„Wir können ihre Stimme sein!“

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Pariser Platz, Freitag, 21:28 / Foto: Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Weltweit wurde am Wochenende in verschiedenen Ländern und Städten gegen das religiöse Regime im Iran protestiert. In Berlin hatten sich  neben anderen Demonstrationen die Säkularen IranerInnen für Freiheit und Demokratie zu einem Hungerstreik versammelt.


Freitagabend.
Ostseite des Pariser Platzes am Brandenburger Tor. Morgens hatte der Hungerstreik begonnen. Der Tag war gemischt. Zwischen Sonnenschein und Regen, zwischen politischen Gesängen zu Live-Musik und nachdenklichen Diskussionen. Unter hoch gehaltenen Plastikplanen versuchen sich die Hungerstreikenden vor dem Regen zu schützen, die Schlafdecken und Matten werden abgedeckt, um sie trocken zu halten. Das Knurren des Magens irritiert kaum jemanden, schwieriger ist die Nässe des Regens, dessen empfundene Intensität durch die Windböen noch verstärkt wird, die über die breite Straßenachse von „Unter den Linden“ über den freien Pariser Platz hinweg streichen.

Die Polizei hatte den Veranstaltern das Aufstellen von mobilen Toiletten untersagt, da rechts und links neben dem Brandenburger Tor öffentliche Bezahltoiletten seien. Die Akademie der Künste tolerierte freundlich die Benutzung ihrer Toiletten. Trotz, oder wegen des Regens, werden unverdrossen politische Lieder gesungen. Sie bestärken den Protest in der Erinnerung an die Künstler und Komponisten, die ihretwegen im „Gottesstaat“ getötet worden sind.

In der Nacht werden die Jüngeren auf dem Platz bleiben und sich auf Isomatten und Teppichen in ihren Schlafsäcken und Decken verhüllen. Den Älteren hat man den Saal im Haus der Demokratie und Menschenrechte als Nachtquartier angeboten, damit sie sich vor dem nasskalten Regen schützen können. Einige werden das Angebot annehmen.

„Wir können die Stimmen der politischen Gefangenen sein“

Samstagmorgen. Es ist noch frisch und zu kühl für Ende Juli. Langsam kommt wieder Bewegung in die Hungerstreikenden. Sie dösen noch zum Teil, lesen, schreiben, vertreiben sich die Zeit.

„Zwei Tage Wind, Regen und Hunger, was bedeutet das schon? Wir haben ein viel weiteres Anliegen.“ Mina Hashemi, Jahrgang 1957, ist noch müde, die Nacht auf dem Platz war kein geruhsamer Aufenthalt. „Ich war selber im Gefängnis. Drei Jahre. Nachdem ich wieder draußen war, habe ich ein Kind bekommen, und als das Kind zehn Tage alt war, ist mein Mann verhaftet worden. Nach zwei Jahren, in denen er auch gefoltert wurde, ist er hingerichtet worden. Ich war damals Bankangestellte, sie haben mich gekündigt und ich musste mich mit verschiedenen kleinen Tätigkeiten bescheiden, um mich und meine kleine Tochter zu ernähren. Als meine Tochter sechs Jahre alt wurde, sollte sie zur Schule gehen und ich musste das Sorgerecht von den Eltern meines Mannes bekommen, aber sie waren religiöse Menschen und wollten nicht, dass ich das Sorgerecht für mein Kind bekomme. Ich habe drei Jahre versucht, dieses Sorgerecht zu erhalten, habe es aber nicht bekommen. In dieser Zeit ist mir klar geworden, ich kann in dieser Unfreiheit nicht weiter leben und so bin ich dann hierher gekommen.“ Sie streicht sich eine Locke ihres kräftigen Haares aus der Stirn. „Immer wenn eine Aktion ist, dann bin ich dabei. Ich kann nicht vergessen, wie es im Gefängnis war. mit der Folter und allem anderen. Ich hasse das Gefängnis.“

„Die Situation hat sich seit meiner Zeit auch geändert. Wir waren eine politische Gruppe, die mit der damaligen Regierung gekämpft hat, heute sind es die normalen Leute aus der Bevölkerung die opponieren, und die schießen auf diese Menschen, foltern und vergewaltigen sie. Ich wurde 1980 verhaftet und habe 1981 so vieles im Gefängnis gesehen, alles, was auch heute wieder getan wird. Erst gab es eine Schießerei, das haben wir gehört, und dann haben sie die Einzelnen erschossen. Wir waren erst einen Tag im Gefängnis und an dem Tag sind 425 Gefangene erschossen worden, das heißt 425 Menschen wurden an einem einzigen Tag hingerichtet. Jeden Tag standen Namen in der Zeitung, 300, 200 oder 400. Und die Präsidentschaftskandidaten der jetzigen Wahl waren auch Teile des damaligen Systems. Als mein Mann hingerichtet wurde, war Mussawi der Premierminister.“ Sie sucht nach passenden Worten. „Ich kann das nicht verstehen, auch alle die anderen waren und sind Teile des Systems!“

 

 

Samstagmittag. Die Wochenendausgabe der Frankfurter Rundschau wird herumgereicht, sie hat ein grünes Titelblatt der Solidarität. In der Sonne sind unter dem Schutzzeltdach die Planen und Teppiche ausgebreitet. Vier Polizisten kontrollieren das durchgehende Schutzdach, gestern Abend stand es noch nicht auf dem Platz. „Woher kommt das Zelt?“ Eine Diskussion in der Gratwanderung mit Begriffen ob „Zelt“ oder „Schutzplane“ vertreibt die Zeit. Mikrofone, Boxen werden aufgestellt, zum Schweigen im Gedenken an die Ermordeten.

Farin Fakhari, die zur Gruppe der „United 4 Iran“ gehört, die den weltweiten Prostest organisiert, ist mit der Unterstützung zufrieden. „Wir haben in den letzten Tagen so viel Unterstützung erhalten, was wir nicht erwartet hatten.“ Den Eindruck, dass der Protest auch dadurch eine andere Qualität hat, weil sich so viele Frauen daran beteiligen, bestätigt sie lächelnd. „Ja, er ist fröhlicher, herzlicher, teilweise auch spontaner, als wenn Männer federführend sind. Das hat in der iranischen Geschichte aber Tradition, dass es immer eine starke Frauenbewegung gab.“ Sie betont, dass es in der westlichen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden sei, wie schwierig es für die Regierung im Iran gewesen sei, den Frauen den Schleier aufzuzwingen. Das habe Jahre gedauert und musste mit Gewalt erzwungen werden. Sie verweist zudem darauf, wie stark der Gegensatz zwischen dem privaten und dem öffentlichen Leben sei und dass Kinder bereits darauf trainiert werden müssen, in der Öffentlichkeit niemals zu erzählen, wie es bei ihnen zu Hause zuginge. „Ein Freund von mir sagt immer als Spaß, mit dem Kern einer traurigen Wahrheit: ‚Wir sind nicht 60 Millionen Iraner, wir sind 120 Millionen’. Nicht umsonst gibt es im Kino und in der iranischen Kultur eine doppelte Ebene, in der nur versteckt ausgedrückt werden darf, was man meint.“ Dieser Rückzug in den 1980er Jahren ins Privatleben würde jetzt wieder in die Öffentlichkeit zurückkehren. Die Jüngeren würden über die modernen Medien ja sehen, wie das Leben außerhalb des Iran sei und wollten auch so leben.

Auch in verschiedenen anderen Gesprächen wird deutlich, wie sehr die Menschen hier sich mit dem Land beschäftigen, in dem sie groß geworden sind. Auch wenn Frauen in Deutschland geheiratet haben und jetzt hier mit ihren Kindern leben, bleibt diese Verbundenheit. Eine meinte fröhlich: „Das grüne Flugzeug ist schon bestellt und natürlich werden wir damit in den Iran fliegen, und sei es nur zum Besuch.“

 

Zur Erinnerung an ihre eigenen Vergangenheit hat eine der Frauen die Kleidung angezogen, mit der sie ständig im Gefängnis gehen mussten, wenn sie die Zellen verließen: Schador und eine spezielle Augenbinde. So konnten sie gerade noch ihre Füße sehen und wohin sie die Füße setzten, mehr nicht. Die Peiniger und Folterer wollten nicht erkannt werden und so sind bis heute von den Tausenden der Peiniger nur wenige persönlich bekannt geworden.

Die Frauen tragen diesen Protest, weil so viele von ihnen Opfer sind

Sonntagvormittag. Um elf Uhr ist der Hungerstreik beendet und an einem ersten Kaffee wird vorsichtig und mit Genuss genippt. Die Frauen und Männer sind müde und fröhlich. Sie haben vereinzelte Verbindungen nach Hause und viele in die Welt: Sie wissen, dass ihre Aktion Teil eines größeren Widerstandes gegen den „Gottesstaat“ im Iran ist.

 

 

 

Es wird weiter gehen. Die Aktion der „United4Iran“ werde fortgesetzt. Bewusst habe man die Allgemeinen Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt. Es hatte lange Diskussionen gegeben: Keine Fahnen, keine partikularen Forderungen. Gestern seien am Eifelturm in Paris die zusammengenähten Unterschriftentücher, die vor zwei Wochen auch in Berlin beschrieben worden waren, als langes Transparent entrollt worden.

Die Frauen sind sich sicher: Auch wenn es andere Aktionen gibt, die vielleicht spektakulärer sind und in der medialen Öffentlichkeit mehr wahrgenommen werden, ihre eigene Arbeit und ihre Aktionen werden nachhaltiger sein.

C.F.
 

Alle Fotografien © Evelin Frerk