„Mir hat das auch nicht geschadet“

Kaum ein Wort findet sich so häufig in publikumsträchtigen Tageszeitungen im Land wie „Verschärfung“ oder der Ruf nach „härteren Strafen.“ Ob es um Kriminelle geht, Einwanderung, Griechenland oder sonstwas. Damit ist man schnell bei der Hand. Wäre der Mainstream-Diskurs ein menschlicher Patient: ein Psychiater hätte seine helle Freude ob so vieler ungelöster Aggressionen, die ans Tageslicht kommen. Dazu gebe man den Parallel-Diskurs der „Leistungsfähigkeit“ des Einzelnen im Berufsleben. Flexibel muss man sein, den Arsch zusammenkneifen, nur so bringt man’s zu was. Halt - Das war früher. Heute heißt es: Arsch zusammenkneifen, nur so verlierst du deinen Job nicht.

Eine solche Haltung will früh gelernt sein, ist die österreichische Bevölkerung überzeugt. Seit Jahrzehnten wird sie mit diesen Schlagworten bombardiert. Gegenstimmen gibt es nicht. Soll man sich wundern, dass unter allen, die eine Meinung zum Thema Bildung haben, diejenigen überwiegen, die lieber Zucht und Ordnung haben wollen als eine Schule, in der Lernen Spaß macht? Zumal Lernen, das Spaß macht, zu den Erfahrungen zählt, die die allerwenigsten gemacht haben. Die meisten haben ihre Schulzeit als Quälerei erlebt – und das Wenige, das ihnen als Erfolgserlebnis blieb, war abgetrotzt. Es bedarf einiger Empathiefähigkeit, das nicht auf die eigenen Kinder zu übertragen. Geschweige denn auf fremde. Zumal, auch das darf man in diesem Land nicht vergessen, diejenigen, die die Schuld daran tragen, dass dieses Schulsystem weder schulisch noch emotional gebildete Menschen hervorbringt, ja längst identifiziert sind: Die Ausländerkinder, mittlerweile in (nicht integrationswillige) Schüler mit Migrationshintergrund umgetauft. Wozu das System ändern, wenn man phantasieren kann, dass man diese Kinder in Ghettoschulen zusammenfangen kann? Ein Volksbegehren, das sich das zum Ziel gesetzt hätte, hätte mehr Unterschriften zusammenbekommen. Fern aller polemischen Übertreibung.

Als Faktor nicht zu unterschätzen ist zudem die traditionelle Bildungsfeindlichkeit in Österreich. „Intellektueller“ gilt eher als Schimpfwort als eine mehr oder weniger neutrale bis wohlwollende Beschreibung. Die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie und der Pädagogik sind nicht in der breiten Bevölkerung angekommen. Am allerwenigsten bei denen, die sich für die Bildungselite halten. Dort regieren die Reste der Schwarzen Pädagogik und Ahnungslosigkeit. Die „bildungsfernen Schichten“, wie es neuerdings heißt, der Teil der Bevölkerung mit geringer formaler Bildung, haben häufig ein starkes Misstrauen „Studierten“ gegenüber, das der Präpotenz vieler Akademiker ihnen gegenüber oft um wenig nachsteht. Mein Großvater mütterlicherseits etwa brauchte mehr als ein Jahrzehnt, um meinen Vater als Schwiegersohn akzeptieren zu können. Er war Bauernsohn und Facharbeiter, mein Vater der erste Akademiker überhaupt in der Familiengeschichte. Das war damals kein Einzelfall und ist es bis heute nicht. Was zählen da schon Aussagen von Bildungsforschern?

Dass das Bildungsvolksbegehren nicht zur Massenbewegung geworden ist, überrascht angesichts dieser Grundstimmung wenig. Dass es besser hätte laufen können, wäre nicht gleichzeitig über das bevorstehende Weltenende als Folge der griechischen Haushaltskrise schwadroniert worden, stimmt auch. Nur dürfte das nicht ausschlaggebend gewesen sein. Die Massen halten es nicht für notwendig, das bestehende Bildungssystem zu reformieren. Zumindest jener Teil, der sich artikuliert. Der hat Wut im Bauch und einen nicht zu unterschätzenden Anteil an Gehässigkeit. Womit diese Masse im Vorteil ist gegenüber jenen, die Bildung nüchterner betrachten. Die haben vielleicht Hoffnung. Nur, was ist das für ein Motivator im Vergleich zu Wut und Angst?

Allem Gezeter über das durchschnittliche Ergebnis zum Trotz hat das Volksbegehren eines gezeigt. Es sind viele, die Schule als Ort begreifen, wo Kinder Spaß haben können und sollen. Wo eigenständige Menschen erzogen werden sollen. Die Mieselsüchtigen mögen noch in der Mehrheit sein – die Reformer werden nicht weniger. Sie müssen nur die aktuelle Stimmungslage im Blick haben und dürfen sich nicht von ihr entmutigen lassen. Auch in diesem Land war die Stimmung schon besser und sie kann es wieder werden.

Christoph Baumgarten

 

*Die Aussage „Mir hat das nicht geschadet“ offenbart, ungeachtet der formalen Bildung dessen, der sie tätigt, im Regelfall einen Grad an Dummheit und Rücksichtslosigkeit, der die Aussage ad absurdum führt. Vielleicht sollte man das den Menschen auch mal ins Gesicht sagen