„Der kultivierte Affe“ als Person?

Der 1782 geborene und 1848 gestorbene Bonner Zoologieprofessor Georg August Goldfuß überrascht kurz vor Darwins Veröffentlichung mit Geistesblitzen, mit denen er seiner Zeit sehr weit voraus und dem heutigen Verständnis sehr nahe kam: „In gerader Linie gehen Eichhörnchen in die Affen über.“ Und: „Der Mensch ist das Gehirntier der Säugetiere...“ Der Gedanke der Evolution war allerdings nicht mehr einzigartig, nur hatte man keine Vorstellung davon, wodurch sie ausgelöst wurde und nach welchen Gesetzen sie funktionierte.

Ausgerechnet ein deutscher Idealist, Arthur Schopenhauer, erwies sich nun als besonders empfindsam für so manche Ähnlichkeit zwischen dem einen oder anderen Tier und dem von seinem Willen wie von einem Trieb geplagtem Menschen: „Nur den allerklügsten Tieren, wie den Hunden und Affen, macht sich schon das Bedürfnis der Beschäftigung, und somit der Langeweile fühlbar; daher sie gerne spielen, auch wohl mit Gaffen nach den Vorübergehenden unterhalten.“

Nach Darwin schlug die Humanisierung des Affen im 19. Jahrhundert, so Ingensiep, erst einmal um in eine Bestialisierung des Menschenaffen. Nun wurde der Gorilla zum Protagonisten, über den in der Blütezeit des Kolonialismus zahlreiche schauerliche Berichte nach Europa drangen. Erst die Verhaltensforschung Wolfgang Köhlers mit Schimpansen auf Teneriffa leitete Anfang des 20. Jahrhunderts eine Wende ein. Intelligenz, Kreativität, Kommunikation und Persönlichkeit rückten ins Blickfeld. Köhler kam zu dem Ergebnis, dass seine Probanden über eine Einsicht durch die Erfassung einer Situation verfügten, „Sinn für Gestalt“, wie man es damals nannte. Er beobachtete an ihnen die Gabe zu Erfindungen und einen starke Nachahmungstrieb bis hin zu Moden.

Darauf reagierten die Philosophen, am kundigsten vielleicht der Philosoph und Biologe Helmuth Plessner, ein Schüler des Phänomenologen Max Scheler, aber erst einmal kritisch. Tiere haben, so meint er, eine Außen- und eine Innenwelt - er nennt es „Positionalität“- sie haben einen gefühlten Leib, sind „Subjekt des Seins und Habens“. Doch „dem intelligentesten Lebewesen in der Tierreihe, dem menschenähnlichsten, fehlt der Sinn fürs Negative“, auch für den leeren Raum. Er habe kein Verständnis von der „Rückseite der Dinge“, bleibe sich daher auch als Subjekt verborgen, sei reines „Mich, nicht Ich“ und komme nicht zum „Bewusstsein des Sachverhalts“.  Deshalb, so Plessner, konnten Köhlers Schimpansen zwar Bambusstäbe ineinanderschieben, um an eine weit oben hängende Banane zu gelangen, wenn sie hintereinander angeordnet waren, nicht aber wenn die Stäbe nebeneinander lagen.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert wenden sich die theoretischen Überlegungen der Sprache zu. Inzwischen hatten die Schimpansin Washoe, die Gorilla-Dame Koko und ihre Artgenossen in den USA die Taubstummensprache erlernt, aber wieder sind die Philosophen skeptisch. Der Grand Seigneur der analytischen Sprachphilosophie, Donald Davidson, unbeeindruckt davon, dass Washoe an die hundert Symbole selbst erfunden hatte und zwei bis drei auch zur Bezeichnung von Situationen miteinander kombinieren konnte, wendet ein, er vermisse eine echte Grammatik und Semantik. Die Primatologen hoben darauf die Fähigkeit ihrer Schützlinge hervor, Hinweise auf abwesende Gegenstände zu geben, spontane Kommentare abzugeben, Handlungsabsichten anzukündigen, sich auch untereinander mit Symbolen zu verständigen, sich eigene zu erfinden und untereinander weiterzugeben.

Washoe und der malende Schimpanse Congo, dessen Prädisposition zum ästhetischen Ausdruck Desmond Morris in den Fünfzigern untersucht hatte, waren durch die Medien zu berühmten Tierpersönlichkeiten geworden. Waren sie damit Personen? Ingensiep weist darauf hin, inwieweit über die Jahrhunderte bei dem Versuch, den Affen zu verstehen, Antropomorphismen im Schwange waren - und es jetzt noch sind. Nur eben auf je andere Weise. Und er argumentiert, dass man über die Ähnlichkeit mit dem Menschen nicht diskutieren könne, wenn man sich nicht einen Begriff vom Menschen gemacht habe. So hängen Speziesismus und Speziesismuskritik zusammen und sind ohne einander noch immer nicht zu denken. Dass muss nicht schlimm sein, aber es ist sinnvoll, sich darüber im Klaren zu sein.

Simone Guski

Abbildung: Orang-Utan - von Tethart Philipp Christian Haag - 1776 -  (Hier greift ein Affe nach den Früchten vom Baum der Erkenntnis)

 

Hans Werner Ingensiep: „Der kutivierte Affe: Philosophie, Geschichte und Gegenwart“, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 2012, 317 Seiten, 24,90 Euro.