Das Wörtersüppchen

Meine Bürger lassen sich stets gerne ein schmackhaftes Wörtersüppchen kochen, denkt der Politiker.

Wie wäre es zum Beispiel mit einer toleranten Dialogsuppe mit Freiheitseinlage, Solidaritätsbeigabe, gewürzt mit Gerechtigkeit? Lässt man das unappetitliche Detail beiseite, dass jene Ingredenzien nach dem tausendsten Wiederschlürfen einen faden Beigeschmack hinterlassen, so ist dies gewiss eine Suppe, wie sie der demokratisch gesinnte Deutschländer gerne auslöffelt. Gewaltig ist demzufolge die Schöpfkelle des Politikers, mit der er jene trübe Brühe in die Köpfe der Bürger gießt, wo er nur kann. So weit, so gewohnt und aus dem Feinschmecker-Repertoire des Politikers kaum wegzudenken, allemal wegzuwünschen.

Was jedoch mag es bedeuten, wenn der Politiker sein Rezept mit einer Zutat ergänzt, die so gar nicht schmecken will und höchstens dazu geeignet ist, die Suppe zu versalzen? So geschehen durch den SPD-Generalsekretär Hubertus Heil in einem Interview mit dem Rheinischen Merkur. Man erfährt dort, dass die SPD gerade ein neues Süppchen kocht, ein neues Parteiprogramm, bei dem eine besondere Zutat eine große Rolle spielen soll: Christliche Werte. Die Sozialdemokraten berufen sich dabei auf Opas Rezept, das Godesberger Programm von 1959, wo christliche Werte als eine Wurzel der Sozialdemokratie genannt werden. Tatsächlich kommt das Adjektiv „christlich" ein ganzes Mal im 5453 Wörter umfassenden Text vor und hatte somit eine geradezu existenzielle Bedeutung für die Sozialisten. Ja, damals war sowieso alles besser. Die SPD hieß „Partei des demokratischen Sozialismus". Man wollte die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich immer weiter verkürzen und trat für die Demokratisierung der Wirtschaft ein. Bedauernd stellte man jedoch fest: „Der Sozialismus ist kein Religionsersatz."

Hubertus Heil weiß das. Und Religion, die ist wie Luft, die braucht man bekanntlich zum Leben und im Parteiprogramm der Sozialisten braucht man sie natürlich auch. Nun möchte Hubertus Heil, offenbar sehr besorgt um das Seelenheil der Deutschen, den Dialog mit den Kirchen intensivieren. Er erinnert an Willy Brandt, der von einer freien Partnerschaft zwischen demokratischer Politik und christlichen Kirchen gesprochen hat. Schade, dass sich der SPD-Generalsekretär nicht an die Trennung von Kirche und Staat erinnert, die spätestens seit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 Grundbestandteil jedes demokratischen Landes ist. Auf der anderen Seite: Damals gab es die SPD noch nicht, außerdem war das in Frankreich.

Auf die Frage, ob der Gottesbezug für die EU-Verfassung ein Thema während der EU-Präsidentschaft sein werde, antwortet Hubertus Heil: „Die SPD hat sich nie gegen einen Gottesbezug gesperrt. Das ist an anderen Mitgliedsstaaten der EU gescheitert. Frankreich hat beispielsweise ein ganz anderes Verhältnis des Staats zu den Kirchen." So schaut's aus: Die Franzosen sind schuld. Die und ihre Baguettes und ihre Bürgerrechte und der ganze Quark. Die haben die Kirchen sowieso noch nie gemocht. Hubertus Heil aber schon. Auch den Religionsunterricht findet er toll: „Ich persönlich habe am evangelischen Religionsunterricht teilgenommen, und es hat mir nicht geschadet."

Ja, das hat Hubertus Heil nicht geschadet. Ganz im Sinne des Sozialismus wünscht er sich einen stärker vorsorgenden Sozialstaat und politische Antworten auf die Globalisierung. Diese Zutaten versieht er jedoch mit dem Etikett „christlich", obwohl es mit Dämonen, Rachegöttern und co. so viel zu tun hat wie die moderne SPD mit nachvollziehbarer Politik.

Der Generalsekretär will es nämlich allen Recht machen. Dem religiös-konservativen Rheinischen Merkur erzählt er, wie wichtig christliche Werte für die SPD sind und bei den Linken punktet er damit, all die üblen Sachen zu verhindern, die die CDU im Wahlkampf angekündigt hat . Mal vertraut er der Kanzlerin und ein anderes Mal warnt Herr Heil vor den Feinden des Sozialstaats. Das Problem: Ein guter Koch wirft nicht einfach alles in seine Suppe, was ihm zufällig begegnet. So ein Mahl will geplant und überlegt sein. Jede Zutat muss mit der anderen harmonieren. Das Rezept Beliebigkeit führt nie zu einem genießbaren Ergebnis. Ein SPD-Wähler will niemanden, der es allen Recht macht, er will sozialdemokratische Politik sehen und sonst gar nichts. Herr Heil wird dies auf die eine oder andere Weise erfahren müssen.

Das Godesberger Programm jedenfalls kennt darauf nur eine Antwort: „Eine religiöse oder weltanschauliche Verkündigung darf nicht parteipolitisch (...) mißbraucht werden." SPD und Christentum - diese Suppe möchte man nicht auslöffeln müssen.

 

Andreas Müller