Auch in Dortmund gilt: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!

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DORTMUND. (hpd) Am 25. Juni wird im Stadtrat von Dortmund darüber abgestimmt, ob die Stadt den Evangelischen Kirchentag 2019 wie von den Veranstaltern beantragt mit 2,7 Mio. Euro sowie zusätzlichen Sachleistungen unterstützen wird. Die Kunstaktion "11. Gebot: Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!" wird vom 23. bis 25 Juni in der Dortmunder Innenstadt gegen die geplante Subventionierung protestieren.

Mit einer knapp 3 Meter hohen Moses-Skulptur nebst einer Steintafel, auf der das 11. Gebot "Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!" verkündet wird, werden die Aktivisten auf die verfassungswidrige Praxis der öffentlichen Förderung von Katholiken- bzw. (evangelischen) Kirchentagen hinweisen. Hierbei werden sie von Mitgliedern der lokalen Gruppe "Religionsfrei im Revier" unterstützt.

Zusätzlich wenden sich die Aktivisten mit einem öffentlichen Brief an den Oberbürgermeister und die Ratsmitglieder. Diesen Brief dokumentiert der hpd in voller Länge:
 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Ratsmitglieder,

am 25. Juni werden Sie über die Gewährung eines Zuschusses an den Veranstalter des Evangelischen Kirchentages 2019 abstimmen. Hierzu möchten wir Ihnen gern ein paar zusätzliche Informationen und Denkanstöße liefern, damit Sie Ihre Entscheidung umfassend informiert treffen können.

Dortmund ist hoch verschuldet

Die Stadt Dortmund hat 2,4 Milliarden Euro Schulden (nach genauerer Rechnung sogar bereits 3,5 Mrd. Euro). Die Stadtkämmerei erwartet, dass der Schuldenberg in den kommenden 4 Jahren um weitere 273 Millionen Euro anwachsen wird. Sie als Stadtrat planen deshalb ein strenges Sparprogramm, um auf Dauer der Haushaltssicherung zu entgehen. Schmerzhafte Kürzungen bei kulturellen Veranstaltungen und öffentlichen Einrichtungen sind zu erwarten. So soll die allgemeine Kinder- und Jugendförderung von 968.683 Euro (2013) auf 710.000 Euro sinken (Seite 725 im Haushaltsplan 2015).

Angesichts dieser Schuldensituation hat Dortmund schlicht kein Geld, um den Kirchentag 2019 mit einem Zuschuss von 2,7 Millionen Euro zu finanzieren!

Milchmädchenrechnung: Kirchentage sind für den Stadtsäckel ein Verlustgeschäft

Laut "Ruhr Nachrichten" vom 12. Juni erwartet der Dortmunder Stadtdirektor Jörg Stüdemann, dass die Kirchentagsbesucher einen Umsatz von rund 20 Millionen Euro in die Stadt bringen werden. Seiner Ansicht nach rentiere sich daher eine städtische Förderung von 2,7 Millionen Euro.

Diese Annahme ist schlicht falsch: Umsätze sind nicht gleichbedeutend mit Gewinnen und vor allem sind Umsätze in der Stadt nicht gleichbedeutend mit Geldrückflüssen an die Stadt. Von Umsätzen in der Stadt profitiert die Stadt selbst auf direktem Wege nur durch die Gewerbesteuer. Beim aktuellen Gewerbesteuersatz der Stadt Dortmund müssten von den erwarteten 20 Millionen Euro Umsatz knapp 16 Millionen Euro - also 80 Prozent - Gewinn der Gewerbetreibenden sein, damit die beantragte Fördersumme von 2,7 Millionen Euro in den Stadtsäckel zurückfließt. Ein vollkommen unrealistischer Wert. Als Faustformel für den Anteil des Gewinns an einem erwirtschafteten Umsatz gilt im Gewerbe (jeweils branchenabhängig) ein Wert zwischen 3 und 10 Prozent.

Maximal 100.000 bis 340.000 Euro von der beantragten Fördersumme von 2,7 Millionen Euro würden danach zurück in den Stadtsäckel fließen.

Selbst dieser Wert ist wahrscheinlich noch viel zu hoch, da ein nicht unerheblicher Anteil der profitierenden Gewerbetreibenden (Standbau, Veranstaltungstechnik, etc.) nicht in Dortmund ansässig und damit auch nicht dort gewerbesteuerpflichtig ist.

20 Millionen Euro Umsatz und 40 Prozent Umsatzrückgang?

Selbst wenn man nicht auf die Rückflüsse in den Stadtsäckel abstellen und stattdessen die behauptete Umsatzsteigerung im Gewerbe zur Rechtfertigung für einen städtischen Kirchentagszuschuss genügen lassen wollte, so gilt es Folgendes zu beachten:

  1. Nach einer Marktforschungsstudie der Hochschule Bremen über die regionalwirtschaftlichen Auswirkungen des 32. Evangelischen Kirchentags 2009 verzeichnete der Innenstadteinzelhandel sogar ein deutliches Umsatzminus von bis zu 40 Prozent (S.44). Grund hierfür ist, dass viele Einwohner, die an dem Missionierungsspektakel bewusst nicht teilnehmen wollen, der Innenstadt lieber fern bleiben.

  2. Auch basieren die erwarteten 20 Millionen Euro Umsatz auf keiner nachgewiesenen Erhebung einer Stadt, in der ein Kirchentag stattgefunden hat, sondern allein auf Schätzungen der Kirchentagsveranstalter. Diese legen bei den angenommenen Ausgaben der Kirchentagsbesucher den Berechnungssatz für "normale" Städtetouristen zugrunde. Kirchentagsbesucher sind jedoch zum Großteil Low-Budget-Touristen, die in Turnhallen und nicht in Hotels übernachten und deshalb nicht so viel Umsatz generieren wie durchschnittliche Städtetouristen.

  3. Jeder Politiker sollte wissen, dass es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten effektiver ist, in langfristige und nachhaltige Projekte zu investieren, statt mittels hoher Einmalförderungen den Konsum kurzfristig zu steigern.

  4. Das Kulturbüro der Stadt Dortmund erhält jährlich (und nicht nur für 5 Tage!) ca. 2,5 Mio. Euro zur Unterstützung der freien Kultur in Dortmund. Trotzdem kann es ca. 390.000 Besucher vorweisen, was in etwa dem Vierfachen der prognostizierten Kirchentagsbesucherzahlen entspricht! Dies belegt, dass Besucher und Umsatz auch effektiver gesteigert werden können – und es zeigt, dass der beantragte Zuschuss für den Kirchentag im Vergleich schlicht unverschämt hoch ist.

  5. Als Fazit lässt sich festhalten: Die Behauptung, ein Kirchentag lohne sich finanziell für die Stadt, beruht auf einer Milchmädchenrechnung. Die Gewerbesteuereinnahmen können den beantragten Barzuschuss nicht ausgleichen und die Wirtschaft kann mit weniger Geld nachhaltiger gefördert werden.

Kirchentag für alle?

Die Finanzierung des Kirchentags durch öffentliche Gelder ist für die öffentliche Hand nicht nur ein finanzielles Verlustgeschäft, sie verstößt auch gegen die verfassungsrechtlich geforderte weltanschauliche Neutralität des Staates.

Denn es stimmt eben nicht – wie von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft behauptet – dass die Themen auf Kirchentagen "regelmäßig auch für die Gesellschaft als Ganzes von Bedeutung" seien. Im Gegenteil: Debatten, die weltanschaulich übergreifend relevant sind (wie z.B. die Globalisierungsproblematik), werden zwar gerne in den Fokus der Medien gestellt. Sie bilden aber nur einen kleinen Teil des Programms. Natürlich sind "über 1.000 Programmpunkte" eine stattliche Zahl. Doch den größten Anteil hieran bilden Bibelarbeit, christliche Gesänge und Messen. Es heißt nicht umsonst "KIRCHENtag" und nicht etwa "BÜRGERtag". Und nicht umsonst sagt Kirchentagspräsident Prof. Andreas Barner, dass es sich um ein "Fest des Glaubens" handelt. Es genügt auch nicht zu betonen, dass der Kirchentag formal allen Menschen offen stünde. Nach der eigenen Statistik des Kirchentags sind weniger als 3 Prozent der Besucher keine Christen.

Der Anspruch der Kirche, für alle Menschen in Deutschland zu sprechen, zeugt von zunehmender Realitätsferne! Immer mehr Menschen treten bewusst aus der Kirche aus, weil sie die Bevormundung durch Vertreter der christlichen Kirchen ablehnen. Für diese Menschen ist es ein Schlag ins Gesicht, wenn Sie durch den gießkannenartig ausgeschütteten Blankoscheck einer bestimmten Religion buchstäblich ihren Segen erteilen.

Religion ist nicht vergleichbar mit Sport- und Kulturförderung

Häufig wird unserer Forderung, die Subventionierung von Kirchentagen einzustellen, entgegengehalten, dass der Staat dann auch Kultur und Sport nicht fördern dürfe. Doch diese Ansicht verkennt, dass Religionen und Weltanschauungen einen Spezialfall bilden: Während die Schaffung kultureller Einrichtungen in § 8 Absatz 1 der Gemeindeordnung von NRW ausdrücklich erwähnt wird – würde die Förderung konfessioneller Glaubensfeste dem Verfassungsgrundsatz der Trennung von Staat und Kirche widersprechen: "Der Gedanke der Fürsorge des Staates in Glaubensangelegenheiten ist dem Grundgesetz fremd." (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 44, S. 37 [52 f.])

Auch das Bundesverwaltungsgericht hat hervorgehoben, dass das Neutralitätsgebot mit wachsender kultureller und religiöser Vielfalt und bei einem sich vergrößernden Anteil bekenntnisloser Menschen zunehmend an Bedeutung gewinne. Die tradierte Praxis der einseitigen Bevorzugung der christlichen Kirchen muss daher einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche weichen. Auch die Säkularisation ist eine Säule unserer Werteordnung – höhlen Sie die weltanschauliche Neutralität nicht aus, indem Sie das Grundgesetz gerade da missachten, wo es besonders darauf ankommt: Bei der Finanzierung!

Daher fordern wir mit unserer von der Giordano-Bruno-Stiftung unterstützten Kunstaktion die Einhaltung des 11. Gebots: "Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!"

Vorbild Münster: Kirchentag auch ohne Barzuschuss möglich!

Sollten Sie den beantragten Zuschuss gewähren, würde die öffentliche Hand zusammen mit den Subventionen von Bund und Land knapp 50 Prozent der Kosten des Evangelischen Glaubensfestes tragen!

Die NRW-Landesregierung hat - ohne weitere Prüfungen und im Schnellverfahren - eine Förderung in Höhe von 18 Prozent der Ausgaben des Kirchentags 2019 bereits durchgewunken. (Dies wären bei den veranschlagten Gesamtkosten von 18 Mio. Euro übrigens nur 3.240.000 Euro – Medien und Stadtverwaltung sprechen jedoch bereits jetzt von 5,2 Mio. Euro.)

Sie sollten trotzdem der Versuchung widerstehen, in einen "Durchwink"-Modus zu verfallen und ohne kritische Prüfung des Antrags dem Kirchentag 2019 einen Blankoscheck auszustellen.

Dass es möglich ist, sich dem Durchwinken zu verweigern, als Stadtrat eigene reflektierte Entscheidungen zu treffen und verantwortlich gegenüber der eigenen Stadt zu handeln, hat der Stadtrat von Münster bewiesen.

Im März 2015 lehnte er die beantragte städtische Förderung des dort stattfindenden Katholikentags 2018 in Höhe von 1,5 Millionen Euro ab. Angesichts der Schuldensituation der Stadt Münster hielt es der Stadtrat für unverantwortlich, diesen Zuschuss zu gewähren. Der Veranstalter des Katholikentags sieht sich trotz der ausgefallenen Fördersumme in der Lage, einen Katholikentag zu organisieren. Und auch seine Entscheidung für Münster als Austragungsort hat er trotz des abgelehnten Zuschusses beibehalten.

Wir appellieren daher an Sie:

Statt einen Kirchentagszuschuss in Millionenhöhe zu gewähren, nutzen Sie das Geld lieber für diejenigen, die – im Gegensatz zur evangelischen Kirche – keines haben! Anstatt bloß weitere Endlosdebatten auf dem Kirchentag zu finanzieren, bauen Sie Flüchtlingsheime, regen Sie den sozialen Wohnungsbau an oder unterstützen Sie die bunte freie Kulturszene. Bedarf für das Geld gibt es in Dortmund wahrlich genug.

Pressesprecher der Kunstaktion "Das 11. Gebot"
Maximilian Steinhaus