Diskussion ums "Grüß Gott!"

Reli-Sprech im Alltag: Wenn Kanzelkultur auf Cancel Culture trifft

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In Österreich ist eine Diskussion um das "Grüß Gott" entbrannt. Dabei ist der in Österreich und Süddeutschland traditionelle Gruß keineswegs das einzige religiöse Relikt in unserer Alltagssprache, weiß Roland Gugganig. 

Der Atheist beim Einkaufen in Wien. Zuerst zum Türken. "Wunderschöne rote Zwiebeln habt's ihr. Und so riesig." Der bärtige Boy an der Kassa lächelt: "Gott ist groß." "Kriegt's ihr die öfters geliefert?" "Jede Woche, so Gott will." Ich zahle. "Auf Wiederschaun!" "Gott schütze dich."

Dann in die Trafik, am Tresen sitzt eine Österreicherin. "Grüß Gott", frohlockt sie mir entgegen. Beim Fummeln nach der Bankkarte fällt mir das Handy runter. "Jössas!" "Alles okay", beruhige ich die Dame. Sie: "Gottseidank."

Den altgedienten Gottesphrasen ist im Alltag nicht zu entkommen. Vielleicht in Schweden oder Dänemark, aber nicht im tiefen Süden, wo "Grüß Gott" sich festgebissen hat im österreichisch-bayrischen Sprachreflex und den religiösen Schulterschluss schon beim ersten Augenkontakt impliziert: "Wir haben beide Gott erwähnt, nun können wir einander vertrauen." Solche Automatismen können aber aus der Mode kommen, Anker können gelichtet werden, nein? Schließlich hört man auch "Küss die Hand" nur noch am Wiener Opernball.

Immer langsam mit den jungen Pferden. Allzubald wird Gott sich aus der Sprache nicht vertreiben lassen, obwohl gelegentlich jemand aufmuckt. Als ihn unlängst der Teufel ritt, entfachte etwa der österreichische SPÖ-Mandatar Jan Krainer einen Sturm im Wasserglas mit der provokanten Mahnung: "In Wien heißt es nicht 'Grüß Gott', sondern 'Guten Tag'." Worauf das christlich-konservative Lager erbost zurückschoss: "Diese Bevormundung ist vollumfänglich abzulehnen!"

Tatsächlich grüßt in Österreich nur eine winzige Minderheit mit "Guten Tag". Verbreitet sind hier "Grüß Sie", das weltweite "Hi" und das bewährte "Servus" (das leider, antik entschlüsselt, "Lass mich dein Sklave sein" bedeutet – auch nicht unbedingt das humanistische Ideal). Die Mehrheit der Älteren zieht jedoch den Hut und entbietet das unverwüstliche "Grüß Gott". Oft reduziert auf "S'gott", und jeder hört es anders: In Radek Knapps Schelmenroman "Herrn Kukas Empfehlungen" schallt dem jungen Polen im fremden Wien unablässig das rätselhafte Soundbite "Krisskott" um die Ohren und erst nach Wochen dechiffriert er das Genuschel. Wie viel Gott steckt im Gruß? Bekäme ich einen Cent für jeden, der dabei an Übernatürliches denkt, wären meine Shopping-Kosten noch lange nicht abgedeckt.

Fringe-Ideen zur neutralen Grußformulierung kursieren, warten aber vergeblich auf Akzeptanz. In einem Gastkommentar in der Tageszeitung Kurier empfahl etwa der österreichische Humanist Gerhard Engelmayer, das "mittelalterliche 'Grüß Gott'" endlich abzuschaffen und zu ersetzen mit dem freundlichen "Ich achte dich!" Erbaulich, aber bis dato ungehört von Bregenz bis ins Burgenland.

Weniger apodiktisch äußerte sich Wilfried Apfalter von der Atheistischen Religionsgesellschaft: "Als in Niederösterreich aufgewachsener Atheist sage ich 'Grüß Gott' oder 'Hallo'. Zu 'Guten Tag' müsste ich mich zwingen."

Österreichs Humanisten-Präsident Andreas Gradert bleibt gelassen und akzeptiert den Traditionsgruß als traditionelles Erbe. Aus seiner Sicht soll bitt'schön jeder grüßen, wie er will: "Humanisten schreiben niemandem vor, was er sagen oder nicht sagen darf. Die Dogmatik überlassen wir den Kirchen." Als Humanist, so Gradert, "muss ich ja nicht zwingend mit 'Grüß Gott' antworten, sondern kann je nach Tagesverfassung etwas abfeuern zwischen 'Das wird nicht möglich sein!' bis 'Wenn du ihn siehst'."

Hat die Debatte einen Puls? Falls ja, verebbte er rasch.

Die Gottesinfusionen im Alltagsdeutsch stammen großteils aus der Lutherzeit. Zwar war Martin Luther weder der erste noch einzige, der die Bibel eindeutschte – gut 20 Übersetzungen erschienen, bevor seine Version unter die Leute kam – aber erst die saftigen Wortschöpfungen des Chefreformators kickstarteten die deutsche Einheitssprache und prägen bis heute das Vokabular: 

Lückenbüßer, Feuereifer, Herzenslust, Rat und Tat, alles Juwelen aus Luthers eminenter Feder, nebst Wendungen, die Narben in die deutsche "Seele" brannten: zu Kreuze kriechen, Sündenbock, Sühneopfer, Höllenqual. Der Historiker Bruno Preisendörfer nennt die Lutherbibel "einen Turm aus Worten", den der rebellische Mönch "zum Himmel hinauf baute, ohne von seinem Gott dafür mit Sprachverwirrung gestraft zu werden".

Abgesehen davon war Luther, wie Humanisten wissen, ein widerwärtiger Judenhasser und Bauernfeind. Zum Tod im Kindbett, zu seiner Zeit keine Seltenheit, dekretierte er: "Wenn ein Weib müde wird und am Gebären stirbt, macht das nichts. Lass sie tot tragen, sie sind darum da!" Homosexualität verurteilte Luther als "schreckliche Vergiftung" (contagium hoc horribile). Auch litt er an chronischer Verstopfung und verbrachte viel Zeit auf dem Klo.

Soll man also unser Deutsch erlösen vom lutherischen Spracherbe? Müssen wir fordern, dass uns Gottesfernen zuliebe der religiös durchwachsene Wortschatz ausgejätet wird? Doch bevor die Kanzelkultur der Cancel Culture zum Opfer fällt, schütten wir besser nicht das Kind mit dem Bade aus (natürlich auch ein Lutherwort).

Denn wer will sich schon einreihen unter die Sprachnazis? Das Attackieren des Sprachgebrauchs mit der politischen Heckenschere und die Versuche, eine wildgewachsene Wortlandschaft ex cathedra zu regulieren – es erinnert an verblichene DDR-Kuriosa wie "Schallplattenunterhalter". Andererseits gelang es, den derben "Krüppel" zu ersetzen durch das sensiblere "Mensch mit Behinderung", ganz zu schweigen von der Totalversenkung des N-Worts. Solchen Sprachmorcheln, da herrscht unter Humanisten wohl Einigkeit, weinen wir nicht nach. Auch die Genderbender tragen das Herz am rechten Fleck und legen hoffentlich bald an Sprachgewandheit zu und streuen nicht nur Sonderzeichen ein.     

Was die farbenfrohen Relikte aus der Lutherzeit betrifft: Wäre es nicht verdammt schade um Farbtupfer wie "seelenvoll", "engelsgleich" und das "teuflische Lachen"? Auch "auf Sand bauen" könnten wir nicht mehr, nichts "aus der Taufe heben", niemanden "unter die Fittiche nehmen", keinem "die Leviten lesen" und nichts "auf Herz und Nieren prüfen". Weder dürften wir uns "an die Brust schlagen" noch "unser Scherflein beitragen". Geächtet wären alle "goldenen Kälber", "Lippenbekenntnisse", "Denkzettel" und "Feigenblätter". Der "Hochmut" käme nicht mehr "vor dem Fall" und die "Sintflut" nicht mehr "nach mir", der "Stein des Anstoßes" wäre anstößig und das "Buch mit sieben Siegeln" bliebe versiegelt. In der Garderobe fehlte uns nicht nur das "Adamskostüm", sondern auch "der Mantel der Nächstenliebe". Wir würden nicht mehr "über Gott und die Welt" reden und erst recht nicht "leben wie Gott in Frankreich".

"Kein Stein bliebe auf dem anderen" und unsere Sprache würde "weiß Gott" – noch mehr – verarmen. Greta Garbo müsste ihren Spitznamen aufgeben und beim Sex bliebe es weitgehend still. Wollen wir das, beim Teutates, Zefix no amoi?

Mischen wir lieber unserseits den Reli-Sprech auf und interpretieren die "Sprache der Dichter und Denker" neu zur "Sprache der Richter und Henker". "Was lange währt, wird endlich gut" wird bei uns zu "Was lange gärt, wird endlich Wut". Aus "Seid fruchtbar und mehret euch" machen wir "Seid furchtbar und wehret euch", der "Buß- und Bettag" wird zum "Buch- und Bett-Tag". Und falls uns jemand kommt mit der Altphrase "Glaube kann Berge versetzen", kontern wir mit "Glaube kann Sätze verbergen".

Erstveröffentlichung des Textes auf der Webseite des Humanistischen Verbands Österreich (HVÖ). Übernahme mit freundlicher Genehmigung. 

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