Integration durch Ghettoisierung?

BERLIN. (hpd) Zum 13. Mal fand am Samstag in Deutschland ein „Tag der Offenen Moschee“ statt, der den Besuchern Eindrücke ebenso wie Diskussionen ermöglichte und auch mehr neue Fragen eröffnete als Antworten gab. Ein Erfahrungsbericht.

Der im April 2007 gebildete Koordinationsrat der Muslime (KRM) hatte mit der Informationsbroschüre zum „Tag der Offenen Moschee“ am 3. Oktober bereits in der Überschrift seinen Anspruch deutlich gemacht: „Moscheen – Ein fester Teil der Gesellschaft“ ist dort zu lesen, und in der Unterzeile „60 Jahre Bundesrepublik und seine Muslime.“

Dieser doppelte Anspruch, fester Teil der Gesellschaft und Deutschlands Muslime zu sein, ist sicherlich bei einem nicht unwesentlichen Teil der Gesellschaft in Deutschland noch nicht so angekommen. Noch immer wird der Islam, und als besonders sichtbarer Ausdruck seine Moscheen, von Vielen als „fremd“ empfunden. Dies könnten bessere Informationen und ein erstes Kennen lernen möglicherweise verändern und eine Akzeptanz erleichtern. Der KRM spricht von einem „Potenzial der Moscheen“. Und: „Damit Moscheen ihr Potenzial entfalten können, müssten sie jedoch als Bereicherung wahrgenommen, respektiert und gefördert werden.“ In Berlin hatten mehr als 20 Moscheen von rund 80 vorhandenen geladen. So machte ich mich mit zwei Kolleginnen auf den Weg. Ausgesucht hatten wir uns zwei Moscheen, es wurden dann vier, die wir besuchten.

In der Informationsbroschüre zum „Tag der Offenen Moschee“ (TOM) war das Programm des Tages in den Kapitelüberschriften vorgegeben: Ein fester Teil der Gesellschaft, Moschen haben Potenzial, Orientierung und Engagement, Werte und Wissen, Bildung und Unterstützung, Offenheit und Dialog, Soziale Verantwortung.
Ein kleiner, aber bezeichnender Satzfehler auf der ersten Seite, gab auch den Grundton vor: In der historischen Darstellung, seit wann es Muslime in Deutschland gibt, wird auf den Friedhof in „Berlin-Tempelberg“ verwiesen, der Stadtteil heißt jedoch „Tempelhof“. Auch wenn es im Januar 2009 eine skurrile Idee gab, auf das Tempelhofer Feld, das nicht mehr als Flughafen genutzte Gelände, einen 1.000 m hohen Berg zu setzen, der eigentliche Tempelberg ist der zwischen Juden, Christen und Muslimen umstrittene Tempelberg in Jerusalem, auch ein besonderes, das drittwichtigste Heiligtum des Islam. Und in dieser religiösen Einstimmung verging der ganze Tag.

Sehitlik Moschee

Bereits an der Umzäunung angebrachte Plakate informierten über den Islam, hinter dem Eingang stand ein einladender Tisch, auf dem ein kleiner Berg mit bunt eingewickelten Bonbons lag, und zwei freundliche junge Männer, die jeden Besucher begrüßten und bei Bedarf erste Informationen gaben. Dahinter Grabstelen und die Auskunft, dass dies ein rein muslimischer Friedhof sei, der jedoch nicht mehr genutzt sei, da die Muslime wie die Juden eine ‚ewige’ Grabstelle hätten und alle Grabflächen inzwischen belegt seien. Hinter der Moschee und ihren Nebengebäuden gäbe es noch einen allgemeinen Friedhof, auf dem verschiedenste Religionsangehörige, auch Muslime, begraben werden. Einen weiteren muslimischen Friedhof gibt es noch in Berlin-Spandau.

Die Sehitlik Moschee gilt als die Vorzeige-Moschee der DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.) ‎in Berlin. Sie steht am Columbiadamm, direkt neben dem Tempelhofer Feld des ehemaligen Flughafens Tempelhof, und ist so, wie man sich eine Moschee vorstellt: groß, prachtvoll und zwei hohe Minarette, jedoch alles in relativ maßvollen Dimensionen. Die Minarette sind mit 37 m auch höher als genehmigt, aber außer behördlichlicher ‚Empörung’ darüber hat niemand den Rückbau gefordert. (Die DITIP ist auch Bauherrin der umstrittenen Zentralmoschee in Köln.) Der relativ kleine Friedhof (2.550 qm) besteht hier seit 1866 und eine Denkmalssäule erinnert daran, dass Ali Aziz Efendi, der Botschafter des Osmanischen Reiches, 1798 in Berlin verstarb und auf einem nahe gelegenen Grundstück, das König Friedrich Wilhelm III. dafür als Friedhof geschenkt hatte, beerdigt worden war.

   

Die Führung übernahm ein jüngerer Muslim, der sich als Ender vorstellte. „Ich begrüße sie in der Türkei.“ Er lächelte verschmitzt über die erstaunten Gesichtsausdrücke der etwa 40 Besucher, unter denen sich bemerkenswert viele Frauen und Kinder befanden. „Wie sie vielleicht nicht wissen gehört dieses Grundstück dem türkischen Staat und ist ein exterritorialer Teil der Türkei.“ Dabei verschwieg er, dass das Gelände dem türkischen Verteidigungsministerium gehört, doch das war dann ein Kennzeichen seiner folgenden Erzählungen, ‚überflüssige’ Details nicht zu erwähnen.

Der wichtigste Platz der Moschee, so fuhr Ender fort, sei das Café. Dort werde Karten gespielt und Fernsehen geschaut, vor allem Fußball. Und, setzte ich stillschweigend dazu, der geräumige Kaufladen, der sieben Tage die Woche geöffnet hat und sich schon seit Bestehen nicht um die deutschen Ladenschlussgesetze kümmert.

 Das große Gebäude sei vor fünf Jahren neu gebaut worden, alle Teile seien aus der Türkei importiert worden. Die Minarette seien nur optische Dekoration, da dort niemand mehr hinaufklettere, aber sie seien wie Leuchttürme, die zum Gebet einladen. Er spricht es mit einer so freundlichen Überzeugtheit, dass dem Besucher nicht in den Sinn kommt, dass Leuchttürme zwar Orientierungen, aber vorrangig Warnzeichen für die Schiffe sind.

Dann geht es hinein in den Gebetsraum und es wird sehr genau kontrolliert, dass niemand beim Ausziehen der Schuhe etwa mit einem Schuh auf den schon vor der Tür beginnenden Teppich tritt. Der Innenraum ist komplett bis in jede Ecke mit einem dicken Teppich ausgelegt. Ender setzt sich neben ein Buchpult in der Mitte des Raumes und alle lagern, setzen, knien sich, so wie es jedem gefällt, in einem offenen Halbkreis vor ihm herum, die kleineren Kinder unternehmen stolpernde Streifzüge, die niemand verhindert.

Ender hat die Qualitäten eines exzellenten Talkmasters, er ist beredt, macht Scherze, lässt Alltagsweisheiten einfließen, auch Derbes, und spricht trotzt aller Lockerheit präzise.

Eine Moschee sei als Gebäude ein „Gemeinschaftsraum“ für alle und habe diverse soziale Zwecke. Es gäbe in einer Moschee nichts „Heiliges“, denn „Moschee“ sei überall, wo sich ein Muslim niederbeuge. Jeder Ort sei dafür geeignet, insofern er sauber sei und man selber saubere Kleidung trage. Die Farben der Moschee seine Naturfarben und sollen in Farbe und Material die Natur widerspiegeln. Bilder seien im Islam zwar nicht verboten, dürfen aber weder verherrlicht noch angebetet werden. Der Zentralleuchter habe 99 Lampen, als Symbol für die 99 Namen und Eigenschaften Allahs und unten sei ein Straußenei befestigt, da es durch seinen Geruch die Spinnen vertreibe. Manche würden aufgrund einer Koranstelle auch meinen, dass es die Gestalt der Erde darstelle. Die Rezitation des Koran in Arabisch sei ein melodischer Balsam für die Seele, die nicht-melodischen Übersetzungen seien für den Verstand. Wenn man ein Kind beruhigen wolle, solle man ihm arabische Koranrezitationen vorspielen. Lächelnde Mütter hat er sofort auf seiner Seite.

 

Seine weiteren Informationen waren aufschlussreich. Indem sich alle Muslime der Welt bei ihrem Gebet Richtung Mekka verbeugen würden, entstünde ein „Weltkreis“, in dessen Zentrum sich die Kaaba in Mekka befinden würde. Und die Gebetszeiten seien ein Rendezvous mit Gott. „Täglich fünf Rendezvous mit Gott!“ Wenn man die Gebetszeit nicht einhalten kann, könne man das auch später tun, aber richtig Beten gäbe „Pluspunkte bei Gott“. Die Schöpfung sei zudem wie ein Gasthaus, in dem Gott der Gastgeber sei und die Menschen die Gäste, die kostenlose Gnadengaben erhalten würden, wie die Luft, die Sonne, die Augen, die Hände, usw.

   

Im Gebet würde ein Muslim deshalb drei Aspekte ausdrücken: Im „Stehen“ seinen Respekt für die Schaffung der Kunstwerke aller Lebewesen, in der „Beugung“ seine Dankbarkeit für die Gnadengaben und in der „Niederwerfung“ seine Begeisterung über die Werke Gottes, aber gleichzeitig symbolisiere sie auch die Schwäche des Menschen, aber auch seine Geborgenheit, da er dann einem Fötus ähnele.

Ender betont die Ähnlichkeiten zum Christentum. Auch der Islam kenne die guten Taten, die Sünden, den freien Willen, die Erde als Jammertal, die Verheißungen des Paradieses, „Gott als Lehrer zeigt mir einen Weg, gehen muss man ihn als Gläubiger aber selber“.

Der Islam anerkenne auch alle jüdischen und christlichen Propheten – von Adam bis Jesus -, deren Abschluss Mohammed sei, so wie der Islam die Vervollkommnung aller Religionen sei, ihre Vollendung. Insofern seien alle Menschen eigentlich Muslime, auch wenn sie das noch nicht wissen würden.

Die Gebetskette der Muslime habe in der Entsprechung der 99 Namen und Eigenschaften Gottes 99 Perlen. Und das Sprechen im Gebet sei sehr wichtig, da man sich danach so fühle, was man spricht. „Wenn ich 99mal ‚Scheiße’ sage, fühle ich mich dann auch wie ‚Scheiße’. Spreche ich aber 99mal ‚erhabener Gott’, dann fühle ich mich erhoben.“

In der anschließenden Befragung antwortet Ender, warum Männer und Frauen getrennt voneinander beten, dass die Menschen beim Gebet so dicht nebeneinander und hintereinander stehen würde, dass sie sich bei der Niederwerfung häufig unwillkürlich berühren würden und, er macht es vor, was für ein Gefühl es denn sei, wenn der Po, den man dann direkt vor der Nase habe, der einer Frau sei? Und dass die Frauen im Islam weniger Rechte hätten als die Männer, wehrt er lächelnd ab. Das Gegenteil sei der Fall, da die Frauen mehr Rechte und weniger Pflichten hätten als die Männer, denn diese müssten die Frau und die Kinder versorgen, während die Frauen zu Hause bleiben könnten. Und das Kopftuch? Das sei ein Zeichen der Emanzipation und würde alle Frauen gleich machen. Als höflicher Gast schweige ich. Iman sei nur ein Vorbeter, jeder könne diese Rolle übernehmen, bei den Frauen auch Frauen und so könnten Frauen auch Mufti (Gelehrte) werden, was zwar selten der Fall aber möglich und real ist.

Islamische Charta

Beim Nachlesen wird deutlich, dass sein Vortrag und die weiteren Ausführungen exakt die meisten Punkte der Islamischen Charta widerspiegelten, die der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZDM) 2002 verabschiedet hatte: 1. Der Islam ist die Religion des Friedens, 2. Wir glauben an den barmherzigen Gott, 3. Der Koran ist die verbale Offenbarung Gottes, 4. Wir glauben an die Propheten des Einen Gottes, 5. Der Mensch muss am Jüngsten Tag Rechenschaft ablegen, 6. Der Muslim und die Muslima haben die gleiche Lebensaufgabe, 7. Die fünf Säulen des Islam, 8. Der Islam ist Glaube, Ethik, soziale Ordnung und Lebensweise zugleich, 9. Dem Islam geht es nicht um Abschaffung von Reichtum, 10. Das Islamische Recht verpflichtet Muslime in der Diaspora, 11. Muslime bejahen die vom Grundgesetz garantierte gewaltenteilige, rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung, 12. Wir zielen nicht auf Herstellung eines klerikalen "Gottesstaates" ab, 13. Es besteht kein Widerspruch zwischen der islamischen Lehre und dem Kernbestand der Menschenrechte, 14. Vom jüdisch-christlichislamischen Erbe und der Aufklärung geprägt, 15. Die Herausbildung einer eigenen muslimischen Identität in Europa ist notwendig, 16. Deutschland ist Mittelpunkt unseres Interesses und unserer Aktivität, 17. Abbau von Vorurteilen durch Transparenz, Öffnung und Dialog, 18. Wir sind der gesamten Gesellschaft verpflichtet, 19. Integration unter Bewahrung der islamischen Identität, 20. Eine würdige Lebensweise mitten in der Gesellschaft, 21. Parteipolitisch neutral.

In der anschließenden Diskussion im Hof der Moschee, bei der ich mit zwei zum Islam Konvertierten ins Gespräch komme, sagen sie mir nach kurzer Zeit, dass der Tag der Offenen Moschee nicht für Leute wie mich gedacht sei, die sich schon etwas mit dem Islam und seinen Widersprüchen beschäftigt hätten, sondern für einfachere Gemüter. Das verstehe ich, denn wenn sich jemand, der ein klar sortiertes Weltbild mit Gut und Böse sucht, dem Islam zuwendet, findet er dort genau das, was die katholische Kirche vielleicht noch vor fünfzig Jahren im Angebot hatte, Eindeutigkeit sowie klare Regeln und Vorschriften ohne Widersprüche sowie Leute, die Tatsachen theologisch geschickt glaubwürdig verdrehen können.

Die Bewertung als „Propaganda - Veranstaltung“ halten die beiden aber für unangemessen. Sie meinen, es sei doch verständlich, dass man sich seinen Gästen möglichst von den besten Seiten zeigen wolle und vielleicht auch so, weil man es selber gerne möchte, das man so sei.

Der Anspruch nach Offenheit und Öffnung wirkt allerdings auch angesichts der hermetischen Abriegelung des Geländes mit hohen Gittern und scharfen Metallspitzen nach oben und unten wenig glaubwürdig. Aber hätte das Kulturministerium in Ankara einen weniger militärischen Sicherungsstil als der jetzige Besitzer, das Verteidigungsministerium?

Merkez Moschee

Ortswechsel nach Kreuzberg. Auffallend an der Straßenkreuzung und am U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof steht der Neubau einer Moschee, an der wir jedoch zuerst vorbei müssen. Das Ziel ist die Merkez Moschee bei der Zentrale der DITIP in Berlin, Wiener Straße 12.

Wie schon öfter in Berlin und andernorts gesehen, ist über einer Hofdurchfahrt an der Hauswand ein breites Schild befestigt auf dem etwas in Türkisch steht, das mit „Camii“ (Moschee) endet. So ist es auch hier. Hinter dem Tor der langgezogene Schlauch eines engen Hinterhofs, auf dessen linker Seite sich die Büros der DITIP befinden. (DITIB vertritt den türkischen ‚Staatsislam’, seine Imame sind Beamte der Türkei und werden von dort bezahlt.) Alles ist sauber. Der zweite Hof ist im vorderen Teil mit Plexiglaselementen überdacht, der hintere Teil ist zu einem Gebetsraum ausgebaut. Wie wir später erfahren ist das gesamte Areal die Moschee, da sich im Quergebäude im ersten Stock u. a. der Frisörladen befindet und im zweiten Stock der Gebetsraum der Frauen.

Wir werden eingeladen den Männern zu folgen, die den ebenerdigen Gebetsraum betreten, gehen am Lebensmittelgeschäft vorbei und setzen uns zu zwei weiteren offensichtlich deutschen Frauen ohne Kopftuch an den Rand des Raumes. Niemand stört sich daran. Es ist ein winkeliger, unübersichtlicher Raum mit Querwänden und einer flachen holzverkleideten Decke mit mehreren viereckigen Oberlichtern.

 

Die ‚Anbetung’ hat bereits begonnen, der Imam sitzt mit einer goldbestickten Weste hinter seinem Pult und spricht langsam Mikrofonverstärkt einen Text aus dem vor ihm auf einem Lesepult liegenden Koran.

Dann beginnt ein lang gezogener arabischer ‚Singsang’, die Rezitation als Beginn eines insgesamt zehnminütigen Gebets. Es klingt wie „Orient pur“. Danach: Aufstehen. Alle im Raum verstreut sitzenden Männer kommen eilig dicht zusammen und jeder stellt sich in etwa auf eines der im Teppich eingewebten Felder. Ein stilles Ritual des Stehens, Verbeugens, zweimaligen Niederwerfens. Jeder für sich allein, im eigenen Zeittakt. Manche Wiederholen die Abfolge zweimal, wenige dreimal. Alle setzen sich wieder. Modern gekleidete jüngere Männer, die jetzt erst dazu kommen, ziehen ein zusammengefaltetes rundes ‚Käppi’ aus der seitlichen Jackentasche und setzen es sich auf den Kopf. Eine kurze Anweisung, alle stehen wieder auf. Kurze Ansprache. Alle Beten, stehen in enger Reihe und dennoch jeder konzentriert für sich. Dann wieder die melodische Rezitation und eine dreimalige Abfolge des gemeinsamen Rituals des ‚Niederwerfens’ und des stillen Gebets.

 

Es sind nur Männer. Die Stimmen einzelner Frauen und das Rufen lärmend spielender Kinder schallen bisweilen vom Hof herein, kann aber die Konzentration der melodischen Rezitation und das vielstimmige Murmeln der Männer nicht überdecken. Das leise Klickern der Perlen der Gebetsketten, die viele der Männer zwischen Daumen und Zeigefinger ‚hindurch gleiten lassen’, bestimmt den Innenklang. Anschließend noch ein gemeinsames Gebet, in dem die Männer dem Imam mehrmals mit einem „Amin“ antworten. Dann ist Schluss. Die Männer schauen jetzt einander an, begrüßen sich, reden miteinander, nehmen ihre Schuhe aus dem Schuhregal und verlassen den Raum.

Auf dem Hof freundliche Einladungen zum Essen und Trinken, Falafel sind stapelweise vorbereitet, Samoware und große Teekannen stehen bereit. Es ist alles erheblich einfacher, in der Alltäglichkeit erscheint es auch glaubwürdiger, als in der Sehitlik Moschee. Auf die Frage, warum sie nicht auch in der neuen großen Moschee an der Ecke seien, ein Achsenzuckeln und ein noch unerklärliches seitliches Kopfrucken: „Bei den Arabern?“ Wir gehen wenige hundert Meter weiter.

Omar Ibn Al Khattab Moschee

Es wird ein prachtvoller Bau, die Omar-Ibn-Al-Khattab-Moschee, das Mashari-Center des Islamischen Vereins für wohltätige Projekte (IVWP). Eine Mischung aus Kulturzentrum, Sakralbau und Dienstleistungen sowie Ladengeschäften. Noch sind die Wände teilweise verhängt, die Treppenaufgänge versperrt, zwei Stukkateure aus Marokko arbeiten im Eingangsbereich an ornamentalen Kompositionen, die sie aus dem frischen Gips herausschneiden. Offiziell ist die Moschee nicht am Tag der Offenen Moscheen beteiligt, aber die Anwesenden ertragen die Besucher wachsam.

 

Auch wenn bei Wikipedia steht, dass der Bau bereits 2008 vollendet wurde, ist er erst jetzt in der Endphase und wird voraussichtlich im Dezember dieses Jahres vollendet oder je nachdem wie der Spendeneingang verlaufe. Woher der kleine Verein, der sich an der 'Habaschi-Glaubensrichtung' oientiert, einer muslimischen Religionsgemeinschaft im Libanon, die 10 Millionen aufbringt, die der Bau kosten soll, weiß so recht niemand. Die Interseite des Vereins ist ein nichtssagendes Standbild. Bekannt ist allerdings, dass die Vereinsmitglieder sehr aktiv im Spendensammeln sind und das an allen ‚möglichen und unmöglichen’ Stellen tun.

Die Vorbehalte der Sunniten aus der Merkez-Moschee beruhen auch darauf, dass arabisch-stämmige Migranten den Großteil dieser Glaubensgemeinschaft ausmachen und insofern dort auch arabisch gesprochen wird. Jedoch, egal wen man auf welcher Seite auf diese Vorbehalte anspricht, an diesem Tag betonen alle perfekt, solidarisch die große Gemeinsamkeit aller Muslime und nun, naja, da gäbe es zwar ein paar kleine Unterschiede, aber schließlich sei ja alles bei Allah. Der Hinweis, dass im Irak zwischen den Sunniten und den Schiiten Kämpfe ausgetragen würden, wird als westliche Propaganda abgelehnt. Das sei die Mafia, die sich religiöse Unterschiede als Vorwand zunutze mache.

Die allgemeine Auskunft am Anlaufpunkt für Besucher im Erdgeschoss ist sehr freundlich und es wird auf eine Orientierungstafel neben den Aufzügen verwiesen. Das Haus hat acht Stockwerke plus Dachgeschoss. Im Keller wird es eine Fleischerei geben, eine Tiefgarage, die per Lastenaufzug erreicht wird, und den Raum der Männer-Teilwaschung. Im Erdgeschoss den großen Gebetssaal, einen Juwelier, einen Laden für Eis und Süßwaren, einen Frisör. Im ersten und zweiten Stock zwei Gebetsgalerien, im dritten Stock eine Boutique, einen Lebensmittelladen, eine Buchhandlung und ein Reisebüro, ein Behinderten-WC und die Damen-Teilwaschung. Im vierten Stock befindet sich ein Veranstaltungssaal, im fünften ein Kindergarten und Büros, im sechsten ebenfalls Büros. „Wir haben hier mehr Kameras, als in einer Bank!“

Warum wohl, frage ich mich, und ein Aspekt wird deutlich, als ich dem Schild „Textilverkauf und Geschenkartikel“ in die Kellerräume folgen will und drei Männer mir panikartig am Anfang der Treppenstufen den Weg versperren: „Das ist nur für Frauen!“ Auf Nachfrage befürchten sie, dass sich eine der Frauen vielleicht zur Anprobe teilweise entblößen könnte. Auch das Fotografieren der Kollegin wird verboten. Wir gehen.

Auf die Frage, wo die Gemeinde denn bisher ihre Räume habe, wird uns eine Adresse genannt, die nur ein paar Häuser entfernt ist. Am Hofeingang ist kein Hinweisschild zu finden. An dem hinterem Quergebäude des Innenhofes ist dann das gelbe Schild unten an der Hauswand zu erkennen: Islamisches Zentrum Omar Ibn Al Khattab, 3. Stock. Durch ein typisches, enges, angeschmuddeltes Treppenhaus im Hinterhaus geht es die Treppenstufen hinauf und krasser könnte der Unterschied zum Neubau nicht sein.

Eine dunkler Flur, an dessen entferntem Ende der Eingangsbereich des Lebensmittelgeschäfts zu sehen ist, dass natürlich geöffnet hat – es ist ein Feiertag -, rechts der Gebetsraum, der mit einfachen Teppichboden ausgelegt ist, auf dem einzelne Teppiche aufgelegt sind, wobei der hintere Raumbereich, der Bereich der Frauen, mit einem provisorisch geknoteten, schief hängenden langen Tuch in drittel Höhe optisch abgetrennt ist. Die Aussage: „Wir wollen eine positive Rolle in dieser Gesellschaft spielen. Wir wollen für die Jugend da sein. Nicht im Hinterhof, sondern sichtbar“, bekommt einen weiteren Inhalt.

 

Symptomatische Veränderung?

Diese Veränderung in Lage, Größe, Ausstattung und Sichtbarkeit – von den ‚Schmuddelecken’ in die ‚Marmoretagen’ -, ist sehr bemerkenswert. Es ist nicht nur ein selbstbewusstes Zeigen der Anwesenheit und eine Investition in die bleibende Zukunft, sondern auch eine Veränderung im Angebot. Alle drei Moscheen bilden einen in sich geschlossenen Lebensraum, für den die Einkaufsmöglichkeit an sieben Tagen der Woche nur ein Symbol ist. Es entstehen abgegrenzte Bereiche für gläubige Türken, Araber, Bosnier, Pakistani, Indonesier und weitere Moscheenbetreiber, die das Prinzip der Abgrenzung, eine Ghettoisierung, weiter ausbauen. In dieser Weise wird der Schulterschluss der Religiösen in Berlin, die sich bei der Pro-Reli-Initiative so deutlich zeigte, islamisch pointiert. Erst wenn man die eigene Religion gut kenne, so war die Grundaussage, könne man sich mit anderen über Integration verständigen. Das wäre Integration durch Ghettoisierung.

Würdige Lebensweise

Man muss sich noch einmal vergegenwärtigen, was unter Punkt 20 der Islamischen Charta steht. Die Forderung ist „Eine würdige Lebensweise mitten in der Gesellschaft. Dazu gehört u.a.:

  • Einführung eines deutschsprachigen islamischen Religionsunterrichts,
  • Einrichtung von Lehrstühlen zur akademischen Ausbildung islamischer Religionslehrer und Vorbeter (Imame),
  • Genehmigung des Baus innerstädtischer Moscheen,
  • Erlaubnis des lautsprecherverstärkten Gebetsrufs, Respektierung islamischer Bekleidungsvorschriften in Schulen und Behörden,
  • Beteiligung von Muslimen an den Aufsichtsgremien der Medien,
  • Vollzug des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Schächten,
  • Beschäftigung muslimischer Militärbetreuer,
  • Muslimische Betreuung in medizinischen und sozialen Einrichtungen,
  • Staatlicher Schutz der beiden islamischen Feiertage,
  • Einrichtung muslimischer Friedhöfe und Grabfelder.

Das ist nicht mehr, aber auch nicht weniger, als die Forderung nach Erhalt der gleichen Privilegien, wie sie die christlichen Großkirchen besitzen. Das ist eine der Konsequenzen der Einbürgerung von Muslimen und die verständliche Forderung von muslimischen deutschen Staatsbürgern, dass ihre Religionsgemeinschaft gleichberechtigt anerkannt wird. Wer sich also gegen solche muslimischen Forderungen zur Wehr setzt, oder darüber die Stirn runzelt, sollte sich selbst befragen, welche Meinung er zu den Privilegien der christlichen Kirchen hat und warum er sie den Muslimen verweigern will.

Insofern ist der Eindruck zwiespältig. Auf der einen Seite ein Respekt vor der ruhigen Ernsthaftigkeit von einfachen Gläubigen und ihrer nicht gespielten Freundlichkeit. Auf der anderen Seite wird aber deutlich, dass bei den religiösen Muslimen Lebenswelten vorhanden sind und verstärkt weiter ausgebaut werden, die in Mitteleuropa fremd bleiben werden. Insbesondere das völlige Unverständnis gegenüber „Ungläubigen“ wird sich als Toleranz nur gegenüber gläubigen Christen darstellen. Insofern sind diese religiösen Muslime mental noch nicht in einem liberalen und toleranten Europa angekommen.

Carsten Frerk

 

Alle Fotografien © Evelin Frerk