Die Cartoonistin Nadia Menze hat ihren ersten Karikaturenband veröffentlicht

"Eine gute Karikatur muss etwas mit mir machen"

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Ausschnitt aus dem Cover des Buches
Ausschnitt aus dem Cover des Buches

Wie funktioniert eigentlich eine gute Karikatur? Warum lachen wir schallend über die eine, während eine andere nur ein leichtes Schmunzeln auslöst? Über was darf überhaupt gelacht werden? Und wer legt das fest? In ihrem Buch "Zur Anatomie der Karikatur" hat Nadia Menze diese Fragen pointiert und mit Unterstützung zahlreicher Karikaturen beantwortet. Der hpd hat mit der Cartoonistin über das befreiende Lachen, Shitstorm-Aktivismus, notwendige Diskussionsanstöße und inspirierende Inhalte gesprochen.

hpd: "Zur Anatomie der Karikatur“ ist deine erste Buchveröffentlichung. Darin gibst du entlang deiner Zeichnungen Einblick in das Handwerk der satirischen Zunft. Was macht denn in deinen Augen eine gute Karikatur aus?

Nadia Menze: Das ist eine Frage, die ganze Buchreihen füllen könnte. Wenn ich es auf die Essenz herunterkochen soll, würde ich sagen: Sie muss etwas in einem bewegen. Sie muss etwas mit mir machen. Das kann im einfachsten Fall die Katharsis sein – ein befreiender Lacher im Wahnsinn der Welt, ein kurzer Glücksmoment, in dem ich mich verstanden fühle.

Ich mag aber auch sehr Karikaturen, die eine konkrete, differenzierte Aussage haben (also mehr als: "Trump ist doof. Trump ist böse."). Am besten eine Aussage, die die Grenzen ausreizt, die ein Hinterfragen, Nachdenken, Abwägen auslöst. Wo die Kommentarspalten statt mit Hass mit Fakten und Diskussionen überquellen. In unserer Gesellschaft sind Werte und Ansichten nicht in Stein gemeißelt – sie sind eher Gletscher, die langsam wandern. Aber sie bewegen sich nur durch Austausch, durch das Miteinander.

Selbstportrait Nadia Menze
Selbstportrait

Wie geht deine Arbeit vor sich? Guckst du abends die Nachrichten und spürst nach, was dich besonders aufregt, oder läuft bei dir eine permanente Hintergrundaktualisierung, die dann plötzlich einen Bildwitz ausspuckt?

Alles ist möglich. Mal so, mal so. Beim Duschen kommen mir gerne spontan schöne Ideen, vielleicht sollte ich mein Badezimmer als zweites Arbeitszimmer deklarieren. Bei Karikaturen ist es allerdings so, dass sie in mir meist aus einer Mischung aus Wut und Hilflosigkeit erwachsen, eine Reaktion auf den Irrsinn der Welt und die Idioten, die wegschauen, sich dumm stellen, egozentrisch handeln. Zeichnen ist dann für mich ein Ventil, Dampf abzulassen, wenn mir alles über den Kopf wächst. Meist habe ich da eine Grundaussage im Hinterkopf, die ich transportieren will, und suche dafür das passende zeichnerische Vehikel. Diese "Vehikel" bespreche ich unter anderem in meinem Buch.

Welche Themen inspirieren dich und welche interessieren dich gar nicht?

Wissenschaftsfeindlichkeit, Religion und Frauenrechte stehen ganz oben auf der Liste (auch interessant: wie eng diese drei Punkte zusammenhängen – je mehr eine Gesellschaft die ersten beiden Stichpunkte für wichtig hält, umso weniger hält sie vom letzten). Bei diesen Themen teile ich nach allen Seiten aus und verschone niemanden. Wer wagt, gewinnt, heißt es, und das trifft für mich vor allem im Cartoon zu. Wer nicht wagt, der langweilt meist. Zumindest mich.

Themen, die mich per se nicht interessieren, sind Belanglosigkeiten wie Fußball, Streamingserien, Social Media Trends, uralte Mann/Frau Stereotypen mit Bier, Nudelholz und Schuhkaufsucht. Was nicht heißt, dass ich mich nicht auch mal zeichnerisch gut darüber amüsieren kann – aber "klassischer" Humor zu diesen Themen, da schläft mir der Stift auf dem Papier ein.

Kann Satire etwas bewirken?

Sicherlich. Dass Satire in allen fortschrittlichen, freigeistigen Kulturen existiert, zeigt doch, dass wir Menschen sie offensichtlich für unsere Lebenszufriedenheit brauchen – wie auch gute Musik. Für mich eine sehr passende Analogie, denn: Was gute Satire ausmacht, liegt wie bei der Musik im Auge bzw. im Geschmack des Betrachters. Nichtsdestotrotz findet sich in der Regel ein Konsens, wo Musik beginnt und auch, was gute von schlechter Musik unterscheidet. Das Grundbedürfnis ist in allen Fällen aber das gleiche: ein Bedürfnis nach Verstanden-Werden, nach Erleichterung durch Humor, nach Katharsis. Das bewirkt Satire.

Karikatur: Nadia Menze

Wir leben in gesellschaftspolitisch turbulenten Zeiten. Einerseits sicher eine opulente Fundgrube für Satiriker. Andererseits hört und liest man immer öfter, dass sich auch Humorarbeiter der Selbstzensur unterwerfen – aus Angst vor Shitstorm-Aktivismus oder aus Verunsicherung, ob man bestimmte Dinge wirklich nicht mehr thematisieren sollte. Wie positionierst Du Dich da?

Was ich irritierend finde, ist der Trend, lieber nichts zu zeichnen, als etwas, das auch negative Reaktionen hervorrufen könnte. Ich höre oft: "nicht, dass die Falschen lachen!" Also lieber keine Diskussion, als wenn "die Falschen" sich zur Diskussion eingeladen (oder, im schlimmsten Falle, sich sogar in einem der Punkte bestätigt) fühlen könnten. Was aber natürlich im Gegenzug bedeutet, man teilt die Welt automatisch in zwei Lager: "die Richtigen" und "die Falschen". Dass es auch dazwischen etwas geben könnte, wird ausgeblendet, "den Richtigen" zuliebe. In dem seltsamen Glauben, man würde dadurch irgendetwas besser machen. Für mich kann man falscher nicht denken. Für den schönen Schein werden Diskussionen ausgelassen, die notwendig sind. Gerne wird ergänzt mit: "Man tritt immer nur nach oben!" Wer oder was aber oben und wer unten ist, ist Ansichtssache. Auch da kann sich viel drehen, verändern, es ist nichts statisch. "Arschlöcher gibt es überall", heißt ein schöner Spruch. Ich möchte gerne Arschlöcher kritisieren können, völlig egal, wo sie herkommen – nämlich dafür, was sie getan haben.

Nichtsdestotrotz gibt es auch Situationen und Momente, in denen Kritik eher angebracht ist als in anderen. Ich wäge also schon sehr genau ab, wann ich mich wie weit aus dem Fenster lehne.

Bist du selbst schon für Zeichnungen angegriffen worden?

Aber sicher. Wem das noch nicht passiert ist, der hat sich noch nie zu einem Thema positioniert. Ich fände es eher bedenklich, wenn mir jemand sagt, er habe noch nie vorwurfsvolle Kommentare erhalten. Was für ein glatter, langweiliger Humor muss das sein.

Gibt es Sachverhalte oder Personen, die für dich tabu sind oder an die du dich thematisch nicht rantrauen würdest?

Eigentlich nicht. Ich finde, Satire ist genau der Indikator, der zeigt, wo Rationalität aufhört und Glaube, Wahn, Antilogik bzw. Indoktrination beginnt. Wer Humor bei einem Thema per se ausgrenzt, ihn also in jeglicher Form als Affront bewertet, zeigt, dass dieses Thema bzw. Konzept tatsächlich gar keine wissenschaftliche Logik oder inhärente Wahrheit besitzt. Reaktionen fallen umso heftiger und schärfer aus, je weniger die Glaubenssätze wissenschaftlich unterfüttert werden können. Denn nichts schmerzt mehr, als ausgelacht zu werden, wenn man der Kritik nichts von Substanz entgegenzusetzen vermag. Damit ist die Reaktion auf Satire im Grunde eine Art Wahrheitsindikator, und das finde ich genial.

Nichtsdestotrotz ist Satire nicht nur ein Megafon des Künstlers in die Welt, sondern immer ein Zusammenspiel mit dem Publikum. Wie bereit ein Publikum für eine Kritik ist, hängt sehr von der Gesellschaft ab. Für viele meiner Zeichnungen wäre ich vor wenigen hundert Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Vor nur 10 Jahren wurden großartige Kollegen in Paris für ihre zeichnerische Kritik am Islam ermordet. Im Jahr 2020 wurde ein Lehrer, der diese Karikaturen thematisiert hatte, in Frankreich auf offener Straße geköpft. Im Jahr 2022 verlor eine hoch angesehene Biologin ihre Professur in Harvard, weil sie biologische Fakten lehrte. Gewisse Themen sind, öffentlich thematisiert, mit großen Risiken für einen selbst verbunden. An sich würde ich gerne zeichnen können, was ich will. Aber tatsächlich gibt es Themen, bei denen der Hass und die Wissenschaftsfeindlichkeit aktuell derartig aufbranden, dass ich mir sehr genau überlegen muss, ob ich mich mit diesen Themen und Parteien anlege. Das Verrückte ist: Früher hatte man diese Bedenken hauptsächlich bei Rechtsextremen und religiösen Fanatikern. Heutzutage haben diverse andere Gruppen hart nachgezogen, denn leider hat sich in den letzten Jahren bei verschiedensten Themen eine Wissenschaftsfeindlichkeit breitgemacht, die ich erschreckend finde, und auf die ich aufmerksam machen möchte. Jedoch: Wo und wie ich dagegen zeichne, suche ich mir sehr sorgfältig aus und wäge genau ab. Gerade Frauen haben es da noch mal besonders schwer – bei uns lädt man Hass und Gewaltfantasien am liebsten ab.

Karikatur: Nadia Menze
Karikatur: Nadia Menze

Woran merkst du, dass du dich als satirische Beobachterin und Zeichnerin weiterentwickelst?

Zeichnerisch verändert sich über die Jahre natürlich vieles, aber ich registriere vor allem, dass ich Karikaturen mit ganz anderem Blick betrachte als früher – mit mehr inhaltlichem Anspruch: Ich möchte bewegt werden. Daher habe ich mittlerweile wenig bis kein Interesse an dem, was ich "Reizwortillustration" nennen würde – also eine Satire, die nicht wirklich etwas aussagt, aber einen netten zeichnerischen Rahmen zum Thema bildet.

Hineinlesen kann man Aussagen natürlich in jedes Werk, auch in eine blaue Leinwand – aber wenn ich von Aussagen spreche, dann meine ich damit etwas, das 9 von 10 Menschen aus einem Werk herauslesen können. Liest jeder etwas anderes hinein, dann ist es für mich Kunst, aber keine wirkliche Karikatur, keine Satire. Je länger ich zeichne, umso wichtiger und wertvoller ist für mich "echte" Satire.

Hast du Vorbilder?

Selbstverständlich, und da werden mir alle Kollegen und Kolleginnen zustimmen, das außergewöhnlichste Talent war Martin Perscheid. Natürlich gibt es auch viele andere hervorragende Cartoonisten, aber keiner kann sich mit ihm messen im Bereich der Karikatur – seine Chuzpe, seine Frechheit, seine Brillanz und Schärfe sind und waren bewundernswert. Also alles, was richtig gute Satire ausmacht. Da ist und bleibt er unerreicht. Ich glaube niemand, der seine Werke betrachtet, bleibt unbewegt. Zeitlebens wurde Martin mit Gary Larson verglichen, weil viele seiner unpolitischen Cartoons den gleichen wunderbar absurden Humor bedienen. Was Martin im direkten Vergleich jedoch außergewöhnlich macht, sind seine scharfen, treffenden, politischen Cartoons – zeichnerische Kommentare zum Weltgeschehen. Niemand hat je so gelungen kathartische Lacher produzieren können wie Martin Perscheid. Er hat immer ins Schwarze getroffen, bei ihm haben wir uns verstanden gefühlt. Die Frage 'Was hätte Perscheid hierzu wohl gezeichnet?' habe ich unzählige Male gehört, weil er und seine scharfen Stellungnahmen vielen Menschen schmerzlich fehlen. Dies, mehr als alles andere, beweist doch, wie wichtig Satire für uns Menschen ist.

Die Fragen stellte Talvi Bent.

Nadia Menze: Zur Anatomie der Karikatur, Alibri, 2024. 120 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-86569-421-8, 18,00 Euro

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