Beschluss der Ministerpräsident:innen

Bundesländer verweigern sich weiter der Ablösung der Staatsleistungen

mpk_2024_leipzig.jpg

Gruppenfoto der Ministerpräsidentenkonferenz, die vergangene Woche in Leipzig stattfand
Gemeinsames Foto mit den Ministerpräsident:innen der Länder

Vergangene Woche fand in Leipzig die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) statt. Im Fokus standen die Themen Öffentlicher Rundfunk und die Migrationspolitik. Worüber öffentlich nicht gesprochen wurde, war ein Beschluss zur Ablösung der altrechtlichen Staatsleistungen an die Kirchen.

Gefasst unter Tagesordnungspunkt 12 beschlossen die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder kurz und knapp auf einer halben Seite, dass sie gegen das von der Bundesregierung momentan angestrebte Grundsätzegesetz sind, das ohne Zustimmungspflicht durch den Bundesrat auskommen soll (der hpd berichtete). Die hiermit verbundenen erheblichen finanziellen Lasten stünden aktuell in keinem Verhältnis zu den vielfältigen Herausforderungen bei gleichzeitig knappen Finanzen, heißt es im Beschlusspapier.

Laut Verfassungsauftrag, der aus der Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz übernommen wurde, muss zuerst der Bund ein solches Gesetz erlassen, auf dessen Grundlage dann die Länder eigene Gesetze verabschieden können. Die Kirchen erhalten momentan noch immer mehr als 600 Millionen Euro jährlich (Tendenz steigend) aus allgemeinen Steuermitteln als Ausgleichszahlungen für Besitztümer, die vor über 200 Jahren an den Staat gingen.

Säkulare Vertreter kritisieren den MPK-Beschluss: "Es ist befremdlich, dass die Länder pauschal eine Ablösung der Staatsleistungen ablehnen, bevor die Rahmenbedingungen überhaupt öffentlich bekannt sind", findet Ulla Bonnekoh, stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Konfessionsfreien. "Schließlich handelt es sich hierbei um einen Verfassungsauftrag, den es zu erfüllen gilt, den man nicht einfach generell ablehnen kann." Weiter merkt sie an: "Sollten die Länder Grund zu der Annahme haben, dass eine Ablösesumme veranschlagt werden soll, die unangemessen hoch ist, sollte darüber diskutiert werden. In die Debatte sollten neben Kirchen und Politik auch zivilgesellschaftliche Akteure eingebunden werden, denn die Staatsleistungen betreffen schließlich alle Bürgerinnen und Bürger. Der Zentralrat ist bereit, sich an diesen Gesprächen zu beteiligen."

Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten, der Mitglied im Zentralrat ist, meldet sich ebenfalls zu Wort: "Der IBKA vertritt die Auffassung, dass die Ablösung durch die bisher geleisteten Zahlungen als erfolgt zu gelten habe und dementsprechend keine weiteren Zahlungen zu leisten sind", sagte sein Erster Vorsitzender Rainer Ponitka dem hpd. "Meines Wissens handelt es sich bei den im Reichdeputationshauptschluss von 1803 begründeten sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen um einerseits die lebenslange Alimentierung der damals 'abtretenden geistlichen Regenten', die inzwischen natürlich verstorben sind – entsprechend kann es auch keine staatlichen Zahlungsverpflichtungen mehr für Kirchenpersonal wie zum Beispiel Bischöfe geben – und zweitens um den Unterhalt der zu der Zeit existierenden Domkirchen." Er vermutet: "Die Ablehnung der Ministerpräsidentenkonferenz die per Weimarer Reichverfassung und Grundgesetz vorgeschriebene Ablösung – vielleicht sogar eine Rückforderung überzahlter Leistungen – zu forcieren, ist meines Erachtens wahltaktischem Kalkül geschuldet."

Die Humanistische Union (HU) macht sich seit vielen Jahren für die Erfüllung des Verfassungsauftrags stark. Johann-Albrecht Haupt, der als Experte auf dem Gebiet altrechtliche Staatsleistungen gilt, sagt dazu in einer Pressemitteilung der HU: "Das ist nicht nur ein erneuter Akt obrigkeitlichen Ungehorsams gegenüber der Verfassung, sondern auch ein schwer erträglicher Umgang mit Steuergeldern, die von allen Steuerzahlern aufgebracht werden, auch von denen, die sich von der Kirche abgewandt haben." Das sei auch deshalb empörend, weil die Regierungschefs einerseits die knappen öffentlichen Finanzen angesichts der "vielfältigen Herausforderungen" beklagen, andererseits aber offensichtlich auch weiterhin keine Kenntnis davon haben, ob und in welcher Höhe die Ablösung tatsächlich zu Belastungen der einzelnen Landeshaushalte führen würde. Bisher gibt es nämlich auch nach über 100 Jahren – der Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen, stand bereits in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 – keine Aufstellung darüber, auf welcher Rechtsgrundlage und in welcher Höhe in den einzelnen Ländern die abzulösenden Staatsleistungen des maßgeblichen Jahres 1919 gezahlt wurden. Die Humanistische Union weist darauf hin, dass allein seit 1949 mehr als 21,3 Milliarden Euro an die beiden Kirchen gezahlt wurden, im laufenden Haushaltsjahr 618 Millionen Euro und im kommenden Jahr absehbar (noch liegen nicht alle Haushaltsplanentwürfe der Länder vor) mehr als 630 Millionen Euro.

Friedrich Coradill vom Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen (BASTA) rechnet weiter vor: "Bereits in 20 Jahren wird die Marke von 1 Milliarde Euro pro Jahr überschritten." Er habe bereits mehrfach dargestellt, dass eine zeitnahe Ablösung gegenüber einer Weiterzahlung über diesen Zeitraum eine Einsparung von mehr als 6 Milliarden Euro bringen würde. "Die 'vielfältigen Herausforderungen' (zitiert aus dem Papier der Ministerpräsident:innen, Anm. d. Red.) erlauben es also nicht, sich mit dem Thema zu befassen – und das bei knappen Finanzen. Die Regierungschefs der Länder widersprechen sich mal wieder selbst und der Beschluss zeigt erneut die in keinem Verhältnis stehende Kirchenfreundlichkeit der Länderchefs."


Hinweis der Redaktion: Im zweiten Absatz war fälschlicherweise von 600 Euro die Rede, dies haben wir am 30.10. um 17:30 Uhr korrigiert.

Unterstützen Sie uns bei Steady!