LOCCUM. (hpd) Der Umgang mit der Geschichte ist auch immer eine Frage der heutigen Positionierung. Was hat die evangelische Kirche also mit den Hexenprozessen zu tun? Sehr viel mehr als allgemein bekannt ist und ein evangelischer Pastor fordert vehement die Rehabilitierung der Unschuldigen – zumeist Frauen – im Jahr der „Toleranz“ der Lutherdekade.
In einem Offenen Brief an den Landesbischof, die Kirchenleitung, die Synodalen, die Kloster- und die Loccumer Akademieleitung kritisiert der evangelische Pastor Hartmut Hegeler die Umgehensweise des Klosters und der Akademie Loccum mit den so genannten Hexenprozessen und ihrer unschuldigen Opfer. Die Akademie Loccum gilt als das „geistige Zentrum“ der Landeskirche.
Mangelhafte Tagungsplanung
Die Tagungsplanung zeigt gravierende Mängel in Bezug auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen der Loccumer Hexenverfolgung und offenbart die rein apologetische Intention der Veranstaltung.
Nach Jahrhunderten des Verdrängens haben sich das evangelische Kloster Loccum und die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers aus Anlass des 850-jährigen Klosterjubiläums durchgerungen, endlich das dunkelste Kapitel ihrer Geschichte zu thematisieren. Das ist richtig und wichtig, damit einer der größten Massenmorde wieder ans Tageslicht gebracht wird – von Christen an Christen begangen.
Wie allerdings Tagungsprogramm und Veranstaltungsprospekt zeigen, hinterließen die Jahrzehnte des Verdrängens ihre Spuren.
„Hexen“
Da wird von Hexen gesprochen und nicht von unschuldigen Opfern der Hexenprozesse. Diese unreflektierte Wortwahl legt nahe, es habe wirklich eine gefährliche Hexensekte gegeben, gegen die die Verantwortlichen des Loccumer Stiftsgerichts, der klösterlichen Gerichtsbarkeit, vorgehen mussten.
"Wichtigster Wortführer gegen die Hexen in der Region war der Wiedensahler Pastor Heinrich Rimphoff". Er wetterte gegen die, "die mit der Verbrennung der Hexen nicht einverstanden waren."
Natürlich war für die damaligen Zeitgenossen Hexerei ein real existierendes Verbrechen, das bestraft werden musste. Aber aus heutiger Sicht ist jedem einsichtig, dass es "Hexen" im Sinne der Anklage in den Hexenprozessen nicht gab: ein Mensch kann nicht auf einem Besenstiel zum Hexensabbat fliegen oder mit Zauberei Wetterkatastrophen oder Krankheiten bewirken.
Das muss auch sprachlich in einem Veranstaltungsprogramm einer Evangelischen Akademie zum Thema seinen Niederschlag finden.
Wo wird das Leid der Opfer erwähnt?
Besonders hebt das Veranstaltungsprogramm Dokumente aus dem Klosterarchiv hervor: Geständnisse, Urteilsvorschläge, Begnadigungsschreiben, Kostenabrechnungen.
Die Wortwahl erweckt den Eindruck, die Angeklagten hätten Geständnisse abgelegt und deshalb wären Begnadigungsschreiben besonders erwähnenswert - aber warum ist nicht die Rede von den Folterprotokollen? Wo wird das Leid der Opfer erwähnt und das Schicksal ihrer Familien? Dieser Eindruck wird verstärkt durch den Abdruck des Geständnisses des Teufelspaktes durch einen Angeklagten. Der Veranstaltungsprospekt enthält Ausschnitte aus der Akte des Hexenprozesses, den das Kloster gegen Dietrich Wilhelm durchführen ließ (9.6.1634).
Unkommentiert bringt dieser Akten-Ausschnitt das "Geständnis" des Angeklagten: Wahr sei, dass er das schändliche Laster der Zauberei gelehrt und von Gott sich gewendet. Und er Gott verleugnen müssen. Hätte am Hexensabbat mit Satan teilgenommen und dort Bier getrunken. Hätte mit seiner teuflischen Buhlin geschlafen.
Warum erzählt der Veranstaltungsprospekt das Schicksal eines Mannes, - obwohl fast alle Hingerichteten Frauen waren? Warum enthält der Veranstaltungsprospekt sein unkommentiertes Geständnis der Gottesverleugnung - und kein Wort über die Folter, mit dem diese Geständnisse erfoltert wurden? Als hätten die Angeklagten das freiwillig bekannt!
Auflösung des Rätsels: Bei den Prozessen gab es nur eine einmalige Begnadigung: die des Dietrich Wilhelm. Vielleicht soll dieser Gnadenakt in der Veranstaltung positiv herausgestellt werden, um die Mönche des Klosters in einem guten Licht erscheinen zu lassen. Die nicht begnadigten Frauen werden nicht erwähnt.
Experten für magische und esoterische Subkulturen
Dieser apologetischen Tendenz entspricht, dass die historischen Hexenprozesse nachfolgend in Bezug gesetzt werden zur heutigen Esoterikszene und der Wiccabewegung, welche die Verkündigung der christlichen Kirchen bekämpfen.
Einer der Hauptredner des Tages ist Prof. Dr. Marco Frenschkowski. Er gilt als Experte für magische und esoterische Subkulturen und für phantastische und unheimliche Literatur. Dazu hat er zahlreiche Studien publiziert (zur Geschichte der Alchemie, des europäischen Okkultismus und der Renaissancemagie), u. a. mit der Fragestellung: "Wie wurde aus der "bösen Hexe" der europäischen Tradition die "gute Hexe" der ökofeministischen Esoterikszene und der Wiccabewegung?"
Hier wird die Hinrichtung unschuldiger Frauen durch die Hexenjustiz in Zusammenhang gebracht mit dem Wirken esoterischer Sekten von heute – eine intendierte Begriffsverwirrung. Soll hier nahegelegt werden, dass die Verurteilten doch Hexen waren?
So sieht nicht eine ernsthafte Gedenkkultur für die Opfer der Hexenprozesse aus.
Ob eine ehemalige Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen eine sinnvolle Bereicherung für die abschließende Gesprächsrunde "Muss die Kirche die Hexen rehabilitieren" sein kann?
Starker Zweifel ist angebracht, ob in dieser Besetzung ein ernsthaftes Gespräch über Gedenkkultur für die Opfer der Hexenprozesse intendiert ist.
Im Programm folgt nun die Hora – Stundengebet in der Tradition der Mönche, statt eines Gedenkgottesdienstes für die Opfer der Hexenprozesse mit einer Verlesung der Namen aller Hingerichteten.
Amos 5, 23-24: Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Auch die Ankündigung des anschließenden literarisch-musikalischen Abends – für die 11 Euro zu zahlen sind – klingt nicht nach einer theologischen Aufarbeitung der Verantwortung des Klosters für die Durchführung der Hexenprozesse.
Hier werden hochdotierte Menschen aus der Theaterszene von auswärts herangefahren, die dafür bezahlt werden, Texte zu deklamieren – musikalisch untermalt.
So nicht, Herr Dr. Goldenstein! Was haben Sie sich denn hierbei gedacht?
Hätten Sie diese Veranstaltung in gleicher Weise für die Opfer des Holocaust gestaltet? Und dabei Geständnisse von "Volksfeinden" zitiert –– musikalisch untermalt – ohne auf Folter und Gaskammern einzugehen? Und Sektenbeauftragte herangeholt?
Ist das nicht eine unglaubliche Gedankenlosigkeit und ein Affront gegen die Menschen, die unsäglichen Leiden durch die damaligen Verantwortlichen des Klosters Loccum ausgesetzt waren? Ist das nicht eine Verhöhnung der Opfer?
Und an welcher Stelle werden die Machtinteressen des Klosters und finanzielle Vorteile thematisiert?
Wird der literarisch-musikalische Abend offenbaren, was hinter diesen Schicksalen steht: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen die christliche Botschaft der Vergebung und Nächstenliebe?
Abt Hirschler erinnerte am 21.03.2013 in seiner Begrüßung zum 850-jährigen Klosterjubiläum daran, was das Kloster schon alles überlebt habe: Es sei eine „Wegstrecke voller Wunder“. Meint er damit auch die Hexenprozesse?
Fazit: Die Tagungsplanung der Evangelischen Akademie Loccum zeigt gravierende Mängel in Bezug auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen der Loccumer Hexenverfolgung und offenbart die rein apologetische Tendenz der Veranstaltung.
Rehabilitierung der Opfer der Hexenprozesse
Ich bitte die Kirchenleitung und die Synode der evangelisch- lutherischen Landeskirche Hannovers und das Kloster Loccum, die Verurteilung der als "Hexen" hingerichteten Frauen und Männer zu widerrufen und die Opfer durch Aufklärung, Beschluss und öffentliches Gedenken zu rehabilitieren.
Im Stiftsgebiet Loccum gab es zwischen 1581 und 1661 insgesamt 54 belegte Hexenprozesse. Mindestens 33 Menschen wurden in den Hexenverfolgungen hingerichtet.
Die Hexenverfolgung der Frühen Neuzeit ist ein dunkles Kapitel der Geschichte des christlichen Abendlandes. In Deutschland wurden über 25.000 Frauen, Männer und Kinder als „Hexen“ angeklagt, gefoltert und verbrannt. Wer sich mit der Hexenverfolgung befasst, erschrickt über die Rolle, die die Kirchen gespielt haben. Abt und Konvent des Klosters Loccum übten die Strafgerichtsbarkeit über die Menschen des Klostergebietes aus. Die Hexenverfolgung wurde theologisch legitimiert. Die Kirchen forderten gemäß 2. Mose 22,17: "Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen!" Luther sagte: "Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an".
Die Glaubwürdigkeit kirchlichen Redens und Handelns steht auf dem Prüfstand. Die Kirchen riefen 2001 die ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt aus, um ihren "Anteil an der Gewalt zu akzeptieren und die Verantwortung dafür zu übernehmen." Im Hinblick auf die 500-Jahrfeier der Reformation 2017 ist eine theologische Rehabilitation dieser Opfer überfällig. Bisher hat nur die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern 1997 öffentlich zur Mitverantwortung der Kirche an der Hexenverfolgung Stellung genommen.
Es gab keine Hexen. Aus heutiger Sicht wurden die Angeklagten im Namen Gottes zu Unrecht beschuldigt, gefoltert und hingerichtet. In Zeiten der modernen Naturwissenschaften ist jedem einsichtig: Es gab und gibt keine „Hexen“ im Sinne der Anklage.
Die Opfer
- waren keine Hexen - sondern ihre Verbrechen entstammten der Fantasie von Theologen, Juristen und Regenten
- waren keine Verbündeten des Teufels. Ihre Geständnisse wurden durch Folter erzwungen
- waren keine Zauberer - niemand kann das Wetter verzaubern oder Krankheiten anhexen
- nahmen nicht am Hexensabbat teil - keiner kann auf einem Besen durch die Luft reiten.
Die unschuldig Verurteilten erhalten ihre Christenehre zurück, wenn wir sie rehabilitieren und an ihr Schicksal erinnern.
In einem langen Interview mit Financial Times Deutschland berichtet Hartmut Hegeler, wie er zu seinem Thema kam und welche Erfahrungen er bisher gemacht hat.