Unfähigkeit oder Korruption?

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Collage: F. Lorenz

(hpd) Die Teilnehmer der Occupy-Bewegung schütteln die Hände in der Luft; das ist ihr Protestsymbol, das sie auch als Akklamation bei Abstimmungen verwenden. Genauso gut dürften sie den Kopf schütteln und die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, denn die Politiker legen schon die nächste Runde ihrer ruinösen Milliarden-Machenschaften vor. Das Schlimme ist, sie stümpern die ganze Zeit an Problemen herum, die sie selber geschaffen haben.

Es gelingt den Politikern weder, (1) die Banken ordentlich zur Kasse zu bitten, noch (2) Länder wie Italien zu disziplinieren oder (3) die Spekulanten zu zähmen. Das Versagen beim Letzteren ist die Folge der Deregulierung, die den Zockern bis heute Tür und Tor öffnet; und nicht einmal unter höchster Not werden die definitiv schädlichen Spielregeln geändert. Es wird bloß vom Regulieren geredet, aber es wird nicht ernsthaft etwas getan. Da geht es um Politikverweigerung - während das Scheitern bei den ersten beiden Punkten am Gegenteil liegt.

Da gibt es zu viel Politik, denn diese Probleme hat die Politik herausgefordert, indem sie der Ökonomie zu viel ins Getriebe gegriffen hat. Wäre sie dem Rat der Ökonomen und der Stimme der Vernunft gefolgt, dann hätten Banken- und Staatskonkurse für die nötige Disziplin bei der Restrukturierung gesorgt. Das wäre dann eine logische Folge gewesen, die weder begründbaren Widerstand noch gerechtfertigten Widerspruch herausgefordert hätte. Vielleicht hätte man es dann geschafft, die quasifeudalen Strukturen vor allem in Griechenland zu bereinigen und das Geld von den superreichen Familien zurück zu kanalisieren.

So aber gibt es keinen Neuanfang, und es wird nur so viel reformiert, wie die politische Lage gerade hergibt. Der Verzicht wird denen auferlegt, die am leichtesten greifbar sind - den Normalbürgern -, und mit deren Kaufkraftverlust wird auch noch die Konjunktur abgewürgt. In der Folge erhebt sich Protest gegen die politische Willkür. Der richtet sich auch gegen den ungebrochenen Nepotismus, und sogar gegen die Spender. Es ist ja auch schwer zu ertragen, wenn die einen Versager den anderen Versagern Versagen vorwerfen.

Die Unzufriedenheit ist verständlich, zumal sich die Finanzkonzerne immer noch als Herren der Welt gebärden können. Die Politiker betteln sie quasi um Almosen an, weil sie ihnen nun doch nicht alles schenken mögen, was sie an Schaden angerichtet haben. Diese verdrehte Welt ist eine Folge der Leichtgläubigkeit, mit der die Politik sich von der Finanzlobby bekehren ließ, und zwar zum Glauben ans unantastbare Systemrelevante.

Hehre Verblendung, dahinter Verblödung

Finanzblasen und Religionen funktionieren schließlich nach demselben Prinzip. Beide versuchen, einen möglichst großen Abstand zur Realität zu gewinnen, um ihre Dogmen unangreifbar zu machen. Was bei der Religion “heilig” ist, ist in der Finanzwelt “systemrelevant”. Was diesen Status erreicht hat, muss geschützt werden, egal was es kostet, und egal, wie dumm und schädlich es ist. Also nur hehre Verblendung und nichts dahinter als noch mehr Verblödung.

Im Endeffekt rauschen die Milliarden jetzt so schnell durch, dass es sich kaum noch lohnt, das Wort auszuschreiben. Für Griechenland wurde mit 109 angefangen, dann hieß es zusätzlich 252, aber vielleicht auch noch 444 obendrauf, oder gleich eine ganze Billion. Damit hat es wohl auch kein Bewenden, denn unsere Politiker lernen schwer, und jede Lerneinheit will mit Milliarden bezahlt werden.

Oder steckt noch etwas anderes dahinter als die naive Gläubigkeit? Der Papst hat uns im Bundestag klarmachen können, wes Geistes Kind die Parlamentarier sind - oder haben sie ihm etwa keine stehende Ovation dargebracht? Die meisten Abgeordneten haben nicht ausreichend kritische Vernunft, um die Gottesmär zu hinterfragen, und nicht genug Informationsbedürfnis, um zu recherchieren, was sich vor 2000 Jahren wirklich ereignete. Und wenn sie auf die Gottesmär reinfallen, dann kann man ihnen alles unterjubeln. Also müssen sie auf die Banken-Lobby reinfallen, wenn die ihnen die Hölle heißmacht, oder nicht?

Bisher durfte man das annehmen. Inzwischen muss man sich jedoch fragen, reicht ihre Unbedarftheit überhaupt noch aus, um die Ungeheuerlichkeiten zu erklären? Hat die Finanzlobby es mit ihren Milliarden womöglich geschafft, sich genug Abgeordnete “anzufüttern", damit die ihnen stets zu Willen sind? Sind unsere Abgeordneten so korrupt, dass der Staatsanwalt eingreifen muss? Der Monitor-Report vom 17.10.2011 zu den Steuermilliarden in Brüssel legt mehr als nur den Verdacht nahe. Er zeigt, wie die Bankenlobby sich bei der Gestaltung der Gesetze selbst bedient. Einigen EU-Abgeordneten wird glasklar nachgewiesen, dass sie Büttel der Banken sind - und was liegt noch im Verborgenen? Welche finstere Macht haben die Banker über die Regierung? Sind sie mehr als nur Souffleure? Hat der Skandal strafrechtliche Seiten? Das hätten wir gern schleunigst geklärt.

Horrorstory: die „Rettung“ Griechenlands

Der Handlungsbedarf ist da, wie die nicht gerade sozialistisch eingestellte Süddeutsche Zeitung am Wochenende schrieb: Krisengipfel von Brüssel – Europa blickt in den Abgrund: "Der Gipfel von Brüssel markiert nichts weniger als den Wendepunkt der seit zwei Jahren währenden Euro-Krise. Erst jetzt haben sich die Euro-Retter dazu durchgerungen, die stets ignorierte volle Wahrheit über Griechenland in ihrer gesamten Dramatik anzuerkennen. Nun helfen nur noch immense Milliardensummen, doch auch die erkaufen lediglich die Zeit für nachhaltige Rettungsmaßnahmen.“ Der Bericht der Inspektoren der Troika aus Internationalem Währungsfonds, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank lese sich wie eine Horrorstory. Er stelle alle bisherigen Rettungsversuche der Europäer in Frage. Hellas sei, so die Süddeutsche, der Pleite noch nie so nahe gewesen, und das trotz aller Hilfen. Schwarz auf weiß bescheinige die Troika den Staats- und Regierungschefs der Währungsgemeinschaft, dass ihre Kreditprogramme die Krise sogar weiter angeheizt haben.

Grundsätzlich erhebe sich die Frage, wer wem überhaupt noch helfen könne und wie. Rechnerisch gesehen müsse jeder einzelne Bürger aus den 16 anderen Euro-Ländern rund 1400 Euro nach Athen überweisen - wollte man auf diese Weise die unvorstellbar hohe "Rettungssumme" zusammenbekommen. „Hinzu kommt“, so die Süddeutsche weiter, „dass sich andere Länder schlicht nicht leisten können, noch mehr Schulden zu machen, um den Griechen zu helfen. Längst verletzen alle Euro-Länder die Stabilitätsregeln des Euro-Klubs. Mehr geht nicht. Schließlich sollen ja gerade Schulden abgebaut werden, um das Vertrauen der Bürger und der Finanzmanager zurückzugewinnen.“

In der Süddeutschen wird das Fazit gezogen, zur Wahrheit des Wochenendes gehöre auch, dass es für die EFSF (Europäische Finanz-Stabilisierungs-Fazilität) überlebenswichtig sei, ihre Mittel zu vermehren. Es sei keine Frage mehr, ob der Hebel, ein riskanter finanztechnischer Trick, überhaupt nötig sei. Angesichts der griechischen Schulden und der fragilen Lage in den südlichen Ländern Europas könne es nur noch darum gehen, wie der Fonds aufzustocken sei.

Schluss mit der Retterei!

So recht sie sonst auch haben mag, mit dem Letzteren liegt die Autorin Cerstin Gammelin falsch. Bitte keine Konkursverschleppung mehr, und keine windigen Aushebelaktionen an den Parlamentsbeschlüssen vorbei. Nun muss endlich Vernunft einkehren, und mit der Retterei muss es ein Ende haben. Es geht ja nicht darum, verlorene Seelen zu retten, sondern um Haushalte, die zu konsolidieren sind, um Spekulanten, die es zu disziplinieren gilt, und um Gelder, die zurück zu kanalisieren sind. Dafür gelten die Regeln der Ökonomie - und darüber hinaus gibt es auch so etwas wie Anstand und Gerechtigkeit. Gerade die deutschen Politiker sind doch Weltmarktführer in Sachen Wiedergutmachung. Warum wird das nicht mal in der anderen Richtung angewendet, statt immer nur zu Lasten der eigenen Bevölkerung? Wenn unsere Politiker sich vom Geruch des Geschmiertseins distanzieren wollen, dann müssen sie sich endlich von den Finanzkünstlern emanzipieren und ihnen die Rechnung präsentieren. Den vollen Betrag, mit Zins und Zinseszins.

Wilfried Müller