Nikil Mukerji, Autor, Philosoph, Skeptiker und Privatdozent, befasst sich mit einem gesellschaftlichen Phänomen, das sogar in der Philosophie unter dem Begriff Bullshit läuft. Was ist das? Und was ist dagegen auszurichten?
Eine der ersten Folien, die der Philosoph Dr. Nikil Mukerji bei seinem Vortrag im Humanistischen Salon des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes (DA!) an die Wand wirft, ist eine Cartoon-Figur, die Albert Einstein darstellt. In der zugehörigen Sprechblase wird dem Physik-Nobelpreisträger der Satz in den Mund gelegt: "Bullshit ist das häufigste Element im Universum." Ein origineller Satz. Aber ist die Zeichnung nicht ihrerseits Bullshit? Schließlich hat Albert Einstein die Worte nie gesagt. Das gesteht auch Nikil Mukerji zu. Es ist halt ein Cartoon. Da ist so etwas erlaubt. Auch Bullshit im Allgemeinen ist nicht sanktioniert, aber für die Gesellschaft wäre es besser, wenn man die Bullshitter mit ihrer Taktik nicht so einfach davonkommen ließe.
Was genau ist Bullshit? Wie unterscheidet er sich von ähnlichen Phänomenen wie Gedankenlosigkeit, Selbsttäuschung, bloßem Unsinn? Wie können wir ihn entlarven und vermeiden? Darüber sprach und diskutierte Nikil Mukerji an diesem Abend fast zwei Stunden lang mit den Zuhörerinnen und Zuhörern in Düsseldorf. Bullshit, was immerhin geschmeidiger klingt als die deutsche Übersetzung Rinder-Exkremente, ist tatsächlich zu so etwas wie einem philosophischen Fachbegriff geworden. Mukerji spricht gar von dem wissenschaftlichen Teilbereich der Bullshitologie. Und er kommt auf das in diesem Zusammenhang vor 20 Jahren veröffentlichte Buch "On Bullshit" des Philosophen Harry Frankfurt zu sprechen. Dieser hat den Begriff - in Abgrenzung zur Lüge - in etwa so definiert: Bullshit ist Gerede, bei dem es der Sprecherin oder dem Sprecher egal ist, ob es stimmt. Anders als der Lügner legt es der Bullshitter nicht darauf an, dem Gegenüber gezielt eine Unwahrheit einzureden. Ob die Aussage wahr oder unwahr ist, ist ihm egal. Während der Lügner dem Gegenüber bewusst eine Unwahrheit auftischt, kommt es dem Bullshitter gar nicht auf die Wahrheit an, sondern nur auf die Beeinflussung des anderen. Es soll Stimmung gemacht und der andere beeinflusst werden.
Mukerji, der als Privatdozent an der Ludwig-Maximilians-Universität München lehrt, nennt das Beispiel des Bankberaters, der seinem Kunden einen Bausparvertrag schmackhaft machen will. Dieser täusche vor, dass er das finanzielle Interesse seines Kunden im Auge habe, schwadroniere über die Attraktivität des Produkts, habe aber im Wahrheit seine eigene Provision im Auge. Bullshit gebe es in allen möglichen Lebensbereichen. Ein Journalist könne statt Aufklärung über die Fakten das Ziel haben, Leserzugriffe und Klicks zu generieren - auf die Gefahr hin, dass es zu Fake News kommt. Ein Politiker, dessen Idealziel ein gesellschaftlicher Interessenausgleich sei, könne populistische Ziele verfolgen. Und ein Wissenschaftler könne anstelle der vorgetäuschten Erkenntniserforschung durch Bullshit eine Pseudowissenschaft fördern. Beispiel Homöopathie: Fehlinformationen führen zu einer irrationalen Überzeugung, dass Globuli hilfreich seien. Die so überzeugten Rezipienten (die Adressaten des Bullshitters heißen Bullshittees) sind spiegelbildlich der Überzeugung, dass die evidenzbasierte Medizin, die sogenannte Schulmedizin, ihnen schade. Und dann verzichten sie auf eine effektive Therapie.
All dies zeigt die Gefahren des Bullshitting. Doch was tun? Ein echtes Patentrezept kann auch Mukerji an diesem Abend nicht servieren. Er warnt nur davor, dem Bullshitter gar zu konfrontativ zu begegnen. Das führe eher zu Reaktanz und fördere weiteres Bullshitting. Eine bessere Reaktion sei der sogenannten Sokratische Weg.
Sokrates hatte bekanntlich im alten Athen die Menschen auf der Straße angesprochen, sie nach ihren Lebenseinstellungen und Überzeugungen gefragt. Und wusste durch hartnäckiges Nachfragen Überzeugungen zu erschüttern und die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Ein verständnisvoller Ansatz, der heutzutage auch unter dem Titel "Street Epistemology" läuft. Dem Gegenüber wird mit Fragen begegnet, die ihn zu einem tieferen Nachdenken bringen und ihm einen Begründungszwang für seine Behauptungen auferlegen.
Aber wie soll das helfen gegen hartnäckige Bullshitter? Gegen Menschen wie etwa den US-Präsidenten Donald Trump, dessen abstruses Ideenrepertoire unbegrenzt zu sein scheint. Und angesichts der Wucht des Bullshitting, verstärkt durch die ungeheure, keinen Widerspruch duldende Macht des Bullshitters eher entmutigen. Da stieße wohl auch der alte Sokrates an seine Grenzen. Grundsätzlich aber dürfte es richtig sein, immer wieder genau hinzuhören, nachzufragen, den Bullshitter zu konfrontieren. Längst gibt das Internet jedem Menschen das Werkzeug an die Hand, Bullshit als das zu entlarven, was er ist.
Mukerji kommt auch auf die GWUP zu sprechen, die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. Er ist dort Leiter des Zentrums für Wissenschaft und kritisches Denken. Das in diesem Rahmen praktizierte liberale Erkenntnismodell, so erklärt er, gehe davon aus, dass Ideen und Behauptungen auf die Probe gestellt werden können, herrschaftsfrei und sachorientiert. Getrennt von der Person, die die Idee geäußert hat. Und als er hinzufügt, dass es auch bei den Untersuchungsthemen keine Tabus geben dürfe, wird er leidenschaftlich und kommt auf die im vergangenen Jahr gerade noch vermiedene Spaltung der GWUP zu sprechen. (Der hpd hat mehrfach darüber berichtet.)
Bei dem Grundsatzstreit ging es darum, ob die GWUP mehr als nur bloßen Verbraucherschutz betreiben soll, etwa, indem sie Scharlatarnerie wie etwa das Wünschelrutenlaufen untersucht. Sondern vielmehr auch Themen aufgreifen sollte, die politisch kontrovers diskutiert werden. Eben das ist die Richtung, die sich mittlerweile bei der GWUP durchgesetzt hat: Kritisches Denken solle nicht nur Fehlinformationen, Mythen, Esoterik und Pseudowissenschaften entlarven, sondern müsse auch zu Anwendung kommen, wenn ein Thema politisch kontrovers diskutiert wird.
Gemeint sind dabei insbesondere auch die sogenannten Critical Studies, die an den Universitäten in den Geistes- und Sozialwissen¬schaften diskutiert werden. Dazu gehören die Critical Race Theory, Post-Colonial Studies, Gender Studies, Queer Studies, Fat Studies und Disability Studies. Die Marschroute: Was an wissenschaftlichen Fakultäten gelehrt und diskutiert wird, muss auch außerhalb der Universitäten überprüft werden können. Eine Haltung, die auch Mukerji vertritt: "Wir wollen auch über gesellschaftliche Strömungen sprechen", sagt er und gibt sich erleichtert, dass sich in der GWUP die Tabu-Befürworter nicht durchgesetzt haben, die in der Vergangenheit bestimmte Themen in den "Giftschrank" verbannt hätten.
