Weibliche politische Gefangene des Evin-Gefängnisses in Teheran wenden sich mit einem Offenen Brief aus dem Gefängnis an die Öffentlichkeit und rufen Menschen in Iran und weltweit auf, sich gegen die Todesstrafe zu erheben. Anlass ist das Todesurteil gegen eine weibliche politische Gefangene, die ebenfalls im Evin inhaftiert ist: die Aktivistin Varishe Moradi.
Mehr als 600 Menschen wurden bislang in diesem Jahr in der Islamischen Republik Iran hingerichtet. Die Hinrichtungen von Frauen nehmen rasant zu. Erstmals seit 2009 wurden Frauen auch wieder mit politischen Anklagepunkten zum Tode verurteilt. Eine Entwicklung, die weltweit mit großer Sorge beobachtet wird.
"Wenn die inhaftierten Frauen des Evin-Gefängnisses sich trotz ihrer Situation mutig an uns wenden, dann ist es das Mindeste, dass wir ihren Ruf verstärken und uns als internationale Gemeinschaft geschlossen gegen Hinrichtungen stellen", mahnt Mariam Claren, Aktivistin und Tochter der in Iran inhaftierten Deutschen Nahid Taghavi gegenüber der Organisation HÁWAR.help. Der Verein hat die feministische Revolution im Iran von Beginn an begleitet und unterstützt und versteht sich als Schallverstärker der Freiheitsbewegung für Menschen- und Frauenrechte in Iran.
Der Offene Brief in voller Länge auf Deutsch
Wir Frauen von Evin fordern euch, die Menschen Irans, auf: Reagiert aktiv und lasst nicht zu, dass die Islamische Republik kostbare Leben für ihre Abrechnungen mit den freiheits- und gleichheitsliebenden Bewegungen opfert.
Der Unterdrückungsapparat und die religiöse Despotie der Islamischen Republik haben erneut ihre Grausamkeit offenbart. In einer Zeit, in der sie Iran durch ihre totalitäre Politik in der Region in einen Strudel aus Krieg, Blut und Wahnsinn gestürzt hat, wurde erneut ein Todesurteil gegen eine politische Gefangene verhängt.
Varishe Moradi wurde von Abolghassem Salavati, dem Richter der Abteilung 15 des sogenannten Revolutionsgerichts in Teheran, zum Tode verurteilt. Dieses ungerechte Urteil wurde durch inszenierte Anschuldigungen der Sicherheitsbehörden und ohne hinreichende und stichhaltige Beweise gefällt – nach 15 Monaten Verhören, die gegen die Rechte der Angeklagten verstießen, begleitet von schwerster psychischer und körperlicher Folter. Trotz formaler und inhaltlicher Mängel in der Akte stützte sich das Urteil allein auf die subjektive Überzeugung des Richters. Zuvor waren bereits zwei weitere politische Aktivistinnen, Pakhshan Azizi und Scharifeh Mohammadi, mit ähnlichen Todesurteilen konfrontiert worden. Aktuell sind mehr als 42 politische Gefangene im ganzen Land von der Vollstreckung dieses unmenschlichen Urteils bedroht.
Dieses autokratische Regime versucht, auf seine wiederholten Misserfolge in der Innen- und Außenpolitik, die Schwächen seiner militärischen Macht, Sicherheitslücken, das Scheitern seiner Stellvertreterkräfte in der Region und vor allem den bewundernswerten und unermüdlichen Widerstand des Volkes – von Kurdistan bis Teheran und von Khuzestan bis Belutschistan – mit der Hinrichtung von politischen und zivilgesellschaftlichen Aktivisten zu reagieren. Dabei überschreitet die Regierung jede menschliche und moralische Grenze, um den Zusammenbruch ihrer brüchigen Macht zu verhindern und ihren Fortbestand zu sichern.
Wir Frauen, die in Evin inhaftiert sind, verurteilen die feindseligen, schamlosen und gesetzeswidrigen Praktiken der Justizbehörden zur Unterdrückung von politischen, zivilgesellschaftlichen und ideologischen Aktivisten aufs Schärfste. Wir lehnen die Todesstrafe ab und fordern die Aufhebung aller ausgesprochenen Todesurteile gegen Gefangene im gesamten Land.
Wir rufen die gesamte iranische Gesellschaft auf – Juristinnen und Juristen, politische Aktivistinnen und Aktivisten, zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften, Frauenrechtlerinnen, Studierende, Lehrende und andere –, aktiv zu reagieren und dafür zu sorgen, dass keine der zum Tode Verurteilten, darunter Pakhshan Azizi und Varishe Moradi, Opfer der Abrechnung der Islamischen Republik mit den freiheits- und gleichheitsliebenden Bewegungen des iranischen Volkes werden.
November 2024
Frauentrakt des Evin-Gefängnisses