Eröffnungsrede von Michael Schmidt-Salomon zum Deschner-Preis 2016

Der Mut zum aufrechten Gang

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Michael Schmidt-Salomon bei der Preisbegründung
Michael Schmidt-Salomon

BERLIN. (hpd) Der diesjährige Deschner-Preis wurde an Raif Badawi und Ensaf Haidar vergeben. In seiner Eröffnungsrede begründet der Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung (GBS), Michael Schmidt-Salomon, diese Entscheidung. Der hpd dokumentiert die heute veröffentlichte Rede.

Meine sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir eine große Ehre und Freude, Sie zu diesem Festakt anlässlich der Verleihung des Deschner-Preises der Giordano-Bruno-Stiftung an Raif Badawi und Ensaf Haidar begrüßen zu dürfen. Wie Sie sicherlich schon beim Einlass bemerkt haben, mussten wir für diese Veranstaltung besondere Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Und vielleicht sind einige von ihnen auch mit einem leicht mulmigen Gefühl nach Frankfurt angereist.

Ich denke, jeder, der sich auf dem Gebiet der Religionskritik, insbesondere der Islamkritik, betätigt, kennt dieses Gefühl. Ich persönlich habe es vor 9 Jahren besonders stark empfunden, als wir den Zentralrat der Ex-Muslime mit seiner Kampagne "Wir haben abgeschworen!" im Haus der Bundespressekonferenz präsentierten. Es war das erste Mal, dass sich ehemalige Muslime so offensiv zur Apostasie, zum Abfall vom Glauben, bekannten – wie Sie wissen: ein todeswürdiges Vergehen aus radikal-islamischer Sicht.

Entsprechend scharf waren die Sicherheitsvorkehrungen bei dieser Pressekonferenz. Und ich erinnere mich noch immer mit einem leichten Schaudern an die angespannte Atmosphäre, die im Saal herrschte, als ich die beiden damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Ex-Muslime vorstellte, zwei sehr mutige Frauen, Mina Ahadi und Arzu Toker, die, was uns besonders freut, heute auch unter unseren Gästen sind.

Ich bin mir sicher: Hätte es bei dieser Pressekonferenz am 28. Februar 2007 draußen gewittert, hätten sich viele der Anwesenden aus Angst vor einem Terrorakt beim ersten Donnerschlag auf den Boden geworfen. Selten zuvor und selten danach wurde mir derart bewusst, wie zerbrechlich dieses zarte Pflänzchen "Freiheit" ist, das wir gewöhnlich als Selbstverständlichkeit erachten.

Wenn die Einschüchterungsversuche militanter Islamisten selbst hier, in einem so säkularen Land wie Deutschland, derartige Wirkungen hervorrufen, wie viel bedrückender, wie viel dramatischer muss die Lage erst für freiheitsliebende Menschen sein, die in den Zentren dieses Terrors leben? Wie viel Selbstüberwindung muss es kosten, dort Widerstand zu leisten? Wie viel Mut muss man aufbringen, um die Beachtung der Menschenrechte in einem Land einzufordern, in dem die Missachtung der Menschenrechte zum Dogma erhoben wurde?

Raif Badawi hat diesen Mut aufgebracht – und er hat teuer dafür bezahlen müssen. Seine Forderung nach Gleichbehandlung aller Menschen, unabhängig von Religion und Weltanschauung, Herkunft und Geschlecht, wurde bekanntlich als "Beleidigung des Islam" eingestuft und mit 10 Jahren Haft sowie 1000 Stockhieben bestraft. Dieser Festakt ist in erster Linie eineProtestveranstaltung gegen das barbarische Unrecht, das in diesem Urteil zum Ausdruck kommt, aber er ist durchaus mehr als das. Wir verstehen diesen Festakt auch als eine Feier des freien Geistes, der sich selbst unter grausamsten, diktatorischsten Verhältnissen nicht gänzlich unterdrücken lässt.

Eben dies haben Raif Badawi und Ensaf Haidar gezeigt. Mit diesem Festakt wollen wir sie dafür feiern, dass sie die Fähigkeit zum aufrechten Gang so eindrucksvoll beweisen haben – und deshalb fühlen wir uns sehr geehrt, dass Ensaf den Weg aus Kanada auf sich genommen hat, um den Deschner-Preis heute Abend in der Deutschen Nationalbibliothek entgegenzunehmen. Herzlich willkommen, Ensaf Haidar!

Die Giordano-Bruno-Stiftung verleiht den mit 10.000 Euro dotieren Deschner-Preis für Religions- und Ideologiekritik an Raif Badawi und Ensaf Haidar für ihren gemeinsamen, mutigen und aufopferungsvollen Einsatz für Säkularismus, Liberalismus und Menschenrechte, der weit über Saudi-Arabien hinaus Bedeutung hat. Raif und Ensaf sind zu Vorbildern geworden für Männer und Frauen weltweit, die sich mit totalitärer Politik, religiöser Bevormundung und patriarchalen Rollenmodellen nicht länger abfinden wollen. Dadurch haben sie nicht nur in die muslimische Welt hineingewirkt, sondern auch die Wahnideen westlicher Rechtspopulisten ad absurdum geführt, die in "den" Muslimen, "den" Flüchtlingen, nur Anhänger des Dschihad erkennen können.

Als die Bilder von Raifs öffentlicher Auspeitschung im Internet auftauchten, ging ein Aufschrei der Empörung durch die Welt. Die massive Reaktion der globalen Zivilgesellschaft setzte Saudi-Arabien so sehr unter Druck, dass die Prügelstrafe ausgesetzt wurde. Auf dem Höhepunkt der Proteste, Ende Januar 2015, war der Druck sogar so stark, dass sich der saudische Botschafter in Berlin genötigt sah, eine frühzeitige Freilassung Badawis in Aussicht zu stellen.