Interessanterweise sieht das Gericht erklärtermaßen schon bei der Zulässigkeitsprüfung eine konkrete Betroffenheit der beiden Kirchen durch die Neuregelung, obwohl die Kirchen gar nicht Adressaten der Regelung sind, religiöse Veranstaltungen nicht beeinträchtigt werden und auch an Adventssonntagen der Vormittag als hauptsächliche Gottesdienstzeit vom Ladenverkauf freigehalten wird. Eine - für die Verfassungsbeschwerde notwendige - Selbstbetroffenheit liege darin, „dass sich durch die in Rede stehenden Ladenöffnungszeiten generell der Charakter der Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe, aber auch der Besinnung verändert, weil diese Tage auch in ihrer Ganzheit als Tage der Ruhe und der seelischen Erhebung religiöse Bedeutung für die Beschwerdeführer haben („… am siebten Tage sollst Du ruhen, ...“; vgl. in der Bibel Ex 23, 12; dazu weiter Dtn 5, 12-14 und in den Zehn Geboten Ex 20, 8-11).“
Sind mit der skizzierten Vorgehensweise alle Hindernisse für eine Prüfung des Gesetzesinhalts beseitigt, so braucht man nur noch zu begründen, dass die Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen von 13-20 Uhr in den Kernbereich der Sonntagsgarantie eingreift, auch dann, wenn an mindestens 44 Sonntagen keine allgemeine Ladenöffnung zugelassen ist. Verständlich, dass das Gericht dazu sehr viele Seiten benötigt.
Im Zweifel für die Kirche?
Ärgerlich an dem Urteil ist: Seine Lektüre verstärkt wiederum den Eindruck, es gelte nach wie vor der Grundsatz „in dubio pro ecclesia“ (im Zweifel für die Kirche). Die Entscheidung lässt an einzelnen Stellen auch klar erkennen, dass die Förderung christlicher Tradition dem Senat nicht fern liegt. Dem Sonn- und Feiertagsschutz wird sogar eine religiöse Teilkomponente zuerkannt. Vergessen wird die alte Erkenntnis des BVerfG, dass alle Verfassungsbegriffe im nur weltlich legitimierten Staat nur säkular verstanden werden dürfen, auch wenn der Staat auf Religion und Weltanschauung – gleichberechtigt – Rücksicht nimmt. Zu solchen Überlegungen kommt freilich nur, wer das Urteil liest. Das ist aber bei dieser ausufernden nebelartigen Darstellung für rechtliche Laien fast unzumutbar. So bleibt der Eindruck: eine prima Entscheidung, die dem Weihnachtskommerz Schranken setzt. Das wäre aber Sache des Landes Berlin und nicht des BVerfG. Das alles sind keineswegs Petitessen.
Gerhard Czermak
Gerhard Czermak ist Autor des kürzlich bei Alibri erschienenen Lexikons „Religion und Weltanschauung in Gesellschaft und Recht“. Siehe dazu hpd-Interview und denkladen-Produktinformation.