wozu auch die Sprachregelung des Genderns gehören kann).
Als viele syrische Geflüchtete nach Berlin kamen, war die Sonnenallee dann vermehrt wieder der erste Anlaufpunkt, um familiär und kulturell zusammenzuhalten, einzukaufen, eigene Läden zu eröffnen und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Doch diese Gemengelage kann sich auch zu Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen entwickeln und zum Nährboden für Kriminalität und Gewalttätigkeit.
Wenn jemand tut, was er vor der Wahl gesagt hat
Hikels Politikstil brachte ihm große Sympathien, allgemeine Anerkennung und den Co-Parteivorsitz im Berliner SPD-Landesverband ein (in Konkurrenz zum mächtigen Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh). Demgegenüber wurde er von einer Minderheit von wohl radikal-links zu verortenden Parteigenossen und Jusos auf Bezirksebene angefeindet und abgestraft. Vielleicht hatten auch diejenigen, die ihm nur einen Denkzettel verpassen und ihn schwächen wollten, damit nicht gerechnet: Mit einem Politiker, der tatsächlich nach einer Wahl genau das tut, was er vorher angekündigt hatte.
Hikel betont, er habe schon frühzeitig im Kreisverband kommuniziert, dass für ihn eine erneute Kandidatur zum Bezirksbürgermeister nur denkbar ist, wenn es dafür eine breite Unterstützung gibt. Eine Rückendeckung von gut drei Viertel der Stimmen, also mindestens 75 Prozent, brauche es einfach, um dort weiterhin erfolgreich und SPD-Spitzenkandidat sein zu können. Das Ergebnis: Er erhielt als alleiniger Bewerber um das Amt 68,5 Prozent.
Die parteiinterne Kritik, dass Hikel zur Diskriminierung beitrage, indem er die Formulierung "antimuslimischer Rassismus" bewusst vermeide, weist Balci zurück. Dies sei vielmehr ein ideologischer Kampfbegriff: "Wer heute von antimuslimischem Rassismus spricht, will den grassierenden Antisemitismus relativieren und den Islamismus. Das geht so weit, dass manche behaupten, es gebe keinen Islamismus" – und dieses Wort ächten und gänzlich tilgen wollten. Auch die abgehobene Kontroverse über den Begriff "Clan" hält sie für widersinnig: "Es interessiert hier in Neukölln keine Sau, ob man unter Clan eine Familie versteht oder eine mafiöse Struktur." Nicht das Wording, sondern diese Fakten interessierten: "Wir haben zunehmend Messerstechereien und Schießereien in diesem Milieu."
Das Fazit der Neuköllner Integrationsbeauftragten: Diejenigen, die daran beteiligt waren, Hikel abzuservieren, "können gar nicht ermessen, welchen Schaden sie der Partei und sich selbst zugefügt haben."








9 Kommentare
Kommentar hinzufügen
Netiquette für Kommentare
Die Redaktion behält sich das Recht vor, Kommentare vor der Veröffentlichung zu prüfen und über die Freischaltung zu entscheiden.
Kommentare
Jörn am Permanenter Link
Bei der SPD gibts Linke? Nu hört aber auf :)
malte am Permanenter Link
Kann man wirklich sagen, dass Hikels parteiinterne Kritiker zur "Parteilinken" gehören?
Roland Fakler am Permanenter Link
Die Lösung des Problems beginnt in den Schulen.
SG aus E am Permanenter Link
Den für alle verbindlichen Ethikunterricht gibt es in Berlin.
Das ist doch das Problem von Hikel und Balcı, dass deren Vorstellungen vom Leben sich oft nicht decken mit denen der Leute, die in Neukölln leben.
Roland Fakler am Permanenter Link
@SG Islamisten wollen hier den Gottesstaat schaffen, vor dem Millionen Muslime geflüchtet sind, weil der nicht-existierende Gott es angeblich so befohlen hat. Geht's noch dümmer?
Einen Gottesstaat, wie ihn sich die Islamisten vorstellen, in dem nämlich Muslime herrschen und bestimmen sollen, werden wir uns nicht gefallen lassen. Das gäbe Bürgerkrieg. Das widerspricht allen unseren Wertvorstellungen, der Demokratie, den Menschenrechten, der deutschen und europäischen Verfassung. Privat kann jeder seine Religion leben, solange er nicht auf diese dumme, faschistische Art herrschen will....und das sollte man schon den Kindern in den Schulen beibringen. Unsere Freiheit wird verteidigt....und Leute, die diesen Gottesstaat wollen, gehören nicht hierher.
SG aus E am Permanenter Link
"Einen Gottesstaat, wie ihn sich die Islamisten vorstellen, [...] werden wir uns nicht gefallen lassen." — Das denke ich auch. Ist einfach nicht mehrheitsfähig. Warum also die Aufregung?
"... und Leute, die diesen Gottesstaat wollen, gehören nicht hierher." — Es ist und bleibt eine Unsitte der Rechten, missliebige Leute einfach ausweisen zu wollen. Machen Sie das mit Sachsen auch so? Warum nicht?
Gerd am Permanenter Link
Rahed Saleh ist gebürtiger Palestinenser, das gehört für diesen Artikel dazu!
Uli Schoppe am Permanenter Link
Ja? Warum? Was ergibt sich denn daraus als was jemand geboren ist?
Ich bin gebürtiger Grevenbroicher, irgendwie Schlesier, meine Regierung hat da sogar mal Flüchtlingsausweise verteilt und auch Geld. Bin ich dann vielleicht noch Pole und muß mich für PIS begeistern? Oder wie muß ich mich einbringen? Auch wenn Schlesien nie mein war?
Ergeben sich daraus irgendwie Eigenschaften?
Muß ich mich jetzt rechts autoritär betätigen? Wenn ich das nicht mache, ist dann genetisch bei mir was schief gelaufen?
Stammesdenken geht anscheinend nicht nur irgendwie von links...
A.S. am Permanenter Link
Die Berliner SPD hat wohl ein selbst verschuldetes Problem namens Raed Saleh.