(hpd) Im Streit über die Zukunft der Forschung an embryonalen Stammzellen ist der
Bundestag gespalten, denn es geht es um grundlegende ethische Fragen, die auch persönlich zu entscheiden sind nach den tieferen inneren Überzeugungen, je nach Religion oder Weltanschauung. Der Fraktionszwang ist aufgehoben.
Befürworter und Gegner einer Lockerung der gesetzlichen Regelungen warben am letzten Donnerstag im Plenum für ihre Positionen. Medien berichten, es zeichne sich nach der Beratung in erster Lesung eine Mehrheit für eine Verschiebung des bisherigen Stichtags für die Gewinnung von Stammzellen auf den 1. Mai 2007 ab. Allerdings habe sich etwa ein Viertel der Abgeordneten noch nicht festgelegt. Der Bundestag wird wohl Mitte März entscheiden, ob mehr embryonale Stammzellen für wissenschaftliche Zwecke nach Deutschland importiert werden dürfen. Das geschieht in der Hoffnung, mehr Möglichkeiten zur Heilung schwerer Krankheiten wie Multiple Sklerose oder Parkinson zu entdecken.
Zur Debatte erreichte den hpd folgender Beitrag des Ethikers Prof. Dr. Werner Lange, Vorsitzender des Humanistischen Regionalverbandes Halle-Saalkreis:
In der Debatte des Bundestages über eine Veränderung des so genannten Stammzellgesetzes am 14. Februar 2008 wurden vier Anträge zur Diskussion gestellt. Drei von ihnen halten einen besonderen Schutz von embryonalen Stammzellen für nötig und begründen dies mit der Würde des Menschen.
Die Würde des Menschen ist zweifellos ein im Grundgesetz verankertes hohes Gut. Ist jedoch der Begriff der Würde auch auf menschliche Zellen anwendbar? Dies wäre denkbar, wenn man Zellen bereits als Personen definiert, denn nur darauf bezieht sich juristisch die Würde des Menschen.
Eine andere Interpretation ist nur auf ethischer und religiöser Grundlage möglich. Ist sie aber berechtigt?
Wenn man embryonalen Stammzellen menschliche Würde zuspricht, die durch Experimente nicht verletzt werden darf, dann ist die bisherige und jede andere Stichtagsregelung unlogisch und ein fauler Kompromiss. Warum soll man dann mit Zellen experimentieren dürfen, die im Ausland und vor dem 1. Januar 2002 oder dem 1. Mai 2007 gewonnen wurden? Warum sollte ihnen weniger Würde zukommen, als solchen, die in Deutschland und später gewonnen wurden? Warum sollte das Abtöten von bei der künstlichen Befruchtung anfallenden überflüssigen Embryonen moralisch vertretbarer sein als ihre Benutzung zu Forschungszwecken?
Die bisherigen gesetzlichen Regelungen auf diesem Gebiet sind nicht schlüssig und müssen sich den Vorwurf doppelter Moral gefallen lassen. Sie werden von den Autoren selbst als Mittelweg gerechtfertigt.
Eine moralisch relevante Frage ist jedoch, ob Forschungen auf diesem Gebiet nur Selbstzweck sind oder möglicherweise den Zugang zu neuen therapeutischen Verfahren für bisher unheilbare Krankheiten eröffnen. Im gegenwärtigen Stadium der Grundlagenforschung gibt es noch keine sicheren Aussagen über Anwendungsmöglichkeiten. Solange aber neue Therapien, die unheilbar Kranken helfen könnten, denkbar sind, sollte man für die Forschung aus rein ideologischen Gründen keine Verbotsschilder errichten.
Die Würde kranker und alter Menschen steht doch wohl höher als die undefinierbare angebliche Würde von Zellen, die weder Bewusstsein haben, noch leidensfähig sind. Ich unterstütze daher den Vorschlag von Ulrike Flach (FDP) und anderen, der die Abschaffung der Stichtagsregelung vorsieht.
Der Vorschlag von Hubert Hüppe (CDU) ist abzulehnen, weil er die Forschung und den möglichen medizinischen Fortschritt aus ideologischen Gründen behindert. Er ist von einer religiösen Prämisse her allerdings in sich logisch, während alle Stichtagsregelungen unlogisch sind.