STUTTGART. (hpd) In einem Beitrag zur Laizismusdebatte bezeichnete Armin Pfahl-Traughber den Laizismus als Basis für eine allseitige und gleichrangige Religionsfreiheit und trug ein Plädoyer für eine konsequente Trennung von Kirche und Staat vor. Hpd dokumentiert seine Thesen.
Laizismus als Basis für eine allseitige und gleichrangige Religionsfreiheit
Plädoyer für eine konsequente Trennung von Kirche und Staat
Zwanzig Thesen anlässlich der Stuttgarter Gespräche zur historisch-politischen Kultur 2013: „Laizismus versus Religionsfreiheit? Historische und aktuelle Anmerkungen zu einer aktuellen Debatte“ in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Stuttgart am 13. April 2013.
1. Fragestellung: Wie sollte das Verhältnis von Staat und Religion(en) im Lichte der Gegebenheiten in einer multireligiösen Gesellschaft mit starken Säkularisierungstendenzen auf Basis einer allseitigen und gleichrangigen Religionsfreiheit ausgerichtet sein?
2. Grundlage: Die Frage ist für eine Gesellschaftsordnung zu erörtern, welche in Demokratie, Individualität, Menschenrechten und Pluralismus ihre Minimalbedingungen sieht und durch den Bedeutungsverlust von Glaubenselementen und Zugehörigkeiten geprägt ist.
3. Die folgende Erörterung und Positionierung ist demnach nicht von einer negativen oder positiven Einstellung gegenüber allgemein allen Religionen oder einer besonderen Religion, sondern von einer demokratietheoretisch begründeten Grundeinstellung geprägt.
4. Religionsfreiheit gehört als einer ihrer herausragenden Bestandteile zu den Menschenrechten, kann aber keine absolute Geltung beanspruchen, da sie ihre Grenzen in der möglichen Benachteiligung oder Verletzung anderer Rechte von Individuen findet.
5. Da konstitutive und zentrale Annahmen von Religionen wie etwa die Gottesexistenz weder empirisch noch rational beweisbar sind, weisen Deutungen im Sinne des Glaubens meist konkurrierende und widersprüchliche Prägungen auf.
6. Religionen haben durch die ihnen inhaltlich und strukturell eigenen Absolutheitsansprüche auf den einzig richtigen Weg zum Heil ein „Doppelgesicht“ (Hans Maier), das historisch wie aktuell deren politisches Konfliktpotenzial bis hin zur Gewaltdimension erklärt.
7. Somit besteht einerseits bezüglich des Anspruchs auf unwiderlegbare Glaubensgewissheit und andererseits hinsichtlich der Offenheit gesellschaftlicher Kontroversen als jeweilige Grundlage des Selbstverständnisses ein objektives Spannungsverhältnis.
8. Die erwähnten Absolutheitsansprüche können in einer pluralistischen Demokratie und offenen Gesellschaft nur für die Ebene des individuellen und kollektiven Glaubens, nicht für die Ebene verbindlicher Normen in Recht und Staat soziale Akzeptanz beanspruchen.
9. Eine religiöse Begründung von Politik beruft sich außerdem auf eine Legitimationsquelle, die mit seinen Inhalten nicht einer kritischen Prüfung unterzogen werden kann und in einem objektiven Spannungsverhältnis zum Volkssouveränitätsprinzip steht.
10. Grundlegende Normen der Gesellschaftsordnung wie Demokratie und Menschenrechte finden keine Basis in den Religionen, sie sind vielmehr gegen deren Institutionen „aus der Anstrengung der Vernunft und der Erfahrung“ (Helmut Schmidt) erstritten worden.
11. „Die wechselseitige Unabhängigkeit von Staat und Kirche ist eine Errungenschaft“ (Wolfgang Huber), da sie erst die Bedingungen für eine allseitige und gleichrangige Religionsausübung der Anhänger unterschiedlicher Religionen ermöglichte.
12. Die Frage nach der Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Religion(en) bedarf einer Klärung für eine multireligiöse Gesellschaft, die neben religiösen Minderheiten wie den Muslimen aus jeweils einem Drittel Konfessionslosen, Katholiken und Protestanten besteht.
13. Die lediglich „hinkende Trennung von Staat und Religion“ führt angesichts der einseitig auf die christlichen Kirchen ausgerichteten finanziellen und ideellen Unterstützung objektiv zu einer Benachteiligung der nicht-kirchlich organisierten Bürger.
14. Die mangelnde Trennung artikuliert sich u. a. in der Erhebung der Kirchensteuer durch die Finanzämter (Dienstleistung für nicht-staatliche Organisation) und die Existenz theologischer Fakultäten an den Universitäten (mit Konsequenzen für die Freiheit der Wissenschaft).
15. Die hohen finanziellen Zuwendungen des Staates an die Kirchen (2010: 460 Millionen Euro) entsprechen zwar geltendem Recht, gehen aber auf heute nur noch schwerlich legitimierbare Regelungen aus dem 19. Jahrhundert zurück.
16. Die einseitige Bevorzugung der christlichen Kirchen durch den Staat geht zwar aktuell mit einer allseitigen Religionsfreiheit, nicht aber mit einer gleichrangigen Religionsfreiheit einher, welche nur im Rahmen einer konsequenten Trennung von Staat und Religion möglich ist.
17. Der Staat dürfte sich erstens mit keiner Religion identifizieren, müsste zweitens deren Entfaltung durch die Gewährleistung von Freiheitsrechten Raum geben, aber auch drittens keine religiöse Institution einseitig administrativ oder finanziell fördern.
18. Die konsequente Umsetzung des Trennungsgebotes würde weder zu einer Abschaffung oder Benachteilung der Religionen noch zu einer Verdrängung ihrer Inhalte und Praktiken in den eingeschränkt privaten und nicht-öffentlichen Raum führen.
19. Dies bedeutet nur eine Gleichstellung der Kirchen und Religionsgruppen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen wie Parteien und Verbände, können sie so doch ähnlich wie diese in einer pluralistischen Gesellschaft für ihre Interessen und Wertvorstellungen werben.
20. Die Forderung einer konsequenten Trennung von Kirche und Staat im Sinne eines Laizismus steht demnach nicht für eine Einschränkung der allseitigen und gleichrangigen Religionsfreiheit, sondern nur für eine Negierung nicht mehr legitimierbarer Privilegien.
Zur Person:
Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber, Jg. 1963, ist Politikwissenschaftler und Soziologe, hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl und Herausgeber des „Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung“