MARBURG. (hpd) Der Fachbereich "Fremdsprachliche Philologien" der Philipps-Universität Marburg zeichnete den in Indien lebenden Tibeter Tenzin Gyatso mit der Ehrendoktorwürde aus. Die Zeremonie dazu fand gestern, Montag 3. August, im historischen Marburger Landgrafenschloss statt.
Ein Bericht von Franz-Josef Hanke
Das Taxi hält auf dem Vorhof des Schlosses. Es ist genau 8.30 Uhr, als wir aussteigen. Noch hält sich der Andrang in Grenzen.
Wir schreiten langsam die holprige Pflasterstraße hinauf zum Innenhof des Schlosses. Am Wegesrand steht schon eine Schlange von 20 bis 30 Leuten. Wir fragen den Letzten, ob wir uns hier anstellen müssen, um Einlass zu erhalten.
In der Akkreditierungsbestätigung hatte die Pressestelle der Philipps-Universität strenge Sicherheitsmaßnahmen angekündigt. Auch Pressevertreter erhielten nur Einlass, sofern sie sich zuvor namentlich akkreditiert hätten.
"Ich komme da bestimmt nicht rein", erklärt der junge Mann. Offenbar gehört er nicht zu den geladenen Gästen der Promotionsfeier.
Neben Journalistinnen und Journalisten sind auch Vertreter der Universität, des Magistrats der Stadt Marburg und der örtlichen Wirtschaft geladen. Insgesamt umfasst die Liste 320 Personen.
Als Journalisten zählen wir zu dieser illustren Schar. So überholen wir die Wartenden und erreichen das Schlosstor. Hier nehmen uns zwei Damen von der Universitätsverwaltung in Empfang.
Die Mitnahme von Ausweisdokumenten hatte die Pressestelle der Philipps-Universität in ihrem Akkreditierungsschreiben empfohlen. Einlass erhalte auch als Journalist nur, wer auf der Namensliste verzeichnet sei.
Unsere Namen werden mit dieser Namensliste abgeglichen. Dann schaut eine Polizeibeamtin in die Handtasche meiner Begleiterin. Danach dürfen wir weitergehen.
Durch das Tor erreicht man den Innenhof des Marburger Landgrafenschlosses. Zur Rechten führen einige Stufen in das Gebäude hinein. Im zweiten Obergeschoss befinden sich dort der Rittersaal und der Fürstensaal. Die Promotionsfeier findet im historischen Fürstensaal statt.
Über die Stufen und durch die Tür gelangen wir ins Innere des Gebäudes. Hinter einer Theke empfängt uns ein Mitarbeiter der Uni-Pressestelle. Er überreicht uns das Pressematerial.
Neben einem Plan zum Ablauf der Veranstaltung enthalten die Materialien auch schon die Rede des Laudators Prof. em. Dr. Eckhard Bangert sowie einen Bericht von der noch bevorstehenden Veranstaltung. Hinzu kommen Hintergrundinformationen zur Religionskundlichen Sammlung, zu ihrer beim Besuch des Dalai Lama zu weihenden Statue und ein Lebenslauf des 14. Dalai Lama Tenzin Gyatso.
Eine Dame verlangt von meiner Begleiterin die Abgabe ihrer Handtasche an der Garderobe. Mit dem Lift fahren wir dann hinauf ins zweite Obergeschoss. Durch das Foyer betreten wir den Fürstensaal.
In diesem Saal fand im Jahr 1529 das "Marburger Religionsgespräch" zwischen den Reformatoren Martin Luther und Ulrich Zwingli statt. Damals endete die Diskussion ergebnislos. Am 3. August 2009 ist der Fürstensaal nun Schauplatz der Ehrenpromotion des Dalai Lama.
Im weithin noch leeren Saal nehmen wir Platz in der dritten Reihe. Die vorderen beiden Reihen sind mit Namensschildern für besondere Gäste reserviert. Für die Presse gibt es keine vorbestimmten Plätze. Das bestätigt uns die Universitäts-Vizepräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause, die bereits im Fürstensaal herumläuft.
Dieser Saal ist Schauplatz besonderer Veranstaltungen der Philipps-Universität. Ehrenpromotionen finden in der Regel hier statt. Zuletzt hat hier im Jahr 2006 der Tenor José Carreras die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Medizin der Philipps-Universität erhalten. Eine gleichartige Auszeichnung an den einstigen Bundeskanzler Helmut Schmidt feierte die Uni ein Jahr später in ihrer Alten Aula am Lahntor.
Diesmal ist das Interesse aber noch größer als damals. Nach und nach füllen sich die Reihen. Gegen 9.20 Uhr kündigt die Vizepräsidentin an, dass "Seine Heiligkeit" eine Viertelstunde Verspätung habe. Der Dalai Lama hält sich also an das obligatorische "Akademische Viertel".
Für 9.30 Uhr war eigentlich der Eintrag des Dalai Lama ins Goldene Buch der Stadt Marburg sowie die Segnung einer Statue der Religionskundlichen Sammlung der Philipps-Universität durch den Dalai Lama vorgesehen. Die vergoldete Buddha-Statue symbolisiert das Mitgefühl.
Gegen 10 Uhr hören wir ein entferntes Trommeln. Nach einer Pause von vielleicht zehn Minuten ertönt das gleiche dröhnende Geräusch noch einmal. Die Spannung im Saal steigt.
Derweil findet im benachbarten Rittersaal die Segnung der vergoldeten Buddha-Statue statt. Dabei wird die Bronzefigur mit einem Schleier zugedeckt. Nur ihr Kopf bleibt unverhüllt.
Nach dem Eintrag ins Goldene BuchMittlerweile ist es 10.25 Uhr geworden. Im Fürstensaal kommt Unruhe auf. Die drei Kamerateams und das Heer der anwesenden Fotografen richten ihre Objektive auf den Eingang. Mehrere Magistratsmitglieder und der Marburger Bundestagsabgeordnete Sören Bartol betreten den Raum.
Der Dalai Lama hat sich also bereits ins Goldene Buch der Stadt Marburg eingetragen. Die Magistratsmitglieder haben dieser Zeremonie als Vertreter der Stadt beigewohnt, während die Festgäste im Fürstensaal gewartet haben.
Kurz vor 10.30 Uhr betritt der Dalai Lama endlich den Saal. Ein wahres Blitzlichtgewitter bricht über ihn herein. Das Klicken der Kameras will kaum ein Ende nehmen.
Pünktlich um 10.30 Uhr beginnt die Feierstunde. Universitätspräsident Prof. Dr. Volker Nienhaus eröffnet die Veranstaltung.
Nienhaus begrüßt den Dalai Lama und die Festgäste. Er verweist auf die Geschichte der Philipps-Universität als älteste protestantische Universität der Welt.
Im Jahr 1527 gründete Landgraf Philipp der Großmütige die nach ihm benannte Universität. Nachdem Hessen sich im Jahr 1525 der Reformation angeschlossen hatte, benötigte das Land eine eigene Universität zur Ausbildung von Juristen, Theologen und Ärzten.
Ihre Geschichte verdeutliche die besondere Verbindung der Philipps-Universität mit dem Thema Religion, erklärt der Präsident. Die Zeremonie in genau dem Saal, wo 1529 das "Marburger Religionsgespräch" stattgefunden hatte, sei überaus passend, meint Nienhaus.
Nach dem Präsidenten begrüßt Prof. Dr. Sonja Fielitz das Publikum im Fürstensaal. Sie ist die Dekanin des Fachbereichs "Fremdsprachige Philologien" der Philipps-Universität, der dem Dalai Lama die Doktorwürde ehrenhalber verleiht.
Die Dekanin berichtet von der Vorgeschichte dieser Ehrenpromotion. Die Entscheidung sei bereits im Jahr 2006 gefallen. Allerdings habe es bis jetzt gedauert, bis die Ehrenpromotion auch wirklich stattfinden könne.
Als ersten Teil der Laudatio auf den Preisträger ergreift anschließend Prof. Dr. Jürgen Hahneder das Wort. Er vertritt das Fachgebiet "Indologie und Tibetologie" der Philipps-Universität. Er war es auch, der den Vorschlag für die Ehrenpromotion des Dalai Lama gemacht hatte.
Hahneder berichtet von der Arbeit seines Fachgebiets. Insbesondere verweist er auch auf die Schwierigkeiten, die Arbeit in diesem Bereich mit Hilfe von Drittmitteln zu finanzieren. Allerdings belege die große öffentliche Aufmerksamkeit für die aktuelle Zeremonie die Bedeutung der Arbeit seines Fachgebiets.
Anschließend hält Prof. Dr. Eckhard Bangert die eigentliche Laudatio auf den Dalai Lama. Der emeritierte Tibetologe ist mittlerweile selbst buddhistischer Mönch. Seit 40 Jahren ist er mit dem Dalai Lama befreundet.
Bangert hebt vor allem die Verdienste des Religionsführers für die Pflege der tibetischen Kultur hervor. So habe er bereits 1971 eine Bibliothek für tibetische Schriften initiiert.
Neben diesem Archiv hat der Dalai Lama auch die Gründung einer eigenen tibetischen Universität "Central Institute of Higher Tibetan Studies" (CIHTS) in Sarnath im indischen Bundesstaat Varanasi veranlasst. Dort studieren junge Menschen sowohl die traditionellen buddhistischen Lehren als auch moderne westliche Methoden wissenschaftlichen Arbeitens.
"Seine Heiligkeit" habe sich damit um die Wissenschaften verdient gemacht, betont Bangert. Auch seine Publikationen hätten Wissenschaftlern vor allem in westlichen Ländern weitergeholfen, den Buddhismus und seine kulturellen Grundlagen zu verstehen. Das sei umso wichtiger, als die Tradition des Buddhismus zuvor ausschließlich auf mündlicher Überlieferung beruht habe.
Bangerts Aussagen finden sich fast wortgleich auch in der Begründung der Philipps-Universität für die Ehrenpromotion wieder: "In zahlreichen Buchveröffentlichungen hat der Dalai Lama das Wesen des tibetischen Buddhismus in authentischer - aber doch in einer für ein breiteres Publikum verständlichen - Form dargelegt. Zudem hat er viele westliche Wissenschaftler und Studierende auf den Gebieten der buddhistischen Philosophie und der esoterischen Lehren des tibetischen Buddhismus, die prinzipiell nur mündlich tradiert werden, belehrt, so dass sich sein Wissen maßgeblich auch in deren Veröffentlichungen niedergeschlagen hat."
Nach einem musikalischen Intermezzo des Pianisten Albert Kaul mit einem Stück von Arvo Perth ergreift nun der Dalai Lama das Wort. In seiner Dankesrede empfiehlt er den Zuhörern "Mitgefühl statt Egoismus" als Weg zu einem glücklichen Leben. Sein Englisch hebt sich stark von dem seiner Vorredner ab. Der Tibeter ist kaum zu verstehen. Oft müssen die Zuhörer raten, was er gerade gesagt hat.
Zuwendung und Mitgefühl seien lebensnotwendig, erklärt der Dalai Lama. Ohne die Zuwendung der Mutter sei wohl keiner der Anwesenden hier.
Immer wieder lacht der 14. Dalai Lama zwischendurch. In seinem schauderhaften Englisch strapaziert er die Aufmerksamkeit der wohlwollenden Gäste sehr stark.
Der Buddhismus betone zwar die Individualität jedes Menschen, der in sich selbst nach dem eigenen Weg zu persönlichem Glück suchen müsse. Gleichzeitig richte er sein Augenmerk jedoch auch auf die Einbettung in die Gemeinschaft, ohne die kein Mensch existieren könne.
Alle Religionen enthielten diese Ausrichtung auf einen Weg zum Glück, fährt der 74-jährige Lama fort. Allerdings beschritten sie dabei unterschiedliche Wege. Doch solle man sich hierbei auch immer auf die eigenen Traditionen und kulturellen Wurzeln besinnen.
Neben dem Dank für die Doktorwürde drückt Gyatso seine Freude darüber aus, dass nicht nur an der Philipps-Universität in Marburg die tibetische Sprache und Kultur erforscht und vermittelt wird. Budhistische Zentren seien zwar "schön und gut für diejenigen, die den Buddhismus kennen lernen oder praktizieren wollen", doch bevorzuge er die Universitäten als Institutionen einer systematischen wissenschaftlichen Herangehensweise an den tibetischen Buddhismus.
Mögen diese Worte vielleicht auch nur dem Dank an die Philipps-Universität geschuldet sein, so dürften viele Buddhisten sie sicherlich nicht gerade gerne hören, denke ich. Aber vielleicht sind sie ja wirklich nur Ausdruck der Höflichkeit des Dalai Lama und seiner erklärten Strategie, sich immer auf das jeweilige Publikum einzustellen.
Nach kaum zehn Minuten beendet der Dalai Lama seine Dankesrede. Dann fordert er das Publikum auf, ihm doch Fragen zu stellen.
Ein Gast möchte wissen, was jeder Einzelne für den Frieden tun könne. Die Antwort des Gefragten bleibt recht unklar. Ich verstehe in etwa, dass man seine Bedürfnisse und den eigenen Egoismus einschränken solle.
Roland Stürmer fragt nach dem Verhältnis des Geehrten zu Homosexualität und nach einer sektiererischen Abspaltung innerhalb des Buddhismus. Stürmer gehört als ehrenamtliches Mitglied der Grünen dem Magistrat der Universitätsstadt Marburg an.
Der Dalai Lama antwortet, dass jeder auch sexuell so leben solle, wie es ihm Spaß mache. Doch wer sich einer Religion zuordne, der müsse ihre Positionen auch zu diesem Thema achten. Viele Religionen verstünden Homosexualität als eine Art von "Miss-Sexualität". Er selbst betrachte das zwar anders, doch der Buddhismus sehe es genau so.
Damit beantwortet der Dalai Lama zugleich eine weitere Frage Stürmers, der auch nach dem Verhältnis des Geehrten zur Demokratie gefragt hatte: Im Buddhismus entscheide ein Gremium von Mönchen, erklärt der Dalai Lama. Kein Einzelner genieße uneingeschränkte Macht. Das gelte auch für ihn selbst.
Die Äußerungen des Lamas zu der Sekte sind noch schwerer nachvollziehbar als seine sonstigen Aussagen. Er habe sich von dieser Richtung, die ihn einst ausgebildet und erzogen habe, im Zuge seiner Auseinandersetzung mit der westlichen Welt abgewandt, erklärt der Dalai Lama.
Inzwischen ist es schon Mittag. Irgendjemand gibt dem Redner ein Zeichen, dass er zum Schluss kommen solle.
"Lunchtime!", ruft der Tibeter erfreut. Man merkt ihm an, dass ihm angesichts der Essensdüfte im Raum schon der Speichel im Munde zusammenläuft.
Doch vor dem Mittagessen erhält der Dalai Lama noch die Urkunde. Der Präsident und die Dekanin überreichen ihm das Dokument gemeinsam.
Von dieser Übergabe können die Gäste im Saal jedoch kaum etwas mitbekommen. Dicht gedrängt umringen Kameraleute und Fotografen die Szenerie. Die Besucher stehen auf, um überhaupt einen Blick von dem Vorgang zu erhaschen.
Dem Pianisten Albert Kaul, dem Marburger Oberbürgermeister Egon Vaupel, dem Universitätspräsidenten, der Dekanin und den beiden Laudatoren überreicht der Religionsführer je einen weißen Gebetsschal. Dann schreitet er durch den Gang zum Rittersaal.
Auf dem Weg durch die Reihen schüttelt er die Hände der Umsitzenden. Auch meine Nachbarin erhascht im Vorübergehen seine kalte Hand. "Von irgendwelchen Energien habe ich nichts gespürt", berichtet sie etwas enttäuscht. Kurz darauf schließt sich hinter dem Dalai Lama die Tür zum Rittersaal.
Der Empfang findet anschließend im Foyer statt. Es gibt Sekt und Kaltgetränke, Laugenbrötchen und gefüllte Blätterteigtaschen. Ein Magistratsmitglied beklagt sich bei mir, dass die Fotografen ihm den Blick auf den Dalai Lama beim Eintrag ins Goldene Buch verstellt hätten. Kaum einer der Anwesenden hat alles verstanden, was der Dalai Lama gesagt hat.
Wir machen uns auf den Heimweg. Mit dem Lift fahren wir hinab zur Garderobe und holen dort die Handtasche meiner Begleiterin ab. Im Innenhof des Schlosses warten die Fotografen auf den Dalai Lama. Er sitzt noch im Rittersaal beim Mittagessen.
Drei Fernsehteams und acht oder neun Fotografen haben die gesamte Veranstaltung dokumentiert. Die Zahl der Journalistinnen und Journalisten von Zeitungen und Hörfunk dürfte noch wesentlich größer gewesen sein.
Es ist 13.20 Uhr, als wir den Schlosshof verlassen. Draußen steht eine dicke Limousine. Auf dem Vorhof des Schlosses warten 15 Polizei-Motorräder auf den Dalai Lama. Hinter Absperrgittern harren gut 100 Menschen aus, um einen Blick auf ihn zu erhaschen.
Gegen 13.40 Uhr verlässt eine Kolonne von vier zivilen Autos, zwei Polizeiwagen und den 15 Motorrädern das Schloss. Im Vorüberfahren winkt der Dalai Lama den Schaulustigen hinter den Gittern freundlich zu. Kurz wendet er sich auch zu uns herüber, bevor sein Wagen davonbraust.
Kurz vor 14 Uhr hält unser Taxi auf dem Vorhof des Schlosses an. Die Zufahrt ist wieder freigegeben. Wir steigen ein und fahren heim.