Bremen: Eine Hochburg der Evangelikalen

Religionsvertreter und insbesondere Evangelikale sind gut vernetzt in der Bremer Stadtgesellschaft. Herbert Thomsen vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) Bremen gibt einen Überblick über die derzeitige Situation.

Die jetzige Leitung der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) wird getragen von einem Bündnis aus den Gemeinden der "besseren" Stadtviertel, angeführt von der Domgemeinde, in denen Menschen mit hohem Einkommen, vor allem aus der "ehrwürdigen Bremer Kaufmannschaft", wohnen und kirchlich engagiert sind sowie den acht evangelikalen Gemeinden innerhalb der BEK.

Bremen ist eine Hochburg der Evangelikalen, sowohl innerhalb der evangelischen Amtskirche als auch gemessen an der Zahl der evangelikalen Freikirchen sowie den von diesen zum Teil gemeinsam betriebenen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder Wohlfahrtseinrichtungen. Innerhalb der BEK haben die Evangelikalen ein großes Gewicht.

In Bremen-Stadt gibt es 60 evangelische Kirchengemeinden. Davon gehören acht zur Evangelischen Allianz, dem Dachverband der Evangelikalen. Zusätzlich gibt es innerhalb der BEK zwei "landeskirchliche Gemeinschaften" und etliche Zuwanderergruppen, die ebenfalls dem evangelikalen Spektrum zuzuordnen sind. Verglichen mit traditionell evangelisch geprägten Großstädten wie Hamburg, Berlin oder Hannover weist Bremen in absoluten Zahlen mehr evangelikale Gemeinden innerhalb einer Landeskirche auf, selbst als die dreimal so große Stadt Hamburg oder das fünfmal so bevölkerungsreiche Berlin.

Innerhalb des Kirchenparlaments stellen die Evangelikalen etwa 15 Prozent der Delegierten. In Bremen ist die größte evangelikale Schule und das größte evangelikale Sozialwerk Deutschlands angesiedelt. Die Hälfte der sonntäglichen GottesdienstbesucherInnen lauschen in den evangelikalen Gemeinden. In vielen anderen "normalen" Gemeinden kommen neben Grauhaarigen noch einige KonfirmandInnen. 

Je eine Abgeordnete der SPD, der FDP und der CDU im Bremischen Landesparlament sind engagierte Evangelikale, außderdem gibt es zwei AnhängerInnen des politischen Islam.

Wie andere Großstädte auch weist Bremen eine erhebliche soziale Spaltung auf. Es gibt eine Reihe von Stadtteilen, die neben einem hohen Durchschnittseinkommen auch einen überdurchschnittlichen kirchlichen Organisationsgrad aufweisen. Hier tummeln sich christliche Personen aus hohen staatlichen Behörden zusammen mit dem alteingesessenen Bildungsbürgertum und Klein- bis zu Großunternehmern in den Kirchenvorständen, Bauherrengremien und Diakonien der Innenstadtkirchen.

In der Domgemeinde, der größten Kirchengemeinde Bremens, kommen die feinen Leute aus der ganzen Stadt zusammen, denn in Bremen kann mensch sich seine/ihre Lieblingskirche aussuchen. Die Domgemeinde stellt in der Landeskirche die Vorsitzende und den Schatzmeister, immerhin zwei von vier direkt gewählten Posten in der Kirchenleitung. Diakonie und Kirchenvorstand der Domgemeinde spiegeln das Who-is-Who der reichsten Bremer Familien, altem deutschen Adel und solchen, die unbedingt dazugehören wollen.

In den Kirchengemeinden am Stadtrand und den alten "Arbeitervierteln" wird bei Personal und Sachmitteln gespart, Gemeinden fusioniert, Konfirmandengruppen von mehreren Gemeinden zusammengelegt und in den Gemeindeblättern ist die Liste der Verstorbenen um ein Vielfaches länger als die der Getauften. Viele "normale" Kirchengemeinden des Stadtrandes sind im Kirchenvorstand und in den ständigen Kirchenausschüssen nicht mehr vertreten. Viele dieser Gemeinden bekommen kaum noch die notwendige Zahl von Personen zusammen, die sich in Kirchenvorstände wählen lassen. Die "normalen" Menschen sind weg, es bleiben die "Alten" und die Bibeltreuen.

Hier liegen auch die Gemeinden der Evangelikalen, die dank eigener Mittel  relativ stabil agieren. Viele Bibeltreue sind in diese Gemeinden gewechselt und sie haben Mittel für zusätzliches Personal. Auch dies begründet den Zuwachs des Einflusses der Evangelikalen.

Historie des Wandels

Über Jahrzehnte galt die Bremische Evangelische Kirche als Hort der linksliberalen Pastorenschaft. Bremer BEK-Pastoren fanden sich auf Anti-AKW-Demos und halfen, Straßen gegen Raketen- und Truppentransporte zu blockieren. Viele marschierten am 1. Mai mit dem DGB durch die Stadt und tranken anschließend bei den kommunistischen Maitänzen an reservierten Tischen ihr Bierchen. Zwei aus diesem Spektrum schafften es auch an die theologische Spitze der Landeskirche, auf den Posten des Schriftführers.

Spätestens mit der Wahl einer neuen Kirchenleitung 2013 war es jedoch vorbei mit der "linken" Dominanz. Edda Bosse, geborene Lammotte (ihr Vater ist ehemaliger Chef der Industrie- und Handelskammer, ihr Bruder Aufsichtsratsvorsitzender der Sparkasse Bremen aus einer Handelsunternehmensgruppe mit 600 Beschäftigten; das Familienvermögen beträgt circa 300 Millionen Euro), aus der Domgemeinde wurde Vorsitzende der BEK.

Im Sommer darauf wurde Johannes Müller aus der evangelikalen Matthäus-Kirche mit der Leitung der zentralen Missionseinrichtung der Landeskirche "Lighthouse" beauftragt. Er war der örtliche Organisationsleiter des "Christival 2008", das in die Presse geriet, weil hier Konversionsseminare gegen Homosexualität angeboten werden sollten. "Lighthouse" ist neben einem missionarischen Angebot für Bremer Schulen (in Form der "Klassentage") in Gebäuden der Martinikirche des jüngst wegen Volksverhetzung verurteilten evangelikalen Pastors Olaf Latzel angesiedelt. Johannes Müller schreibt regelmäßig für den Gemeindebrief der Martinigemeinde und durfte gelegentlich als Latzels Urlaubsvertretung auf die Kanzel. Außerdem sitzt Johannes Müller in der Leitung der Evangelikalen in Bremen.          

Etliche Evangelikale sind vom Kirchentag in zentrale, ständig tagende Ausschüsse gewählt worden. Zahlreiche weitere Personal- und Finanzentscheidungen der Bremer Kirchenleitung lassen den Schluss zu, dass seit 2013 in der BEK ein faktisches Bündnis aus den Kirchengemeinden der "feinen Leute" und den Evangelikalen besteht.

Dabei mag sicherlich eine Rolle gespielt haben, dass viele den Evangelikalen zugetraut haben, den Mitgliederschwund der Kirche zu stoppen und intern wieder Schwung in den Laden zu bringen. Das hat bis heute nicht geklappt, die BEK weist bundesweit die höchsten Austrittsquoten aller Landeskirchen auf.

Durch den Streit um die vorläufige Dienstenthebung Olaf Latzels, des Pastors der Martini-Gemeinde, wird dieses Bündnis der "Feinen" mit den Evangelikalen nun auf eine harte Probe gestellt.

Einen weiteren Artikel zum Thema mit dem Titel "Das christliche Netz der Bremer Bourgeoisie" (2019) finden Sie hier.

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