Notizen aus Wien

Das Wunder von Rieti

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Auf einen Kaffee / Foto: (c) Christoph Baumgarten

WIEN. (hpd) Eine Nonne bringt einen Sohn zur Welt. Der scheint nicht ganz so unbefleckt empfangen worden zu sein, wie es die Betreffende gerne hätte. Abseits dieses eher banalen Vorgangs fördert die Geschichte einiges zutage, was man zumindest als überraschend bezeichnen kann. Wenn nicht als Wunder.

Unbefleckte Empfängnis hin oder her. Dass es in einem europäischen Land eine Nonne im gebärfähigen Alter gibt, grenzt an ein Wunder. Nicht unbedingt im Sinne von übernatürlich. Aber im Sinne von sich einer logischen Erklärung weitgehend entziehend.

Kloster ist keine Alternative mehr

Ein freudloses Leben ist für die meisten jungen Frauen heutzutage keine Alternative mehr. Muss es auch nicht. Frauen dürfen heute arbeiten und sind gebildeter als Generationen an Frauen vor ihnen. Zur Versorgung, wie in vergangenen Jahrhunderten, muss heute niemand mehr ins Kloster. Und allgemeiner Wohlstand und Bildung machen Religion, die Karl Marx nicht umsonst Opium des Volkes nannte, zunehmend uninteressanter.

Fällt eine Frau trotz allem in die Kategorie "spirituelle Schwärmerin", ist ein Kloster auch nicht mehr die naheliegendste Variante. Der Esoterikmarkt bietet ihr Paralleluniversen in Hülle und Fülle, die auf den ersten Blick weniger Versagungen und mehr Freiheiten verheißen als ein Konvent.

Ob diese Versprechen auch eingelöst werden oder ein Kloster im Vergleich zum esoterischen Paralleluniversum nicht wie eine Stätte der Freiheit wirkt, ist eine andere Frage.

Wo es das Opium braucht

Wie bei Wundern verlässlich der Fall, bringt es eine Analyse zum Verschwinden. Stammt die Nonne doch aus El Salvador. Dort erfreuen sich religiöse Umtriebe einer höheren gesellschaftlichen Akzeptanz als hierzulande.

Sozialstaatliche Strukturen sind in Mittel- und Südamerika nicht sonderlich ausgeprägt. In El Savador gilt Analphabetismus als großes Problem. Als reiches Land kann man den Staat auch nicht bezeichnen. 38 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als zwei Dollar pro Tag.

Dass es junge Frauen unter diesen Umständen ins Kloster zieht, ist wirklich kein Wunder.

Bei jungen Männern aus armen Ländern gibt es eine ähnliche Entwicklung. Sie werden vermehrt Priester.

Angebot bleibt halbwegs, Nachfrage schwindet

Das erhöhte Angebot an Nonnen und Priestern aus Entwicklungsländern erlaubt es der katholischen Kirche, das stark sinkende Angebot an gleichem Personal in entwickelten Ländern halbwegs auszugleichen. Auf den ersten Blick beinahe der Traum eines Marktwirtschaftsfetischisten.

Freilich funktioniert das meist nur so gut wie die stalinistische Planwirtschaft in ihren schwärzesten Stunden. Angebotsorientierte Nachfrage entsteht aus der Strategie kaum. Es mag halbwegs genug Priester geben, um die Kirchen Europas einigermaßen offen zu halten. Nur werden die offenen Kirchen immer leerer. Das Volk spürt immer weniger den Bedarf nach seinem Opium.

Auch bei den Nonnen funktioniert das mehr schlecht als recht. Es gibt zu wenig Personal, um die bestehende Infrastruktur auszulasten. Klöster werden nach und nach aufgelassen. Auch mit dem Zuzug aus ärmeren Ländern steigt das Durchschnittsalter der Klosterbewohnerinnen ständig. Es fehlt an Nachwuchs.

Welle der Sympathie mit Betroffener

Dass eine Nonne sozusagen in Eigenregie, wenn auch ungeplant, für den fehlenden Nachwuchs gesorgt hat (zumindest für ein Mönchskloster), könnte man in einem Wirtschaftsunternehmen als Musterbeispiel an Engagement hinstellen. Allein, es beschleicht einen der Verdacht, dass die eigenmächtige Vorgangsweise bei den Vorgesetzten der Betroffenen auf eher überschaubare Gegenliebe stößt.

Bei den mehr oder weniger gläubigen Italienern (und wahrscheinlich vor allem den Italienerinnen) scheint das anders zu sein, wie die WELT in einem gut recherchierten Artikel feststellt. Dort wird von zahlreichen Geschenken berichtet: Babykleidung, Blumen und so weiter und so fort.

Das wird die junge Mutter auch brauchen. Derlei Gegenstände wird’s in ihrem bisherigen Zuhause eher nicht so geben. Freilich stellt sich die Frage, woher die Sympathiewelle mit einer – aus katholischer Sicht – gefallenen Nonne kommt. Menschlich berührend ist das, keine Frage. Es erscheint zweifelhaft, ob die Schwester Oberin auch so viel Verständnis aufbringt wie die italienische Öffentlichkeit.

Die Logik des Boulevards

Man würde sich solche Wellen der Sympathie auch bei anderen jungen Migrantinnen wünschen, die ungeplant ein Kind auf die Welt bringen. Flüchtlingen, zum Beispiel.

Dass diese Bekundungen ausbleiben, kann man fairerweise nur zum Teil der Bevölkerung anlasten. Von den Neugeborenen der Flüchtlingsfamilien erfährt sie nichts. Eine Nonne, die ein Kind auf die Welt bringt, ist eine Schlagzeile auf der ganzen Welt wert. Das ist Boulevardlogik. Die hat mit Menschlichkeit nichts zu tun. Sondern mit Quoten, Voyeurismus und Vorurteilen.

Und lässt sich die Heuchelei der katholischen Kirche besser darstellen als mit einer Nonne, die ein Kind zur Welt gebracht hat und ernsthaft überrascht ist?

Das vergisst man gerne die eigene Heuchelei, die einen dazu bringt, Mitgefühl mit der Nonne zu haben, während man die Flüchtlingstragödie von Lampedusa und die politischen Umstände, die diese erst möglich gemacht haben, wahrscheinlich schon lange vergessen hat.

 


"Notizen aus Wien" ist die monatliche Kolumne unseres Österreich-Korrespondenten.