Zum Attentat auf Salman Rushdie

Gibt es eine islamische Bringschuld?

Es gibt im Islam Problemfelder, die nicht zu leugnen sind, und es liegt an den Muslimen, diese zu bearbeiten und eine Lehre zu etablieren, die weltweit keinen Spielraum für tödliche Fatwas lässt. Das findet der österreichische Autor Niko Alm.

Ob das Attentat auf Salman Rushdie vom 12. August mit der 1989 ausgesprochenen Fatwa in direktem Zusammenhang steht, ist beim Schreiben dieses Textes noch nicht zweifelsfrei festzustellen. Der Täter hat seine Motive noch nicht offen gelegt – zumindest nicht der Öffentlichkeit gegenüber. Unabhängig von der Klärung dieser Frage legt aber schon die Existenz dieser islamischen Rechtsauskunft mit Tötungsabsicht alleine der Religion und ihren verschiedenen Institutionen, Muslimen, aber auch Staaten wie Österreich, die dem organisierten Islam und seinen Anhängern eine privilegierte Stellung in der Republik einräumen, einen gewissen Druck auf, sich zu erklären.

Fatwa

Selbstverständlich verurteilen viele Muslime, islamische Verbände und Institutionen die Tat; was aber nicht gelingt und auch nicht gelingen kann, ist, die mit Kopfgeld unterlegte Treibjagd auf Rushdie, die schon zu anderen Attentaten (auch mit tödlichem Ausgang) geführt hat, als etwas hinzustellen, das mit der Religion nichts zu tun hat.

Diese Fatwa ist ohne Zweifel eine islamische Angelegenheit, die von nennenswerten Teilen der islamischen Welt und Muslimen unterstützt, akzeptiert oder zumindest stillschweigend geduldet wird. Und nein, mir liegen keine Zahlen darüber vor, wie hoch der Anteil jener ist, die dieses Attentat und die Fatwa an sich billigen. Die letzten Umfragen, die ich dazu gefunden habe, sind Jahrzehnte alt. Es wäre aber durchaus interessant, hier aktuelle Werte abzufragen und sich dabei auf einen Anteil zu einigen, der klein genug ist, um von einem Randgruppenphänomen auszugehen. Dass die Mehrheit der Muslime der Fatwa nichts abgewinnen kann und auch einander widersprechende Fatwas möglich sind, reicht als Abgrenzung und Erklärung nicht aus. Die Aggression gegen Rushdie als Wirkung eines radikalen Islam zu sehen, mag angemessen sein, aber die Wortwahl alleine sagt auch nicht viel über das Ausmaß des Zuspruchs aus. Als gesichert festgehalten werden darf, dass ein Kopfgeld von mehreren Millionen Dollar auf Rushdie angeboten wurde. Auch Reaktionen auf das Attentat fielen mitunter freudvoll aus und es wäre schön, wenn es sich tatsächlich um ein paar Ausreißer handelte. Wetten würde ich darauf nicht.

Monolithischer Block

Auch jemand, der sich nicht mit dem Islam beschäftigt, nimmt die Religion nicht als jenen monolithischen Block wahr, der einleitend oft als Strohmann in Stellung gebracht wird, um zu erklären, dass man differenzieren müsse. Wir dürfen aber annehmen, dass der durchschnittlich aufmerksame Medienkonsument, also der ORF-Normalverbraucher, schon von Sunniten, Schiiten, Salafisten, Wahhabiten, Taliban, etc. gehört hat und hier nicht von Synonymen für Muslime ausgeht. Wohlgemerkt, es gibt überhaupt keine Verpflichtung, ein Interesse für die verschiedenen Strömungen, Rechtsschulen, Glaubensgrundsätze usw. – kurz eine Holschuld für die Interna einer Religion zu entwickeln. Das mag für ein noch gedeihlicheres Zusammenleben zwar förderlich sein, aber es ist eine Fleißaufgabe. Der gesellschaftliche und politische Ausfluss von Religion alleine ist es, der zur Bewertung für den Außenstehenden als Grundlage seiner Einordnung und Kritik reicht. Wenn also von unbeteiligten Dritten verlangt wird, zu differenzieren, dann müssen die Grundlagen dieser Unterscheidbarkeit in klarer Terminologie angeboten werden. Das ist eine Bringschuld jener Teile eines aufgeklärten Islams, die unverschuldet in Pauschalverurteilungen aufgenommen werden und es ist verständlich, dass das unangenehm ist und als unfair empfunden wird. Aber die Arbeit muss getan werden.

Belastendes Erbe

Auch Protestanten wollen nicht die Positionen der katholischen Kirche zu Frauen und Homosexuellen als gleichermaßen christliche teilen, und trotzdem wurzeln unmoderne und inhumane Haltungen als gemeinsames Erbe in Glaubenslehren. Beim Islam ist es genauso.

Die Fatwa in dieser wurde ja nicht von radikalen Muslimen der Gegenwart erfunden. Apostasie, also der Abfall vom Glauben, wird noch immer in etlichen islamischen Ländern mit dem Tod bestraft. Es gibt im Islam Problemfelder, die nicht zu leugnen sind und es liegt an den Muslimen, diese zu bearbeiten und eine Lehre zu etablieren, die weltweit keinen Spielraum für tödliche Fatwas lässt. Wenn hier Abgrenzungen gesehen werden sollen, dann müssen sie sehr deutlich gemacht werden.

Und generell muss auch die Frage gestellt werden, warum man überhaupt Teil – auch einer aufgeklärten – islamischen Glaubensgemeinschaft sein will, deren übergreifendes Erbe derart abstoßende Praktiken enthält. Ein moderner Islam, der sich als Religion in liberale Gesellschaften tatsächlich einfügen will, sollte besser erkennbar werden und auch einen Namen tragen, der Verwechselungen ausschließt.

Gibt es also eine islamische Bringschuld?

Natürlich muss sich niemand für Dinge erklären, die er nicht gemacht hat und die eigene ideologische Gesinnungsgemeinschaft auch nicht verantworten muss, aber das erfordert, den Anspruch einer großen Weltreligion mit vielen Anhängerinnen aufzugeben und nachvollziehbare Terminologien und Praktiken einer Emanzipation einzelner Strömungen einzuführen. Das Problem liegt darin, dass der organisierte Islam gleichzeitig als Einheit und differenziert wahrgenommen werden will.

Im Gegensatz zum Christentum, für das auch der Gesetzgeber verschiedene Konfessionen separat anerkannt – manchmal auch wie bei Orthodoxen und Evangelikalen als Bündel – wird der Islam mit dem Islamgesetz aus 2015 als der monolithsche Block gesehen, den es dann, wenn es nicht passt, nicht geben soll.
Diese Einheit ist aber von beiden Seiten so gewollt. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) hatte schon in ihrer Verfassung 2009 einen Alleinvertretungsanspruch für Muslime formuliert, der in späteren Versionen so nicht mehr zu finden war: "Artikel 1 (5) Der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gehören alle Muslime/innen (ohne Unterschied des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Rechtsschule und der Nationalität) an, welche in der Republik Österreich ihren Hauptwohnsitz haben." Das geht so weit, dass sich islamische Vereine, die sich nicht als Teil der IGGÖ sehen, aufgelöst werden. Das ist übrigens auch mit individueller und korporatistischer Religionsfreiheit nicht vereinbar und verdeutlicht die opportunistische Prinzipienlosigkeit des Gesetzgebers in Angelegenheiten Religion.

Tatsächlich zerfallen alle großen Religionen in viele Sekten und noch viel mehr Strömungen bis hin zu persönlichen Interpretationen des Glaubens und der Stellung zur Gemeinschaft. Ein Staat wie Österreich, der ein kooperatives Staatsreligionenmodell fährt, erlegt sich selbst auch die Pflicht auf, diese Unterscheidbarkeit zu schaffen. Besser wäre es naturgemäß, dem Islam und allen anderen gesetzlich anerkannten Religionen ihre privilegierten Rechtspersönlichkeiten und die damit verbundenen Bevorzugungen zu entziehen.

Der Text wurde erstmals im Blog "Ohne Bekenntnis" am 14.08.2022 veröffentlicht. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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