Kaum war er tot, wurde der argentinische Papst von Staatsführern weltweit als "Anwalt der Menschlichkeit" gepriesen. Der Vorsitzende der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, wirft einen anderen Blick auf das Pontifikat des Mannes, der am 17. Dezember 1936 als Jorge Mario Bergoglio in Buenos Aires geboren wurde und am gestrigen Ostermontag als Papst Franziskus in der Vatikanstadt starb.
hpd: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bezeichnete Franziskus als ein "leuchtendes Zeichen der Hoffnung" und einen "glaubwürdigen Anwalt der Menschlichkeit". Für die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni war er "ein großer Hirte" und Freund. Selbst Linken-Politiker Jan van Aken lobte Franziskus dafür, dass er den "menschenverachtenden Charakter einer Gesellschaftsordnung" kritisiert habe, "die nicht an den Bedürfnissen der Menschen, sondern an der Maximierung des Profits ausgerichtet ist". Wie sehen Sie den verstorbenen Papst und sein Vermächtnis?
Michael Schmidt-Salomon: Jorge Mario Bergoglio hatte sicherlich menschlich angenehme Züge, die in der Chefetage des Vatikans eher selten sind. So trat er nicht nur äußerst bescheiden auf, sondern hatte zudem einen für Kirchenführer recht ungewöhnlichen Sinn für Humor. Aufgrund seiner Erfahrungen in argentinischen Armutsvierteln hatte er wohl echtes Mitgefühl für die Ausgestoßenen der Gesellschaft. Aber dies machte ihn keineswegs zu einem "Linken" oder gar einem Verteidiger der Menschenrechte! Denn Franziskus wollte nicht Reichtum, sondern Armut für alle. Seine Utopie war nicht das "Reich der Freiheit", in der jeder Mensch die Möglichkeit hat, sein Leben nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Er war vielmehr darauf aus, das Rad der Geschichte so weit zurückzudrehen, dass die Religion wieder an die erste Stelle tritt. Man könnte sein Pontifikat unter das Motto "Make Christianity great again" stellen – wohlwissend darum, dass die Religion besonders in solchen Regionen boomt, in denen der Wohlstand und das Bildungsniveau besonders gering sind. Aus der Sicht eines Gläubigen, dem das irdische Leben als bloße Durchgangsstation zum Jenseits erscheint, mag dies verständlich sein, doch alle anderen sollten einen weiten Bogen um eine derart rückwärtsgewandte Kapitalismuskritik machen.
Sie haben im Februar 2013, kurz nach dem Rücktritt von Benedikt XVI., in einem hpd-Gespräch prognostiziert, dass möglicherweise "ein Nichteuropäer zum Papst gewählt wird", um die "massenhafte Abwanderung von Katholiken ins evangelikale Lager" zu stoppen. Hat Franziskus diese Mission erfüllt?
Ja, man hätte dafür kaum einen besseren Kandidaten finden können! Seine "Streetworker-Mentalität", die sich unter anderem darin ausdrückte, dass Franziskus sich eben nicht als absoluter Herrscher, als "Pontifex maximus" präsentierte, sondern als "Gleicher unter Gleichen", der sich bei der Essensausgabe hinten anstellte, wurde in den europäischen Medien so interpretiert, dass dieser Papst außergewöhnlich progressiv und liberal sei. Tatsächlich jedoch war er ungewöhnlich reaktionär und evangelikal. Franziskus punktete im evangelikalen Lager nicht nur dadurch, dass er auf den traditionellen katholischen Prunk (etwa auf die roten Samtschuhe) verzichtete, sondern indem er die politische Agenda der Evangelikalen umsetzte. Kaum ein anderer Papst hat die weltweiten Kampagnen gegen den Schwangerschaftsabbruch so massiv unterstützt wie er, kaum einer so wenig gegen die massiven Angriffe auf Schwule, Lesben, Transpersonen aus den eigenen Reihen unternommen. Als etwa die nigerianische Bischofskonferenz noch härtere Strafen für Homosexuelle forderte, war dazu aus Rom keine substanzielle Kritik zu hören. Alles in allem war Franziskus eben kein "Anwalt der Menschlichkeit", sondern vielmehr ein sympathisches, lächelndes Gesicht, das eine zutiefst menschenverachtende Ideologie kaschierte. Er war ein Wolf im Schafspelz.
Das zeigte sich auch 2015, als Franziskus den islamistischen Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo kommentierte…
In der Tat! Nur wenige Tage nach dem Attentat in Paris, das die Welt erschütterte, sagte Franziskus gegenüber Journalisten: "Wenn ein lieber Freund schlecht von meiner Mutter spricht, erwartet ihn ein Faustschlag, und das ist normal. […] Man darf den Glauben der anderen nicht provozieren." Eine solche Relativierung des religiösen Terrors hätte eigentlich einen Riss in der katholischen Gemeinde erzeugen müssen. Dass diese verheerenden Sätze in kaum einem der ehrwürdigen Nachrufe erwähnt wurden, ist, wie ich finde, eine schwerwiegende journalistische Fehlleistung…
"Alles in allem war Franziskus eben kein 'Anwalt der Menschlichkeit', sondern vielmehr ein sympathisches, lächelndes Gesicht, das eine zutiefst menschenverachtende Ideologie kaschierte."
Michael Schmidt-Salomon
Dennoch hat die Bewegung "Kirche von unten" gehofft, dass Franziskus die Rolle der Frau in der Kirche aufwerten und sich für die Gleichberechtigung homosexueller Menschen aussprechen würde. Waren diese Hoffnungen von vornherein auf Sand gebaut?
Ja. Ich habe schon 2013, vor dem Amtsantritt von Franziskus, gesagt, dass solche Hoffnungen ähnlich unbegründet sind wie der schiitische Glaube, dass der "verborgene 12. Imam" in Bälde aus einem vertrockneten Brunnen klettern und die Weltherrschaft übernehmen wird. Zwar war die katholische Kirche niemals eine Agentur zur Verbreitung liberaler, aufklärerischer Werte, aber unter dem Pontifikat des argentinischen Papstes hat sie sich noch sehr viel weiter vom europäischen Wertekanon entfernt. Man kann dies sehr gut an den USA beobachten. Traditionell standen dort Katholiken unter dem Verdacht, besonders "liberal" oder gar "sozialistisch" zu sein. Spätestens als sich US-Außenminister Marco Rubio mit einem großen katholischen Aschenkreuz vor der Weltöffentlichkeit präsentierte, war klar, dass diese Zeiten vorbei sind. Die Trump-Administration stützt sich heute nicht zuletzt auf das politisch-religiöse Bündnis, das zwischen Evangelikalen und rechten Katholiken in den letzten Jahren geschlossen wurde. Insofern war es durchaus symptomatisch für das Pontifikat von Franziskus, dass er am Ostersonntag, wenige Stunden vor seinem Tod, den 2019 zum Katholizismus konvertierten US-Vizepräsidenten J.D. Vance als einen seiner letzten Gäste im Vatikan empfangen hat.
Wie wird es nun weitergehen? Wer wird Nachfolger von Franziskus auf dem Papstthron?
Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. 2013, nach dem Rücktritt Ratzingers, war ich ziemlich sicher, dass ein Vertreter aus Lateinamerika auf den Papstthron kommt, um den dortigen Siegeszug der Evangelikalen zu stoppen. Nun aber stehen den Kardinälen verschiedene Optionen offen: Sie könnten einen Vertreter aus den Regionen wählen, in denen der Katholizismus besonders stark wächst, also aus Asien und vor allem Afrika, wo in den letzten Jahrzehnten nicht nur Homosexuelle, sondern auch vermeintliche "Hexen" verfolgt wurden. Sie könnten aber auch einen Kandidaten aus den USA zum Papst küren, um Trumps Kampf gegen "antichristliche Voreingenommenheit" zu unterstützen. Nicht auszuschließen ist, dass sie sich nach Franziskus doch noch einmal für einen europäischen Kardinal entscheiden, um dem Niedergang der hier einst so mächtigen katholischen Kirche entgegenzuwirken. Doch selbst, wenn dies geschehen sollte, wird es an dem langfristigen Trend nichts ändern. Denn die Zukunft des Christentums liegt eindeutig außerhalb Europas. Wir müssen daher damit rechnen, dass wir von dort aus in den kommenden Jahren zunehmend mit konservativen bis erzreaktionären Haltungen konfrontiert werden, die in unseren Breitengraden längst als überwunden galten. Und wir können nur hoffen, dass das säkulare Europa diesem zusätzlichen Druck wird standhalten können.

18 Kommentare
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Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Die katholische Kirche hat sich immer nur so weit an westliche Werte angenähert, wie es notwendig war, um ihre Macht zu erhalten. Mehr ist auch in Zukunft nicht von ihr zu erwarten.
SAmuel Schirmbeck am Permanenter Link
Grossartige Analyse! Vielen Dank. Hatte immer entsprechende Gedanken diesem Mann gegen über. Aber Sie bringen es auf den Begriff! Einleuchtend!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Michael Schmidt-Salomon sagt genau das was ich seit langem befürchte, sollte dies eintreten, so sehe ich schwarz für ein säkulares Europa, geschweige alle anderen Kontinente.
Wolfgang Kloste... am Permanenter Link
Ich habe hier Belege dafür zusammengestellt, dass sich Herr Bergoglio sowohl als Kardinal in Argentinien als auch als Papst an der Vertuschung sexueller Übergriffe beteiligt hat:
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich sehe das auch so, lieber Michael.
Wir erleben eine Zeit der Spaltung auf allen denkbaren Ebenen. Als Optimist sage ich, dass dies die verzweifelten, letzten (?) Zuckung vorgestrigen Denkens sind.
Der Realist in mir sagt jedoch, dass die rechten und religiösen Weltbilder einen entscheidenden Vorteil bieten: Sie sind einfach und vermeintlich wahr, ja, unumstößlich wahr. Absolute Wahrheiten, die den vermeintlich instabilen, wissenschaftlichen Weltbildern überlegen seien.
Veränderung ist schmerzhaft, Neues lernen, Altes - oft Liebgewonnenes - aufgeben ist schmerzhaft. Manchen erscheint es als Verrat an den Eltern, an der eigenen Herkunft.
Gerade EVOLUTIONÄRE Humanisten verlangen Mitdenken und Mitwachsen, Umdenken und Neudenken. Demokratie ist anstrengender als Absolutismus, als Autokratie, die in wohligen Regeln das Zusammenleben Gleichgesinnter festschreiben.
In einer Zeit, in der es bereits junge Menschen gibt, die nicht einmal mehr wissen, was die TAGESSCHAU ist, die nur noch in ihrem heiligen TikTok-Buch leben, wird es fast anmaßend, politische Bildung zu verlangen, um bei Wahlen zu weltdienlichen Wahlentscheidungen zu gelangen.
Ich fürchte, dass der Realist Recht behält und hoffe trotzdem auf die Weltsicht des Optimisten. Ein neuer Papst wird dabei so wenig helfen, wie alle anderen davor...
Joseph Zimmermann am Permanenter Link
Kein einziges Wort zur "Wendemarke in der Kirchengeschichte", der päpstlichen Enzyklika "Laudato si’, wikipedia:
"Laudato si’ (volgare umbro [„umbrisches Altitaloromanisch“] für „Gelobt seist du“)[1] ist die zweite Enzyklika von Papst Franziskus. Die auf den 24. Mai 2015 datierte und am 18. Juni 2015 in acht Sprachen veröffentlichte Verlautbarung Über die 'Sorge für das gemeinsame Haus’ befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Themenbereich Umwelt- und Klimaschutz[2] und setzt zudem Zeichen im Hinblick auf bestehende soziale Ungerechtigkeiten und auf die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. In den internationalen Medien wurde die Enzyklika vielfach als Aufruf zu einem weltweiten Umdenken und als Wendemarke in der Kirchengeschichte bezeichnet."
Aber Michael Schmidt-Salomon hat ja zum Klimawandel seine ganz eigenen Theorien, siehe beispielsweise den Artikel des hpd: "Warum wir nicht "klimaneutral" sein sollten", https://hpd.de/artikel/warum-wir-nicht-klimaneutral-sein-sollten-17462
Stefan Dewald am Permanenter Link
Im Wesentlichen ist das Papier ein Plädoyer für real-existierenden Sozialismus: Alle haben nichts außer der katholischen Kirche und beten sich glücklich. Tja.
Henning Reinhardt am Permanenter Link
"Zwar war die katholische Kirche niemals eine Agentur zur Verbreitung liberaler, aufklärerischer Werte, aber unter dem Pontifikat des argentinischen Papstes hat sie sich noch sehr viel weiter vom europäischen Wer
Edith Krause-Hi... am Permanenter Link
Sehr gute Zusammenfassung der Aktionen des Verstorbenen. Am Ende geht es in allen Religionen immer nur um Machterhalt. Leider erkennen das immer noch nicht genügend Menschen.
Andreas Dietrich am Permanenter Link
Das ist so nicht ganz richtig.
Martin Kitzinger am Permanenter Link
Sehr schön auf den Punkt gebracht! Messerscharf analysiert, ohne Polemik und symphatisch erörtert. Kann man kaum treffender schreiben.
Ralf Feldmann am Permanenter Link
Dem "glaubwürdigen Anwalt der Menschlichkeit" wird keine Päpstin folgen.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Nicht zu vergessen die klar erkennbare Wahlempfehlung für Trump an die Katholiken der USA.
Was den Überfall Russlands auf die Ukraine angeht, sollte nicht vergessen werden, dass er mit völkischer Rhetorik zwar vom „edlen Volk“ der Ukrainer sprach, aber das „große Volk“ der Russen für seine Herrscher lobte, die wie Putin Eorberungskriege geführt haben.
Seine Gesellschaftkritik war so pauschal und unspezifisch wie man sie aus Kreisen der Kirchenfürsten gewohnt ist. Immer mit dem Aspekt, dass DEM Menschen eine Kollektivschuld angelastet wird. Beispielhaft dafür ist, dass er in der hochgelobten Enzyklika Laudato Si die Erklärung Ratzingers für alle Übel in der (Um-) Welt übernimmt: „das von der Sünde verwundete menschliche Herz“ sei an allem schuld. Esoterischer geht’s wohl kaum.
Was sein Verhältnis zu Demokratie und Säkularität angeht sei an einen Artikel von Mag. Balázs Bárány ·erinnert. Kernzitat Papst Franziskus:
»“...totalitarianism and secularism. They are degenerations of democracy.” (!!!)
Was immer der Papst damit meint – (Säkularismus) ist also eine Degeneration von Demokratie. Das hat er so gesagt.«
Nachwievor der Gipfel der Unverschämtheiten dieses Papstes sind aber für mich die bereits erwähnten Äußerungen zur Abtreibung auf seinen Rückflügen von diversen Reisen. Er veruteilt damit Ärzte und Ärztinnen als Auftragsmörder und „Killer“ ! Genaugenommen ist daseine strafrechtlich relevante Beleidigung !
*) Die Meldung hierzu auf vaticannews.de:
» Franziskus äußerte dazu:
„Beide sind gegen das Leben – wer Migranten an den Rand drängt und auch wer Kinder tötet… Ich bin nicht aus den USA, ich werde dort nicht wählen. Aber seien wir uns im Klaren darüber, dass es eine schwere Sünde ist, Migranten nicht willkommen zu heißen." Ein Schwangerschaftsabbruch hingegen bedeute, „ein menschliches Wesen zu töten. Man mag das Wort mögen oder nicht, aber es ist Tötung.“ Auf ein Nachhaken der Reporterin hin rief der Papst die Katholiken
Roland Kiefer am Permanenter Link
Ihre Analyse wird dem Papst nicht gerecht.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"aus der Menschenfreundlichkeit des Evangeliums". Haben Sie das schon mal gelesen - und verstanden?
awmrkl am Permanenter Link
"aus der Menschenfreundlichkeit des Evangeliums heraus"
Welche Bibel, welches Evangelium haben denn sie zu lesen?
Menschenfreundlichkeit hab ich weder im Evangelium noch in der gesamten Bibel entdeckt. Dafür ein Menschenbild, das praktisch pur aus "schwarzer Pädagogik" und Verbreitung von Angst und Schrecken und aus mafiöser Erpressung besteht:
Wenn Du/Ihr nicht macht, was ich (angeblich)! will, mach ich euch kaputt.
In beiden Teilen der Bibel, AT und NT.
Roland Kiefer am Permanenter Link
Wenn Sie das älteste der drei synoptischen Evangelien aufschlagen und die ersten drei Kapitel gelesen haben, müsste Ihnen aufgegangen sein, dass Jesus von Nazareth
"In der ganzen Psychologie des > Evangeliums< fehlt der Begriff Schuld und Strafe; insgleichen der Begriff Lohn. Die >Sünde<, jedwedes Distanz-Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist abgeschafft[....]
Die Seligkeit[...]ist die e i n z i g e Realität - der Rest ist Zeichen, von ihr zu reden"
Christian am Permanenter Link
Ich stimme hier teilweise zu.
Meine Befürchtung ist, dass der nächste Papst ziemlich reaktionär sein wird.
Besser als jetzt wird es nicht mehr.