Interview mit dem Philosophen und Schriftsteller Rachid Boutayeb

"Integration hat immer was Aggressives und Vereinnahmendes"

BERLIN. (hpd) Beim Alibri Verlag erschien Anfang des Jahres das aktuellste Buch von Rachid Boutayeb. Joachim Werner Münch fragte den Autoren nach seinem Verständnis von Satire, weshalb die Handlung des Buches in einem Bordell spielt und was Integration für seine Protagonisten und für ihn bedeutet.

J.W. Münch: Herr Boutayeb, Sie haben zuletzt ein satirisches Werk veröffentlicht, "German Dream, oder die islamische Mission in Frankfurt am Main". Was heißt Satire für Sie? Und was verstehen Sie unter einer philosophischen Satire?

Boutayeb: Satire heißt Kritik, unbedingte Kritik an den Missständen der Welt und der Realität, die wir meistens tabuisieren oder im besten Fall einseitig thematisieren. Und eine philosophische Satire ist eine Satire, die sich auch mit der Scheinwelt der verbreiteten Klischees auseinandersetzt; mit den Lügen, die man als Wahrheiten verkauft, mit der Bewusstseinsindustrie. Sie operiert jenseits von Begriffen und Theorien, in denen wenig Witz und dadurch auch wenig Seele, wenn nicht auch kaum Kritik vorhanden ist.

Cover

Aber warum haben Sie sich ein Bordell als Handlungsort ausgesucht?

Ich mache gar keinen großen Unterschied zwischen dem Bordell und der Welt drum herum. Ich fürchte, wir leben schon alle in einem großen Bordell, wo alles den Gesetzen des Kaufens und Verkaufens unterworfen ist. Nicht vergessen, dass die Geschichte des Kapitalismus mit dem Bordell angefangen hat.

Um den Kapitalismus mit seinen Sonnen- und Schattenseiten zu verstehen, brauchen wir keine politische Ökonomie, sondern nur ein Blick in das Innere eines Bordells zu werfen. Also, ich habe persönlich das Bordell nicht ausgewählt, sondern das Bordell hat sich mir aufgedrängt. Wer noch nicht sieht, dass wir in einem großen Bordell leben, sollte ein Blick in ein kleines Bordell werfen oder einfach meine Satire kaufen, sie ist bestimmt günstiger zu haben.

Die Protagonisten Ihrer Satire sind alle irgendwie gescheiterte Existenzen? Ist für Sie Integration damit auch generell gescheitert?

Ich bin kein Pessimist, aber gleichzeitig auch kein Hegelianer. Ich ziehe das Wort Zusammenleben vor. Integration hat immer was Aggressives und Vereinnahmendes.

Die Protagonisten meiner Satire wollen und können auch nicht vereinnahmt werden. Sie sind zwar gescheitert, aber sie haben ihre Seele nicht verkauft. Sie lieben Deutschland, obwohl sie auch hier kein echtes Zuhause haben. Sie sind dazu verdammt, Fremde zu bleiben. Sie haben kein Land, deshalb haben Sie mehrere. Die eine Mauer ist gefallen, aber andere Mauern werden aufgebaut, sagte einer von denen. Die Satire ist der Versuch, dieser Mauern bloßzustellen. Sie ist auch eine politische Satire im wahrsten Sinne des Wortes. Das Politische fängt bekannterweise im Privaten an.

Rachid Boutayeb
Rachid Boutayeb

Die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland und Europa, aber auch einige deutschsprachige Autoren aus der Islamischen Welt führen gescheiterte Integration, aber auch Terrorismus im Wesentlichen auf den Islam zurück. Was ist Ihre Position dazu?

Diejenigen, die das glauben und verbreiten, wissen ganz wenig über den Islam, was an sich nicht problematisch ist, aber sie wissen auch kaum etwas über die Realität des Kapitalismus.

Die Krisen der Gegenwart auf den Islam zu schieben, gleicht der alten Suche nach Sündenböcken, wofür früher das Judentum herhalten musste. Wie bereits damals, lassen sich auch einige Philosophen in den Islamophoben Diskurs hineinziehen. Sloterdijk schrieb, Muslim und Bürger zu sein, sei unvereinbar, und Zizek versäumt zu erkennen, dass der Terrorismus eine objektive und keine subjektive Gewalt ist. Es handelt sich um eine Gewalt, die aus der Moderne und nicht aus dem Islam entstanden ist.

Das Interview führte Joachim Werner Münch.