(hpd) In Köln findet vom 31. Mai bis 1. Juni unter dem Motto „Aufklären statt verschleiern!" die Kritische Islamkonferenz statt. Im Vorfeld
stellt der hpd einige der Referenten und ihre zentralen Thesen in Kurzinterviews vor.
hpd: Im Titel Ihres Vortrages ist vom Islam als „religiös-ideologischer Grundlage einer vormodernen Herrschaftskultur" die Rede. Was genau verstehen Sie unter einer „vormodernen Herrschaftskultur" und worin unterscheidet sich diese von aktuellen Herrschaftskulturen?
Hartmut Krauss: Vormoderne Gesellschaftsordnungen weisen insbesondere zwei Kernmerkmale auf: Erstens: Die zwischenmenschlichen Herrschaftsverhältnisse beruhen im Wesentlichen auf persönlichen Abhängigkeitsbeziehungen in Form von feudalwirtschaftlicher Tributpflicht, geburtsrechtlicher Rangordnung, hierarchischen Stammesbeziehungen, patriarchalischen Strukturen, rentenökonomischen Klientelbeziehungen etc.
Zweitens: In diesem Beziehungskontext fungieren die religiösen Glaubenssysteme als allein und absolut gültige geistig-kulturelle Instanzen der Weltdeutung und Verhaltensnormierung. Das heißt, das Religiöse durchdringt hier sämtliche Lebensbereiche, und zwar in seiner mehrschichtigen Eigenschaft als mythologische Glaubenslehre (hochkulturelle Theologie und massenkulturelle Heiligenverehrung), als Legitimationsideologie (Sakralisierung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse als „gottgewollte" Ordnung) und alltagsethisch wirksames Kontroll-und Normierungssystem. Die zwischenmenschlichen Herrschaftsbeziehungen werden folglich durch ein umfassendes und absolut gültiges religiöses Bedeutungssystem codiert, abgesichert und sozialisatorisch reproduziert.
Im Unterschied hierzu sind moderne Herrschaftskulturen durch folgende grundlegenden Aspekte gekennzeichnet: Erstens: Durch sachliche („unpersönliche"), Abhängigkeitsbeziehungen im Rahmen der marktvermittelten kapitalistischen Ökonomie; zweitens: Durch formale politisch-rechtliche Gleichheit und Freizügigkeit (individuelle Freiheitsrechte außerhalb der asymmetrischen Sphäre der kapitalistischen Ökonomie) und drittens durch Aufhebung der Monopolstellung des Religiösen als absolut gültige geistig-moralische Deutungs- und Normierungsmacht.
hpd: Nun ist der Islam, den fundamentalistische Interpreten aus Koran und Sunna herauslesen, das ein, der Islam, den Muslime in aller Welt leben, das andere - insbesondere wenn Muslime in der „Diaspora" leben. Schlagen sich religiös-ideologischen Grundpositionen denn tatsächlich in nennenswertem Umfang auch lebensweltlich nieder?
Hartmut Krauss: Die auf Mohammed herabgesandten Suren des Korans gelten als unmittelbares, ewig und überall gültiges Gotteswort. Demnach hat sich Gott/Allah vermittels Mohammed im Koran abschließend und kategorisch offenbart. Daraus ergibt sich dann der herrschaftliche Geltungsanspruch des Islam als der einzig „wahren" und überlegenen Religion. Das ist nicht etwa eine „fundamentalistische" Interpretation, sondern Grunddogma des orthodoxen Islam. Hinterfragendes und situativ relativierendes Interpretieren gilt im Übrigen im vorherrschenden orthodox-konservativen Islam als Blasphemie. So heißt es in der kategorischen Forderung an Koranschüler: „Lege nie einen Koranvers nach deiner eigenen Vorstellung aus, sondern prüfe nach, wie ihn die Gelehrten des ‘heiligen Textes' und die weisen Männer, die vor dir lebten, verstanden haben. Wenn du den Vers anders verstehst und deine Auffassung dem ‘heiligen Gesetz' widerspricht, verlass deine erbärmliche Meinung und schleudere sie gegen die Wand." Und in einem Hadith heißt es: „Die beste Rede ist das Buch Gottes. Das beste Vorbild ist das Vorbild Muhammads. Und die schlechtesten aller Dinge sind Neuerungen, die in die Religion eingeführt werden. Und was versprochen wurde, wird eintreten - ihr könnt euch dem nicht entziehen."
Wir sollten also strikt strikt unterscheiden zwischen dem Islam in seiner objektiven orthodoxen Kerngestalt als dogmatisch „eingefrorene" vormoderne Vorschriftenreligion in der zuvor benannten Funktion und dem realen Verhalten der Muslime, die sich ja als menschliche Subjekte gegenüber der islamischen Glaubensvorgabe „bewusst" verhalten können. Nach meiner Einschätzung gibt es weltweit eine große Zahl von Muslimen, die orthodox-dogmatisch an den objektiven Glaubensvorgaben festhalten und sich von diesen in ihrem Alltagsverhalten leiten lassen. Nach der Studie „Muslime in Deutschland" stimmten zwei Drittel der Befragtender nachstehende Aussage eher (27%) oder völlig (40,1%) zu: „Mein Glaube ist die Richtschnur für alle meine Entscheidungen im Alltag." Noch etwas höher ist die Alltagsrelevanz des Islam für die muslimischen Jugendlichen mit 70,9%. 89% glauben, dass der Koran die wahre Offenbarung Gottes ist und immerhin noch 68,6% sind der Überzeugung, dass sie ins Paradies kommen, wenn sie als rechtschaffender Muslim gelebt haben.
hpd: Kann eine vormoderne Interpretation des Islam in einer Welt, die zunehmend von einem globalisierten Kapitalismus bestimmt, auch dauerhaft wirksam werden?
Hartmut Krauss:Wie ja schon ein Blick auf Saudi-Arabien oder den „Dubai-Kapitalismus" zeigt, ist die islamische Herrschaftskultur sehr wohl kompatibel mit einer kapitalistischen Wirtschaftsweise bzw. mit der Übernahme technologischer und ökonomischer Modernität. So hat auch bereits Maxime Rodinson in seinem Buch „Islam und Kapitalismus" festgestellt: „Der grundsätzliche Widerstand des Islam gegen den Kapitalismus ist ein Mythos, gleichgültig, ob diese These in guter oder schlechter Absicht vorgetragen wird."
Womit der orthodoxe Islam freilich nicht zurechtkommt, ist die Entfaltung der kulturellen Moderne bzw. die freie Entwicklung einer aufklärerischen säkular-demokratischen Zivilgesellschaft auf der Basis einer Dezentrierung des Religiösen und der klaren Trennung von Religion, Staat, Recht und Privatsphäre. Vor diesem Hintergrund stellt die „islamistische" Radikalisierung eine regressive Antwort auf die westliche Globalisierung dar, die ihrerseits moderne technologische und ökonomische Mittel mit aggressiv zugespitzter vormoderner Herrschaftsideologie zu einer totalitären Herrschaftspraxis verbindet und uns in dieser Form wohl noch längere Zeit bedrohen dürfte.
Hartmut Krauss ist Sozialwissenschaftler und Redakteur der Zeitschrift Hintergrund. Sein Buch „Islam, Islamismus, muslimische Gegengesellschaft. Eine kritische Bestandsaufnahme" ist soeben erschienen.
Die Fragen stellte Martin Bauer.