Big Brother kommt durch das Kirchentor
Die schon in der Realisierung der Kirchensteuer prinzipiell angesiedelte Verfassungswidrigkeit steigert sich durch die Kirchenabgeltungssteuer noch zusätzlich und zementiert die mangelhafte Trennung von Kirche und Staat in Deutschland. Ist es doch das explizite Ziel der evaluierenden Kommission, die zum Abzug verpflichtete Stelle in der Zukunft in die Lage (zu) versetz(en),
„den Abzug entsprechend der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft auf einfache Weise durchzuführen oder zu unterlassen, falls keine entsprechende Mitgliedschaft vorliegt. Dies wird mit der Einrichtung einer Datenbank ermoglicht, die es den Stellen, die die Kapitalertragsteuer einzubehalten haben, erlaubt, auf elektronischem Wege festzustellen, ob ein Steuerpflichtiger Angehöriger einer Religionsgemeinschaft ist oder nicht, und gegebenenfalls, welcher Religionsgemeinschaft er angehört und welcher Kirchensteuersatz für ihn anzuwenden ist. Damit wird den Kirchen das Aufkommen der Kirchensteuern dauerhaft gesichert. (…) Sobald die Überprüfung ergibt, dass beim Bundeszentralamt für Steuern die Daten über die Religionszugehörigkeit der Steuerpflichtigen verfügbar sind, wird durch ein weiteres Gesetzgebungsverfahren ein zwingendes Quellensteuerabzugssystems mit der Möglichkeit einer elektronischen Abfrage des Religionsmerkmales beim Bundeszentralamt eingeführt.“
Dieses Vorhaben passt sich handfest ein in die manigfaltigen Bestrebungen, die Grundlagen des demokratischen Staates zugunsten von autoritären Überwachsungstrukturen zu ändern. Es verstößt nicht nur gegen die Leitlinien des deutschen Datenschutzes sondern steht in prinzipiellem Widerspruch zu Artikel 8, § 1 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr. Obwohl die für Kirchen anwendbaren Schlupflöcher hier natürlich eingebaut sind: „Die Mitgliedstaaten untersagen die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie von Daten über Gesundheit oder Sexualleben.“
Das muss auch der Evaluierungsbericht zugestehen. Aber er windet sich in wolkigen Erklärungen, die in der Feststellung gipfeln, dass „die zwingende Erforderlichkeit der Erhebung, Übermittlung und Speicherung des Datums „Religionszugehörigkeit“ (…) deshalb für amtliche Modelle eines endgültigen automatisierten Verfahrens gesondert zu prüfen (ist).“
Die Ernsthaftigkeit dieser Absicht wird aber dadurch infrage gestellt, dass der Bericht nur ein einziges Modell der Datenerfassung favorisiert und umfassend darstellt. Es beinhaltet die Erfassung der Religionszugehörigkeit gekoppelt an die berüchtigte Identifikationsnummer der Steuerpflichtigen mit seiner Potenz als flächendeckende bundesweite Vorratsdatenspeicherung. Diese Option wird durch die Autoren „im Hinblick auf die in Artikel 4 Absatz 1 GG verankerte Religionsfreiheit der betroffenen Kunden als verfassungsgemäß beurteilt, da es zur Sicherstellung einer geordneten Besteuerung, zu der der Staat nach Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 137 Absatz 6 WRV gegenüber den Kirchen verpflichtet ist, erforderlich und dem Kunden bei Wahrung des Datenschutzes zumutbar sein dürfte [sic …]“.
Schon jetzt wird im Rahmen des Kirchensteuereinzugverfahrens das Grundrecht auf Religionsfreiheit als untergeordnet betrachtet: Lohn- und Gehaltsempfänger müssen ihrem Arbeitgeber ihren Konfessionsstatus offenbaren. Letztendlich soll es in diesem neuen Verfahren dann zu einem automatisierten „Religionsschlüssel“ kommen, der zentral alle Daten des Gläubigen enthält und auch für die Lohnsteuer angewandt werden soll. Diese Schlüssel müssen für die 69 verschiedene Kirchensteuergläubiger zugelassen werden (27 Diözesen, 22 Landeskirchen, 11 jüdische Landesverbande/Gemeinden, 5 freireligiöse Gemeinden, das Bistum der Altkatholiken und je eine Auffangmöglichkeit für jüdisch, katholisch und evangelisch), sodass ein enormer bürokratischer (kirchlich verwalteter?) Apparat zu erwarten ist. Dieser ganze, neue systemische Automatismus untergräbt mit Hilfe der Kirche das verfassungsmässige Recht auf informationelle Selbstbestimmung immer weiter. Um so mehr, da ein Zugriff von anderen Institutionen, ja sogar private Banken auf die Zentraldatei nicht auszuschliessen ist.
Das allternative durch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vorgeschlagene Modell, das auf die Ubermittlung des Datums „Religionszugehörigkeit“ an die Kirchensteuerabzugsverpflichteten verzichtet, liegt demgegenüber nur in „Eckpunkten“ vor und soll, so die Kommission, noch eine vertiefte Prüfung erfordern. Wer sich mit solchen Verfahren auskennt, weiß, was diese Formulierung bedeutet!
Immer mehr wird die Verzahnung von Kirche und Staat zu einer Gefahr der verfassungsmäßigen sozialen und politischen Rechte, die Kirchensteuer zu einem ihrer beliebtesten Instrumente. Die Abschaffung der staatlich regulierten Kirchensteuer wird somit zu einer dringenden Aufgabe für alle demokratische Kräfte des Landes.
R. Mondelaers