Zwangsarbeit. Da steht das Wort im Redetext der ehemaligen Sozialministerin von Schleswig-Holstein und das genau, Zwangsarbeit, sagt Rolf Breitfeld, sei ihm und den mit ihm zeitgleichen Bewohnern dort geschehen bzw. sie waren ihr ausgesetzt. „Wir waren nicht mit dem Tode bedroht wie die Menschen in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten“, so Rolf Breitfeld. Wir Fürsorgezöglinge waren auf dem Strickboden, isoliert, verschlossen hinter Gittern, von den aus der NS-Zeit verbliebenen Wärtern bewacht und dem Arbeitspensum gegenüber: 4.000 Maschen für die Netze oder Strafe ....“, und schließt die Frage an: „Was ist das anderes als Zwangsarbeit?"
Und er fährt fort: „Ich bin der Ansicht, am 31.12.1974 wurde das letzte und illegal betriebene Arbeitshaus der Bundesrepublik geschlossen. Es war die Fortführung eines Arbeitshauses als KZ im Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland, außerhalb des Grundgesetzes.“
Antworten auf meine Fragen nach den Abnehmern bzw. Nutznießern der Zwangsarbeit der Jugendlichen bleiben allgemein gehalten: Die „Hochseefischerei“. Die Glückstädter Heringsfischer AG, die sozusagen zeitgleich dem Abriss des Landesfürsorgeheims Konkurs anmeldete und deren Aktionäre bei Gründung in der Glückstädter Oberschicht zu finden waren? Dr. Gerhard Köhn, geborener Glückstädter und ehrenamtlicher Stadtarchivar in den Jahren 1966 bis 1970 sieht hier keinen Zusammenhang sondern sagt: „Die gesamte Nordsee Küstenfischerei hat mit öffentlicher Unterstützung gelebt. Privat-Eigentümer gab es in den 60er Jahren kaum mehr“. Er will aber dieser Frage nachgehen und ist sicher, die Akten werden „sprechen“.
Das Stadt-Archiv Glückstadt selbst blieb meiner Recherche gegenüber verhalten und hatte mich an Gerhard Köhn verwiesen.
Dazu sagt Gerhard Blasberg, Bürgermeister von Glückstadt: „Wir wissen einfach nicht, wie es damals war. Das ist kein Verschweigen, sondern Unwissenheit.“
Macht nichts, denke ich bei mir, die Opfer sind mein Thema, die anderen müssen mit sich selbst klar kommen. In mir laufen die Berichte meiner Begegnungen mit „Ehemaligen“ in den vergangenen Monaten wie ein Film ab: Fotografien, 50iger- und 60iger Jahre, Mädchen, 14, 15-jährig in weißen Kitteln hinter Bügelbrettern und Dampf-Eisen und die Stimmen dazu: „Der Wagen mit der Schmutzwäsche kam wöchentlich“ ... „Manschetten und Kragen der Oberhemden waren klatsch nass und schwer zu bügeln aber ich habe es immer geschafft“ ... „Wir durften bei der Arbeit nicht sprechen“ ... ,,Wir wurden immer bestraft, egal was wir taten, es gab immer eine Strafe“ ... „Ich hatte die Wäsche für eine ganz bekannte Schausteller-Familie“ ... „Und nur mit den Kindern, deren Eltern nicht kamen“ ...
Zurück nach Glückstadt und den „Bewohnern“ des Landesfürsorgeheims Glückstadt.
Wie es dort in den Jahren 1949 bis 1974 mit Erziehung, Fürsorge, Förderung, Strafen, dem Leben in der Anstalt insgesamt aussah, wie Jugendliche dorthin „verlegt“ wurden und wer die „Belegung“ veranlasste, darüber gibt die Wanderausstellung und das begleitende Buch Auskunft.
Herausgeber Irene Johns, Christian Schrapper.
Zurück zu Rolf Breitfeld.
„Zum ‚Landesfürsorgeheim Glückstadt’ gibt es nichts mehr aufzuklären. Die Akten liegen auf dem Tisch.“ Breitfelds Worte klingen nüchtern hier in seinem Wohnzimmer jetzt, Ende September 2010, mit dem Rücken zum Computer.
Breitfeld ringt mit sich, um Respekt dem gegenüber zu belassen, was im Landtag Schleswig-Holstein in der 16. Legislaturperiode begonnen wurde nämlich, „...sich mit dem erlittenen Unrecht und Leid, das Kindern und Jugendlichen im Landesfürsorgeheim Glückstadt (...) widerfahren ist, auseinanderzusetzen“ und Breitfeld zitiert weiter aus dem Vorwort des Buches: „In dieser Anstalt wurden systematisch - und nicht nur in Einzelfällen – die Rechte und die Würde der jungen Menschen missachtet und verletzt“