Armut – Perspektiven, auch religiöse

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P. Brueghel: Die Sieben Werke der Barmherzigkeit

TRIER. (hpd) Von der Antike bis heute: Wie 2500 Jahre Armut in der Kunst gespiegelt werden, zeigen zwei große Ausstellungen in Trier. Die Sicht auf die Armut hat sich extrem gewandelt. Zwischen den Zeilen lässt sich die Rolle der Kirche bei diesem Wandlungsprozess ableiten - und daraus ein möglicher Faktor für die Entstehung kirchlicher Macht.

Bis zum 31. Juli hat man die Möglichkeit, die gemeinsame Sonderausstellung „Armut – Perspektiven in Kunst und Gesellschaft“ des Stadtmuseums Simeonstift und des Rheinischen Landesmuseums Trier zu besuchen.

Zu den 250 Exponaten in den zwei Museen kommen etwa 80 Veranstaltungen in den Theatern, der Tuchfabrik, der Kunstakademie, Lesereihen für Kinder und Jugendliche, Exkursionen, Vorträge und Führungen zum Thema Armut.

Idee und Konzeption zu dem Projekt stammen vom Sonderforschungsbereich „Fremdheit und Armut“ (SFB 600) an der Universität Trier. Schirmherrin für die Ausstellung ist die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Annette Schavan, für die anderen Veranstaltungen konnten weitere Schirmherren gewonnen werden.

„Abomino paupero(s)“ – „Ich verabscheue Arme“

Wer chronologisch beginnen möchte, sollte zuerst das Rheinische Landesmuseum besuchen. Hier sind antike Belege für den wenig humanistischen Umgang mit Armen zu finden. Aus Pompeji stammt das Graffito „Abomino paupero(s)“, „Ich verabscheue Arme“. Weiter heißt es: „Wer etwas umsonst will, ist blödsinnig; Geld soll er geben und er soll die Sache bekommen.“ Das Armutsverständnis hat sich heute gewandelt, jedoch gar nicht so sehr, wie man meint, wenn man sich die Äußerungen mancher heutiger Politiker zu Gemüte führt. Doch dazu später mehr.

Heute wird Armut relativ zum Durchschnittseinkommen einer Volkswirtschaft ermittelt. In der Antike jedoch galt als arm, wer arbeiten musste, denn Armut galt immer als selbstverschuldet und Reichtum bestand in der Abwesenheit der eigenen physischen Arbeit. Daher wurden Arme weder als hilfsbedürftig noch darstellungswürdig angesehen. Wenn sie dargestellt wurden, dann zur Belustigung, sie wurden verulkt.

Es gab zwar etwas wie eine antike Wohltätigkeit, den Euergetismus. Dieser bestand bis in die Spätantike hinein in Wohltätigkeitsmaßnahmen der Kirche, vorab der Bischöfe, sowie in Stiftungen von Getreide oder Spielen durch mächtige und reiche Mitglieder der Gemeinde.

Verdammt zu niederen Arbeiten, ausgegrenzt von Ämtern, von Würden, aus der Gesellschaft, wurden Arme im antiken Griechenland als verwachsene kleine Figürchen, verkrüppelte Reliefs auf Öllämpchen gesehen und dargestellt.

 

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Bild 1: Kopf eines alten Fischers
Lachhaft: Arme sind wie Tiere

Die alten Griechen waren auch der Meinung, Sklaven seien nur bedingt vernunftfähig und wie Tiere triebgesteuert. Sie drückten dies höhnisch aus mit überdimensionierten Geschlechtsorganen, mit erigiertem Geschlechtsteil, der unverhüllte Phallus steht für Schamlosigkeit und niedrige soziale Stellung (Hochrangige wurden stets mit Miniphallus porträtiert). Interessant ist auch die sonstige Symbolik am Beispiel eines lebensgroßen Fischers: Das krause Haar stand für Feigheit und der geöffnete Mund sollte Einfältigkeit demonstrieren.

Zum Fest Lagynophonia allerdings kamen arm und reich zusammen. Ein billiges Huhn konnte sich auch der Arme leisten, mit diesem verschaffte er sich Zutritt zum Fest zu Ehren des Dionysos. Hier tranken Arme und Reiche gemeinsam. Die Skulpturen waren zu jener Zeit übrigens recht farbenfroh, ein Detail, welches heutzutage gemeinhin unterschlagen wird. Nicht jedoch im Rheinischen Landesmuseum: Hier wird die etwa 2200jährige „Trunkene Alte“ in all ihrer rekonstruierten Farbenpracht und lachend (vom Band) präsentiert.

Die Originale der gezeigten Ausstellungsstücke stehen unter anderem in London, Rom, Paris, Mainz – und in Trier, der ältesten Stadt Deutschlands, ehemals zweite Hauptstadt des römischen Reiches. Es sind also auch Originale zu sehen, vor allem aus der römischen Antike. Beispielbild
Bild 2: Bettler/Afrikaner

Im römischen Reich fertigte man groteske Köpfe, die vermutlich von übelabwehrender Wirkung sein sollten. Anders als in Griechenland konnte hier grundsätzlich jeder ärmer oder reicher werden, auch ein Sklave. Möglicherweise finden sich deshalb in der Römer-Abteilung weniger Darstellungen von Armen, sondern das Gewicht liegt hier auf der Beschreibung gesellschaftlicher Hierarchien sowie auf dem Blick in die Spätantike.

„Unser Reichtum sind die Armen“

Aufgrund gesellschaftlicher Umwälzungen in der Spätantike kam die Frage der Versorgung der Armen auf. Konstantin erkannte das Christentum an, obgleich er vermutlich selbst „Heide“ (d.h. nicht getauft) war. Die Armenfürsorge in der Diakonie institutionalisierte sich, Caritas wird als frühchristliche Wohltätigkeit genannt. Damit stand die Kirche im römischen Staat relativ alleine in der antiken Welt da. Und damit könnte die Versorgung der Armen eine der Faktoren sein, die zur Beliebtheit und Ausbreitung der Kirche beitrugen. Schließlich liegt bis heute einer der Hauptschwerpunkte kirchlicher Rekrutierungsmaßnahmen in der Ausbeutung der Schwäche: Arme, Kranke, Kinder, Soldaten. Das Motto: Zur Stelle sein mit sozialer Fürsorge, wenn Menschen am verletzlichsten sind.

Und auch in der zweiten Ausstellung, die Exponate ab dem Mittelalter bis heute zeigt, werden verschiedene Facetten kirchlicher Armenfürsorge und Armenideale gezeigt. Jedoch nicht nur.

 

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Bild 3: Russische Bettlerin
Eine Ausstellung in fünf Kapiteln

Im Simeonstift, direkt neben der Porta Nigra, befindet sich die größere Ausstellung auf zwei Etagen. Die multimediale Ausstellung ist in fünf Kapitel eingeteilt, in Dokumentation, Appell, Ideal, Stigma und Reform.

Betritt man das Ausstellungsgebäude, wird eine lange Sammlung von Zitaten sichtbar, die sich über die Stockwerke erstreckt. Nicht alle Aussagen sind positiv. So kann man unschwer Ähnlichkeiten zwischen einem deutschen Politiker unserer Zeit und dem Apostel Paulus erkennen. Letzterer war der Meinung: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen!“ Etwa zweitausend Jahre darauf meinte der damalige Minister für Arbeit und Soziales: „Nur wer arbeitet, soll auch essen!“ – Franz Müntefering, 2006.

In „Dokumentation“ (Armutszeugnis) finden sich vor allem Fotografien armer Menschen und Familien aus Irland, Schottland, und den USA der 1930er. August Sander fotografierte in dieser Zeit Zigeuner, Bettler und Arbeitslose in Deutschland.

Der Appell (Hilferuf!) zeigt Arbeiten unter anderem von Heinrich Zille, George Grosz und Käthe Kollwitz. Hunger wurde um 1900 zu einem Thema der Kunst, denn das Elend in den Großstädten war groß. Im ersten Weltkrieg verstärkte sich die Problematik und die Darstellungen wurden drastischer. Die Künstler verstanden ihre Kunst politisch, als „Ausrufezeichen“, mit denen sie das Publikum unmittelbar erreichen wollten. Bis in die heutige Zeit appellieren Hilfsorganisationen an Menschen, bitten um Spenden. Zu sehen sind beispielsweise die Werbeplakate für „Brot für die Welt“ von 1962 und 1983, ein Plakat „Gebt dem Bischof für die Armen!“ der Caritas-Kollekte 1951 oder Thomas Gottschalk, der 2009 für die religiöse Vereinigung Misereor warb. Ob Gottschalk und Misereor dabei dachten: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“?

Ideal

Heiligendarstellungen vor allem der hl. Elisabeth aus Thüringen (inklusive eines Gemäldes von Tilman Riemenschneider, welches Ende 15. Jh. datiert wird) zeigen das religiöse Interesse am Thema. Christen wurden aufgefordert, so geht es aus einem Täfelchen von 1626 hervor, dem Armen in der Hungersnot Brot abzugeben. Dann erhielten sie von Christus „das Himmelsbrot im Ewig Leben“. Eine prunkvolle Monstranz mit den sieben Werken der Barmherzigkeit von Gabriel Hermeling, welche Ende 19. Jh. datiert, hätte bestimmt viele Familien für lang Zeit gesättigt. Gewehrt hat sich scheinbar keiner gegen den Prunk: „Halt du sie dumm, ich halt sie arm.“

Sogar freiwillig begaben sich Menschen in Armut, angefangen bei Diogenes. Aber auch christliche und buddhistische Mönche und Nonnen probieren bis heute die Armut als ideales Lebenskonzept aus. Beispielbild
Bild 4: Die wandernden Musikanten

Schließlich wird die Armut romantisiert. Mittels stilisierter Armutsinszenierungen, wie beispielsweise in den Fotografien „Der kleine Rumäne Drago“ (1999) von Pierre & Gilles oder „Moses“ (ein Junge mit einem Hahn) von Pierre Gonord, 2006, werden sehr schöne, junge Arme gezeigt.

In diesem Bereich finden sich allerdings auch der Zyklus „Ein Weberaufstand“ von Käthe Kollwitz und Picassos „Das karge Mahl“, letztere Radierung eine Leihgabe aus Ulm – das Museum der Brotkultur in Ulm zeigt die Ausstellung Armut vom 11. September bis 6. November 2011 in reduziertem Umfang.

Weltliche Ideale des Menschenrechts auf ein Leben ohne Armut (fraternité), welche seit der Aufklärung stärker wurden, wurden Mitte des 20. Jahrhunderts mit christlichen Idealen (fraternitas) verbunden. Auch dies demnach ein anschauliches Beispiel dafür, wie das Christentum sich jene Werte einverleibt und auf die eigenen Fahnen schreibt (bei den Borg würde man „assimiliert“ sagen), gegen die es sich nicht mehr wehren kann (passendes Borg-Zitat: „Widerstand ist zwecklos“). 

 

 

Beispielbild
Bild 5: Sitzender
Stigma (Fremdheit)

Jude, Zigeuner, Ire, arbeitslos, stigmatisiert. Unwürdige Arme wurden definiert, vor allem, wenn die Mittel begrenzt waren. Hauptsache anders, nicht wir, daher unwürdig. Das kennen wir bis heute, die Attitüde bezieht sich auf Empathie, Verteilung finanzieller Mittel etc. (Seltsamerweise werden auszugrenzende „Sünder“ oder Andersgläubige in der Ausstellung nicht erwähnt, auch keine Glaubenskriege, die Menschen millionenfach in Armut stürzten.)

Reform

Gibt es Auswege? Es gab viele verschiedene Ansätze. Almosen werden vergeben, wie bereits unter „Appell“ und „Ideal“ angedeutet. Aber auch eine „Gute Herrschaft“ konnte dafür sorgen, dass es Armen besser ging, sie also weniger arm waren.

In diesem Bereich findet sich das Video eines sozial engagierten Mainzer Bischofs, Wilhelm Emmanuel von Ketteler, der 1868 frohgemut zum 1. Vatikanischen Konzil aufbrach, um dort jedoch am Papst Pius IX. zu scheitern, der wirklich wichtigere Dinge zu tun hatte. PP IX war ein vehementer Ablehner des Liberalen und der Moderne und hat – statt sich um seine Gläubigen zu kümmern – 1870 lieber das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit erfunden und festgeklopft.

Hier wird auch die besondere Rolle Triers in der Geschichte der Armut thematisiert, denn einige relativ wichtige Protagonisten des Weltgeschehens entstammen dieser ältesten Stadt Deutschlands: Oswald von Nell-Breuning war katholischer Theologe, Jesuit, Nationalökonom und Sozialphilosoph und gilt als „Nestor der katholischen Soziallehre“. Caspar Olevian war ein bedeutender Vertreter der Reformation in Deutschland. Und Karl Marx wird dargestellt in Bild, Mobiliar und Skulptur. (Kaiser Konstantin ist bereits in der anderen Ausstellung thematisiert, denn er residierte in Trier und seine Mutter Helena brachte hierhin den „Heiligen Rock“, der auch 2012 ein gravierender Publikumsmagnet zu werden droht, denn da soll er mal wieder gezeigt werden.)

Seltsam stößt ein „Informationsfilm“ auf, der in eine Werbereportage über zwei aktuelle katholische Krankenhäuser Triers mündet (in Trier gibt es vier Krankenhäuser, drei davon katholisch, eines protestantisch; von den fast ausschließlich katholischen Kindergärten wollen wir hier nicht sprechen).

Nichtsdestotrotz sind die Ausstellungen erlebenswert. Zum Abschluss kann man auf einer Tafel lesen: „Die Soziale Frage provozierte friedliche und gewaltsame, reformerische und revolutionäre Antworten“. Dass die Kirchen ihre Nase immer mittenrein hielten, Armut facettenreich für sich zu nutzen wussten („Not lehrt beten“), muss man sich allerdings selbst ableiten. Das sagt einem in der Ausstellung keiner so direkt.

Fiona Lorenz

Ergänzendes

Aus der Pressemitteilung der Ausstellung

„Zu den herausragenden Exponaten der Hauptausstellung zählen Hans und Paul Vredeman de Vries‘ großformatiges Gemälde Iustitia et Iniustitia (Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, 1594/95), die Altartafel Mantelteilung und Traum des hl. Martin (1502[?]) eines Schwäbischen Meisters, Pieter Brueghels d.J. Die sieben Werke der Barmherzigkeit (zwischen 1616 und 1638), Max Liebermanns Hof des Waisenhauses in Amsterdam (1876), Karl Hofers Arbeitslose (1932) und Pablo Picassos Radierung Das karge Mahl (1904/13). Die Hauptausstellung (…) zeigt Werke von Armen bzw. aus der Sicht von Betroffenen sowie zahlreiche Positionen der Gegenwartskunst (Katharina Fritsch, Jonathan Meese, Karin Powser, Christoph Schlingensief, Albrecht Wild u.a.).”

Mehr Informationen auf der Website der Armutsausstellung

Empfehlenswert sind folgende Trierer Theaterstücke, die sich mit Armut und Ausgrenzung befassen:

Die Geschichte der Zukunft, die letzten beiden Aufführungen am 21. Mai und 05. Juni 2011 jeweils um 20 Uhr im Studio des Theaters Trier

Tufa-Tafeltheater”. Aufführungstermine: 12., 14., 20. und 21. Mai jeweils um 20 Uhr im Großen Saal der Tufa Trier. Zur Vorabkritik bei 16vor

 

Bildnachweise:

Titelbild: Pieter Brueghel d.J.: Die Sieben Werke der Barmherzigkeit, zwischen 1616 und 1638. Öl auf Holz. 43,3 x 57 cm. Museum der Brotkultur, Ulm

Bild 1: Kopf eines alten Fischers, Römische Kopie nach einem hellenistischen Vorbild aus dem 3. Jh. v. Chr. © Archäologisches Museum der Universität Münster, Foto: Robert Dylka

Bild 2: Bettler/ Afrikaner, Alexandria, 3./2. Jh. v. Chr. Heidelberg © Antikenmuseum der Universität Heidelberg

Bild 3: Ernst Barlach, Russische Bettlerin II, modelliert 1907, Guss zwischen 1932 und 1935, Hamburg, Ernst Barlach Haus - Stiftung Hermann F. Reemtsma © H.-P. Cordes, Hamburg

Bild 4: Rembrandt Harmensz van Rijn, Die wandernden Musikanten, um 1635, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Kupferstichkabinett

Bild 5: Albrecht Wild, Sitzender, 2008, Besitz des Künstlers © Albrecht Wild, Foto: Bernhard Matthias Lutz