Das Schwert des Wortes in der Brust Singapurs

„Wissen müssen“ mal anders

Mitglieder der Highsociety Singapurs genießen unter anderem offenbar auch das Privileg, Richter für dumm verkaufen zu dürfen. Bei einer Drogenrazzia im Oktober 2004 war unter den 17 Festgenommenen Dinesh Singh Bhatia, der Sohn eines hohen Justizbeamten. Diesem drohte wegen des Konsums von Kokain eigentlich eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. Sein damaliger Anwalt K. Shanmugam (der heute Justizminister ist) erklärte beim Haftprüfungstermin, sein Mandat habe ja keine Ahnung gehabt, dass die von ihm durch die Nase konsumierte, weiße Pulversubstanz, die Droge Kokain gewesen sei (man fragt sich unweigerlich, was er denn sonst glaubte zu schnupfen). Nach einigem Hin und Her wurde der „unwissende“ Kokainkonsument zu acht Monaten Haft verurteilt, welche nach drei Monaten in Hausarrest mit elektronischer Fußfessel umgewandelt wurde.

Der Sohn eines Justizbeamten im Ministerium hatte nicht „wissen müssen“, dass er Kokain zu sich nahm. Aber ein 19-jähriger Schwarzafrikaner aus Nigeria, ohne nennenswerte Bildung, starb am Galgen, weil er hätte „wissen müssen“, dass er statt Heilkräuter Heroin im Gepäck hatte.

Hinrichtung eines nachweislich Unschuldigen

Doch der wohl erschütternste Fall in „Once a Jolly Hangman“ ist die Geschichte des Malaysiers Vignes Mourthi, der einem verdeckten CNB-Ermittler namens Rajkumar, angeblich 27 Gramm Heroin verkaufen wollte. Von einem arrangierten Treffen zwecks Übergabe existieren weder Ton- noch Videoaufnahmen. Lediglich ein undatierter Zettel des Fahnders mit „belastenden“ Notizen. Der lose, bekritzelte Zettel reichte für ein Todesurteil!

Schließlich stand hier die Aussage eines „integeren“ Staatsdieners gegen die eines mutmaßlichen – pardon, zum Tode zu verurteilenden – Drogendealers. Sämtliche Proteste des Verteidigers M. Ravi, Rajkumar könne die Notizen jederzeit, überall und unabhängig von der Wahrheit geschrieben haben, blieben wirkungslos. Vignes Mourthi starb im Alter von 23 Jahren am 23. September 2003 durch den Strick.

Die Dimension des Skandals offenbarte sich später. Rechtsanwalt Ravi wurden anonym Informationen zugespielt, dass bereits zwei Tage nach Mourthis Festnahme, gegen den Hauptbelastungszeugen Rajkumar ein Ermittlungsverfahren wegen Bestechung, Vergewaltigung und Analverkehr (ist eine Straftat in Singapur) eingeleitet worden war. Weder die Staatsanwaltschaft, noch die Polizei, noch das Gericht hatten die Verteidigung darüber in Kenntnis gesetzt.

Der als „integer“ gepriesene Polizist und Zeuge der Anklage, konnte weiter seinen Dienst verrichten – bis Mourthi hingerichtet wurde. Dann erhob der Staat plötzlich Anklage. Richter Sia Aik Kor verurteilte Rajkumar zu 15 Monaten Haft wegen Korruption. In seiner Urteilsbegründung erklärte er, der Angeklagte sei „wissentlich durch und durch korrupt“; sogar so weitreichend, dass er „das gesamte Rechtssystem unterlaufen“ habe.

Und die Aussage genau dieses Mannes war es, die einen 23-jährigen Menschen an den Galgen brachte.

Shadrake spricht bezüglich des Urteils und der Exekution Vignes Mourthis von einem „Justizirrtum“ (er verwendet ausdrücklich die Vokabel „Justizmord“ nicht). Die Familie des Malaysiers, ganz besonders der Vater, wünscht sich heute, sieben Jahre nach dem offensichtlichen Unrecht, nichts mehr als ein Eingeständnis des Justizministers Shanmugam im Nachbarstaat Singapur (wir erinnern uns: der war einst Strafverteidiger, dessen Mandat eher glaubte, Waschpulver statt Kokain zu schnupfen). Bislang vergeblich…

Formaljuristisch ist es sogar völlig irrelevant, ob der Angeklagte schuldig oder nicht schuldig war. Er hatte zweifelsohne keinen fairen Prozess, folglich war das Urteil illegal, ergo wurde auch nach singapurischem Rechtsverständnis, ein Unschuldiger exekutiert.

Während Shadrake in den anderen Fällen seine Quellen (aus offensichtlichen Gründen) nicht preisgibt und daher nur mit Indizien argumentieren kann, ist hier die Justiz selbst der Beweis.

Interessanterweise wurde Shadrake diesbezüglich auch nicht angeklagt.