Das Schwert des Wortes in der Brust Singapurs

Shadrake vor Gericht

Richter Quentin Loh stellte zum Prozessauftakt am 6. November 2010 einen Freispruch in Aussicht, sollte sich Alan Shadrake für das Buch beim Gericht entschuldigen. Das lehnte dieser ab, gestand aber eine kleine Ungenauigkeit* ein. Er werde sich für das Buch nie entschuldigen, stellte Shadrake erneut fest. „Weil es korrekt ist!“

„Auch die von Ihnen vorgeworfene Hörigkeit der Justiz gegenüber der Regierung halten Sie nach wie vor für korrekt?“, fragte der Vorsitzende. „Ja Euer Ehren, denn die Justiz ist letztlich auch ein Opfer der Machthabenden in diesem Land. Ich richte mich gegen diese, nicht gegen die Justiz“, antwortete der 76-jährige Angeklagte.

In seinem Schlussplädoyer forderte Rechtsanwalt Ravi eine milde Bestrafung wegen des einen, und ausschließlich dieses einen, eingestandenen Fehlers. Alle anderen Vorwürfe seien schließlich gar nicht widerlegt worden.

Die Staatsanwaltschaft forderte ein abschreckendes Urteil von zwölf Wochen Gefängnis, eine „angemessene“ Geldstrafe und die Ermittlungskostenübernahme. Das Gericht vertagte sich nach den Plädoyers.

Am 18. November 2010, dem Tag der Urteilsverkündung, verlas der Angeklagte vorher eine Erklärung. Er bedauere, wenn er die Gefühle der Menschen, die für die Justiz arbeiten, verletzt habe. Dies sei nicht seine Absicht gewesen. Mehr habe er nicht zu sagen.

Das reichte dem Richter nicht, der Staatsanwältin erst recht nicht.

Alan Shadrake wurde zu sechs Wochen Haft, der Zahlung von S$ 20.000 (ca. € 11.000) in die Staatskasse und der Übernahme der „staatsanwaltlichen Ermittlungskosten“ in Höhe von S$ 55.000 (ca. € 30.000) verurteilt. Alleine schon um zu erfahren, wie die Überprüfung einer 219-seitigen Lektüre auf strafrelevante Inhalte, das Aufsetzen einer Anklageschrift und ein paar Telefonate Kosten von nicht weniger als S$ 55.000 verursachen konnten, waren für den Autor Grund genug, in Berufung zu gehen. Bis dahin bleibt Shadrake auf freiem Fuß.

Das Urteil enthält übrigens eine Klausel, dass bei Zahlungsunfähigkeit der Geldstrafe sich die Freiheitsstrafe um zwei weitere Wochen verlängert.

Vor dem Gerichtsgebäude erklärte der Frischverurteilte den wartenden Journalisten, das Urteil sei nach hiesiger Gesetzeslage fair. Sein Anwalt fügte hinzu „er [Shadrake] ist fair, der Richter ist fair, aber das Gesetz ist nicht fair!“ Bei der Frage eines Reporters, warum er sich für das Buch nicht einfach entschuldige, zeigte der sonst sehr ruhige Mann erstmals Nerven. „Was würden Sie von mir denken? Was würde jeder andere von mir denken? Ich bin nicht hier, um zu kneifen“, sprach er mit leicht zitternder Stimme - und auch ein wenig lauter als üblich - in das ihm vorgehaltene Mikrofon.

Als die BBC ihr laufendes Programm unterbricht, fragt der Moderator im Studio gleich zwei Mal ungläubig, „Der Mann ist 76 Jahre alt und soll für sechs Wochen ins Gefängnis wegen eines angeblich verleumderischen Buches, das ihm jedoch keiner widerlegen kann?“

*Shadrake behauptet in seinem Buch, Dinesh Singh Bhatia hätte wegen Kokainkonsums normalerweise zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt werden müssen. Tatsächlich war dieser jedoch Ersttäter und wäre unter keinen Umständen zur Höchststrafe verurteilt worden. Diesen Fehler sah er ein.