BADEN / Schweiz. (hpd) Anlässlich der Erfüllung der Aufgaben der Robert Mächler Stiftung hatten die Stiftungspräsidentin und der Geschäftsführer der Stiftung nach Baden in der Schweiz eingeladen, um im Limmatsaal in Mächlers Heimatort dieses Ereignis würdig zu feiern. Auch mit einer Hommage von Michael Schmidt-Salomon für Karlheinz Deschner.
Der kirchenkritische Schriftsteller Karlheinz Deschner war es, der seinen langjährigen Freund, den kultur- und religionskritischen Journalisten und Schriftsteller Robert Mächler (24.12.1909 / Baden – 15.2.1996 / Aarau) schließlich doch noch, kurz vor dessen Tod, dazu bewegen konnte, der Gründung einer Stiftung seines Namens (RMS) zuzustimmen. Deren Ziele: Nachlassbewahrung (Aargauer Staatsarchiv), Auswahlpublikationen aus seinem Werk und, seit 1999, ca. alle 2 Jahre Verleihung des mit je 20.000 CHF dotierten Robert-Mächler-Preises für kritische Aufklärung und humanitäres Engagement, durften die Mitglieder des Robert-Mächler-Stiftungsrates als realisiert betrachten mit der ihre Arbeit offiziell beendenden Mächler-Centenarjahrfeier am 23.10.2010 in Baden (Vernissage eines letzten Auswahlbandes – Mächlers philosophische Korrespondenzen – durch den Verleger Matthias Haupt und die Editorin Gabriele Röwer, Würdigungen Mächlers durch die Zeitzeugen Werner Morlang, Pirmin Meier und Philippe Dätwyler, Hommage an Mächlers Freund und geistigen Förderer Karlheinz Deschner durch Michael Schmidt-Salomon, den Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung).
Viele waren zu dieser vor allem von Regula Niederer (Präsidentin RMS) und Woldemar Muischneek (Geschäftsführer RMS) umsichtig geplanten und von Benjamin Scheck mit der klassischen Gitarre eindrucksvoll begleiteten öffentlichen Feier in den neubarocken Limmatsaal des Hotels Limmathof im Bäderquartier von Baden, Mächlers Heimatort, gekommen, auch aus Deutschland, rund 150, mehr als erwartet und mehr, als es Plätze gab. Fühlten sich doch verschiedene Gruppen von dem Programm angesprochen: Mächlers Freunde und Leser bzw. Korrespondenzpartner und/oder deren Freunde und Angehörige sowie Anita Schubert aus Bornich (Rhein), zusammen mit Walter M. Schubert Trägerin des Mächler-Preises für humanitäres Engagement 2007 (siehe damaligen Bericht im hpd); ebenso Leser und Freunde Karlheinz Deschners und seines Laudators Michael Schmidt-Salomons, auch aus dem Umkreis der Giordano-Bruno-Stiftung; Herbert Steffen, seit den 90er Jahren Förderer Karlheinz Deschners und (der RMS freundschaftlich verbundener) Gründer der GBS mit dem Ziel der Förderung eines evolutionären Humanismus, nahm ebenso teil wie GBS-Mitglieder in der Schweiz. Obschon die Konzentration der Gäste, nach Aussage des Verlegers Matthias Haupt ein „geisteswissenschaftlich hochkarätiger Kreis“, in diesen zweieinhalb Stunden durch die Redner sehr gefordert war, äußerten sich viele beeindruckt von der geistigen und menschlichen Dichte der von Christoph Bopp (RMS) moderierten Beiträge, sei’s in Gesprächen beim anschließenden Apéro oder am Büchertisch, sei’s danach in Rückmeldungen an die Mächler-Stiftung. Nach Abschluss von deren Arbeit wird eine Website weiterhin auf das Werk Robert Mächlers aufmerksam machen, auch durch Verlinkung mit der Website der GBS und Karlheinz Deschners.
Buchvernissage: „Arme Teufel sind wir alle“ – Briefe von und an Robert Mächler über Gott und die Welt, herausgegeben und eingeleitet von Gabriele Röwer im Verlag Haupt / Bern
„Das Glück des Verlegers“ – Matthias Haupt über das neue Buch
Unter dem Titel „Das Glück des Verlegers“ fasste Matthias Haupt seine persönlichen Bemerkungen zusammen. Dieses Glück sah er zum einen in der guten partnerschaftlichen Kooperation des 1906 gegründeten Haupt Verlags, der immerhin seine verlegerische Freiheit und programmatische Unab-hängigkeit bewahren sowie bereits zwei Bücher Mächlers betreuen konnte, mit der Herausgeberin und den übrigen Stiftungsräten (u.a. Mitfinanzierung des Buchprojektes) seit 2007: „Dass Autoren und Verleger zusammenfinden, sich einigen und einander Vertrauen schenken, das nenne ich Glück.“ Einbezogen in dieses Glück seien analoge Erwartungen und Ansprüche an die Qualität des Manuskriptes: „Denn Verlage müssen kompromisslos Garant sein für (wissenschaftlich) fundierte, seriös recherchierte, sprachlich und formal korrekte und faire Inhalte.“ Matthias Haupts Fazit: „Es ist kein Zufall, dass ‚Arme Teufel sind wir alle…’ im Hause Haupt erscheint, auch wenn das geisteswissenschaftliche Buch in unserem Programm durch eine andere Schwerpunktsetzung etwas in den Hintergrund getreten ist. Ich habe Ihnen aber, liebe Frau Röwer, vor vielen Jahren versprochen, dass Ihr Schlussband eine gute Heimat finden soll. Ich hoffe, wir werden dem gerecht. Dass wir dieses gewichtige Werk verlegerisch betreuen durften, empfinde ich als Glück. Ich danke Ihnen und dem Stiftungsrat herzlich für das Vertrauen in unser Haus.“
„Ihnen ist es ja ganz wunderbar gelungen, mit klug-guten Köpfen in Verbindung zu leben.“ (Walter Robert Corti)
Gabriele Röwer über Robert Mächler und seine Briefpartner
Im zweiten Teil der Buchvernissage skizzierte die Herausgeberin, mit Mächler bekannt seit 1982, zunächst Vita und Werk des auch über den Aargau hinaus wirkenden Journalisten und Schriftstellers Robert Mächler, sodann Entstehung und Konzeption des Briefbandes nebst wichtigsten Merkmalen von Mächlers Gespräch mit seinen Briefpartnern. Zuvor erläuterte sie die Wahl des Buchtitels, Beginn eines Mächler’schen Aphorismus aus der Sammlung Irrtum vorbehalten (Haupt, 2002): „ ‚Arme Teufel’ sind wir alle: ‚Teufel’, weil wir am Naturbösen teilhaben; ‚arme’, weil wir als vernunftbegabte, ein Stück weit der Natur entlaufene Wesen unter den naturhaften Übeln in erhöhtem Masse leiden.“ In diesem Aphorismus spiegele sich ein Kern seines Lebens und Denkens. Dem Leiden an der conditio humana mit ihrer naturgegebenen Janusköpfigkeit setzte dieser ethische Utopist schon früh, seit der 1928/29 überstandenen Jugendpsychose, die Vernunft entgegen, um die stets und überall spürbaren Folgen der Unvernunft in Schranken zu halten. Unter dem nachhaltigen Einfluss vor allem der ersten kritischen Kirchengeschichte Karlheinz Deschners Abermals krähte der Hahn (1962) trat der einstige christozentrische Barthianer 1963 aus der reformierten Kirche aus und bekämpfte seither – als Rezen-sent nahezu aller der über 50, in zehn Weltsprachen übersetzten Bücher Deschners bald auch dessen wichtigster Kombattant in der Schweiz – „das Unwesen der Religionen“, durch Kritik sei’s ihrer biblischen Grundlagen, sei’s ihrer institutionellen Ausprägungen, voran in den monotheistischen, zumal christlichen Glaubensgemeinschaften. Ihre „Antworten“ auf nicht beantwortbare „letzte Fragen“ seien für ihn Verrat an der intellektuellen Redlichkeit wie ein Mittel des Klerus zur Gängelung der Massen. Trotz seines „nicht zu unterdrückenden Verlangens“ nach einem „guten Sinn des Weltganzen und nach persönlicher ewiger Teilhabe daran“, um sich der „Gefahren des Nihilismus und der Schwermut“ zu erwehren, habe sich dieser „sinnfreundliche Agnostiker“ jeglicher metaphysischer Spekulation enthalten.
Von über 400 Briefpartnern wählte die Herausgeberin 53 aus – 6 Literaten und Theologen für die Jah-re vor dem Kirchaustritt 1963 (Hermann Hesse, Thomas Mann, Rudolf Borchardt, Leonhard Ragaz, Jonas Fränkel – von der eingebräunten Schweizer Germanistik einst verfemter Spitteler- und Keller-Philologe – sowie Karl Barth), aus den Jahren danach 47 Philosophen (kein einziger Schulphilosoph) und philosophisch Interessierte mit unterschiedlichsten beruflichen und geistigen Interessen, Schweizer und Deutsche bzw. Deutschstämmige (u. a. Karlheinz Deschner und Kurt Marti, Max Brod und Werner Kraft, Walter R. Corti, Hans F. Geyer [Hans Rütter] und Ludwig Hohl, Alfred Fankhauser und Rudolf Jakob Humm, Max Daetwyler, der weltweit mit der weißen Friedensfahne demonstrierte, und Willi Gautschi, Arnold Künzli und Hans Saner, Adolf Muschg und Hans Werthmüller). Das Gespräch mit all diesen, langjährige Freunde darunter, widerlege die Vermutung, dem zurückgezogen im Souterrain eines Einfamilienhauses wohnenden religions- und kulturkritischen Essayisten und Rezensenten, diesem Querdenker und literarischen Anwalt von Außenseitern wie Henri F. Amiel, Friedrich Glauser oder Robert Walser, habe es an, obendrein hochinteressantem, Austausch gefehlt. Weithin schätzte man seine gedanklich wie sprachlich unübertreffbar luziden Kolumnen und Diskussionsbeiträge. Als Biograph Robert Walsers wie als Partner im mehrfach aufgelegten Streitgespräch mit dem Dichter-pfarrer Kurt Marti über Gott und die Welt wurde Mächler auch über die Schweiz hinaus bekannt, an beidem entzündeten sich zahlreiche der im Band versammelten Briefgespräche.
Ziel des Buches sei es vor allem, die Besonderheit des Sinnsuchers Robert Mächler wie auch die eindrucksvolle Vielfalt der Wege zu verdeutlichen, auf denen seine Briefpartner, Gläubige wie Ungläubige, nach einem Sinn ihres Lebens fragen (oder ihn bezweifeln), oft über die Grenzen der Immanenz hinaus, und dabei jeweils auch den konkreten „Sitz im Leben“ dieser Korrespondenzen deutlich werden zu lassen. So sei dieser bebilderte Briefband mit seinem ausführlichen Personenregister, trotz Bemühens um genaue Faktenermittlung in den Einleitungen, Anmerkungen und Exkursen, weniger als Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion denn als eine Art Lesebuch konzipiert, das Anregungen bieten möchte zur Auseinandersetzung mit eigenen und unterschiedlichsten fremden Denk- und Lebensmustern. Alles in allem könne der Band auch gelesen werden als geistiger, zumal religionsphilosophischer Zeitspiegel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – nicht nur für die Deutschschweiz.
Weit mehr als die im Anhang des Buches Genannten wirkten daran mit insbesondere die Adressaten ihrer Buchvorstellung: Alle Mitglieder der Robert-Mächler-Stiftungsrates seit 1997, Matthias Haupt und sein Verlagsteam, Freunde und Briefpartner Robert Mächlers sowie deren Angehörige und Freunde. Ihnen allen dankte die Herausgeberin für vielerlei hilfreiche Unterstützung.
Drei Zeitzeugen gedenken Robert Mächlers
Werner Morlang, Autor, Mitarbeiter von Radio DRS2 und genuiner Kenner Robert Walsers, hatte den Kontakt zu Robert Mächler, den Biographen Robert Walsers, über diesen Dichter gefunden; zeitweilig Mitglied im Stiftungsrat, gab er Mächlers Walser-Aufsätze heraus. Sein Thema: „Robert Mächler und Robert Walser – zwei ungleiche Brüder im Geiste“.
Pirmin Meier, Gymnasiallehrer, ist vielen bekannt als Autor von Büchern u.a. über Klaus von Flüe, Paracelsus oder den Staatsgefangenen Micheli du Crest; 1975 verfocht er als Mitglied des aargauischen Verfassungsrates die Trennung von Staat und Kirche; stets „auf der Suche nach einem Katholizismus der Gesinnung entgegen sklavischer Bindung“. Er referierte über Robert Mächler als „geistige Existenz im Aargau des 20. Jahrhunderts“.
Philippe Dätwyler, Publizist und Autor, früherer Präsident der RMS und Verfasser von je 11 Thesen über Vernunft und Unvernunft anlässlich der einzigen Ehrung Mächlers 1993 in Turgi (abgedruckt als Auftakt zum Briefband), sprach über „Robert Mächler und die Moral“.
Die drei Zeitzeugen schilderten ihre Eindrücke von Mächler:
ein „Nonkonformist“ und „scheuer Utopist“, „eine „schmächtige Erscheinung“, „im Äussern seinem biographischen Gegenstand erstaunlich ähnlich“, einer, der als Walser-Biograph, unter Berücksichtigung des damaligen Forschungsstandes, eine „vorzügliche Arbeit“ geleistet habe: „Ä suberi Büetz“, wie Gerhard Meier gesagt hätte (so Morlang);
ein „Heimlifeisser“, den man in materieller wie in geistiger Hinsicht notorisch unterschätze, ein ernst zu nehmender Religionskritiker, einer, der unter den ihm bekannten Aargauer Landsleuten wie kein zweiter „in vergleichbarem Ausmass eine geistige Existenz“ realisierte, den publizistischen Brotberuf mit humanistischem Engagement verbindend, ein „lebenseinsamer“ und „liebenswerter“, ein „redlicher sauberer geistiger“ Mensch“, dessen „feinsinnige Sprache“ und „geistige Freiheit“ vor allem in den Essays, Aphorismen und Personenporträts nicht geschaffen sei „für ein Pseudo-Geistesleben, in dem nur existiert, was im Fernsehen als Talkshow verbraten wird“ (so Meier, unter Einbeziehung zahlreicher Vertreter des schweizerischen, speziell aargauerischen Geisteslebens);
ein „Findling aus uralter Zeit“ voller „Wachheit und Offenheit, auch Gütigkeit“, ein Einsiedler in mönchischer Askese („Vertiefung, nicht Verzettelung“), bei dem sich anfangs „Geistesgröße und Zimmerenge“ zu widersprechen schienen, einer, dessen scharfe Religions- und Kulturkritik kontrastiere mit der höflich-nobel-kultivierten Schilderung realer Menschen, ein „viel belesenes und viel schreibendes Unikum“, ein intellektuell Redlicher, der sich, konträr zu den „Wendehälsen“ auch in der Zeitungslandschaft, „programmatisch treu“ geblieben sei, seine Kritik der Atomindustrie einbezogen, ein „Moralist im besten Sinne“, Kritiker allen vorschnellen Urteilens mit stetem eigenem „Irrtumsvorbehalt“, einer, der gegen alle Prediger angepredigt habe, „die mit vermeintlich ewigen metaphysischen Wahrheiten hausieren“, ein „skeptischer Agnostiker“, stets eingedenk der Grenzen unserer „Erkenntnis“, einer schließlich, dessen utopisches Ziel eines Zusammenlebens aller Menschen und Völker „in Frieden und Gerechtigkeit“, einer Verminderung des Leidens in und an dieser Welt“ dem Jesus der Bergpredigt nahe komme, trotz aller Ambivalenz von Mächlers Sicht des Nazareners.
Hommage an Karlheinz Deschner von Michael Schmidt-Salomon
Einleitend begründete der Moderator Christoph Bopp (RMS) diesen Programmpunkt. Ein fundamentaler Dissens habe seit Bestehen der von Karlheinz Deschner initiierten Stiftung bestanden. Obwohl er wie für Robert Mächler so auch für die Stiftungsräte die „Idealbesetzung“ für einen Träger des Robert-Mächler-Preises gewesen wäre, konnte Deschner selbst bis zum Schluss einer Nominierung aus naheliegenden Gründen nicht zustimmen. Bopp betonte indes, dem Rest des Stiftungsrates habe die Vorstellung „entschieden Unbehagen bereitet, „die Arbeit der Robert-Mächler-Stiftung abzuschliessen, ohne die wichtige Stellung, die Karlheinz Deschner für Robert Mächler hatte, noch einmal in den Vordergrund zu stellen“. Man sei daher glücklich über die Aufhellung dieses „schwarzen Flecks“ durch eine Hommage an den herausragenden Kirchenkritiker. Michael Schmidt-Salomon, wie Deschner auch in der Schweiz einem größeren Publikum bekannt als Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung und als streitbarer Verfasser des Manifest für einen evolutionären Humanismus und jüngst von Jenseits von Gut und Böse. Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind, sei „auf jeden Fall der geeignete Mann“ für die folgende Hommage an Karlheinz Deschner. Dessen Schlusswort dürfe als angemessener Ausklang der Arbeit der Robert-Mächler-Stiftung erachtet werden. Deren Präsidentin Regula Niederer brachte durch Überreichung eines Blumenbouquets an Karlheinz Deschner den Dank für dessen aufklärerisches Wirken im Namen aller Stiftungsräte zum Ausdruck.
„Juwel der Aufklärung“ und „Deschner-Virus“
In seiner Hommage an Karlheinz Deschner verwies Michael Schmidt-Salomon zunächst auf die Gegensätze in der Lebensweise zwischen sich selbst – glaubenslos, kommunikativ und lustvoll lebend – und Robert Mächler – äußerlich abgeschieden, ein Asket, des transzendenten Sinngrundes auch noch nach seinem Kirchenaustritt bedürftig. Dennoch gebe es zwischen ihnen eine große Gemeinsamkeit: Die „Begegnung mit Karlheinz Deschner, seinen Werken, seiner Person“ habe ihrer beider Leben verändert: „Ohne Deschner wäre Mächler wohl nie zu dem Religionskritiker geworden, den wir heute schätzen. Und auch ich hätte mich kaum der Religionskritik je zugewandt, wäre ich nicht rechtzeitig mit dem ‚Deschner-Virus’ infiziert worden.“ Das aber setze die Bereitschaft voraus, „der Beweisführung zu folgen“ und „sich von der Leidenschaft der Texte anstecken zu lassen“, um danach, wie Mächler und er selbst, wie auch viele andere Autoren, die Deschner lasen, diesen „Virus“ weiter-zugeben – Multiplikatoren mit Anteil an seinem Millionenpublikum.
Robert Mächler sei 1962 so weit gewesen. Damals habe Deschners Buch Abermals krähte der Hahn über Grundlagen und Geschichte des christlichen Glaubens letzte Bindungen daran lösen helfen, vorbereitet durch seine kritische Jesus-Betrachtung in Der christliche Freigeist von 1961. 1963 folgte mit dem Kirchenaustritt ein Schlussstrich.
Michael Schmidt-Salomons Abkehr von der Kirche erfolgte 30 Jahre später. Anfang der 90er Jahre, vorbereitet durch entsprechende Lektüre, welche ihm die Unvereinbarkeit von Glauben und Wissen verdeutlichten, sei er aus der Kirche ausgetreten, hinfort, so schien es, desinteressiert an Religion als einem „komischen Relikt aus unserer kulturellen Evolution“. Doch die Begegnung mit Karlheinz Deschner und seiner Kriminalgeschichte des Christentums in der Trierer Tuchfabrik machte ihn auf neue Weise hellhörig, ohne dieses Zusammentreffen, so Schmidt-Salomons Überzeugung, wäre sein weiterer Weg ziemlich anders verlaufen, gäbe es seine Bücher nicht und auch nicht seine Tätigkeit für die Giordano-Bruno-Stiftung mit all den neuen wichtigen Begegnungen. Beeindruckt sei er damals in Trier freilich nicht nur von den erschütternden Fakten gewesen, „die dieser zerbrechlich wirkende Mann aus der Versenkung des kollektiv Verdrängten ans Tageslicht förderte“, sondern auch „von der Brillanz seiner Formulierungen, der Schärfe seiner Diktion, nicht zuletzt auch von der kompromisslosen Klarheit, mit der er auf die feindseligen Angriffe aus dem Publikum reagierte“. Das sei selten ge-wordene „Streitkultur der Aufklärung“. Die Lektüre der Deschner-Bücher habe ihm weiteren Anstoß gegeben, um sich selbst „mehr und mehr auf dem Gebiet der Religions- und Ideologiekritik zu engagieren“.
Der große, nachhaltige Erfolg der Bücher Deschners – nicht wenige Kirchenaustritte seien nachweislich auf deren Konto gegangen – beruhe, so Schmidt-Salomon, vor allem auf der Fähigkeit, das, was „an dieser Religion, diesem Staat, dieser Gesellschaft, dieser Kunst“ nicht stimme, „prägnant auf den Punkt zu bringen“, „brillant, intellektuell wie emotional ansprechend“ – neben den großen literatur- und kirchenkritischen Werken schon im Roman-Erstling von 1956 Die Nacht steht um mein Haus, woraus der Laudator zitierte, oder, seit 1986, in Deschners Aphorismen. Gleich welcher Gattung seine Texte entstammen, sie seien „ins Literarische transformierte Kompositionen, Wort gewordene Musik“.
Dieser „Wissenskünstler“ habe klar gemacht, „dass man sehr wohl auf der Klaviatur des emotionalen Ausdrucks spielen kann, ohne dabei den Verstand zu betäuben“. Er habe, „jenseits der ausgetretenen Pfade staubiger Wissenschaftsprosa“ von Fachhistorikern, „kritische Rationalität, wissenschaftliche Systematik, humanistisches Ethos, künstlerische Sensitivität und ästhetische Gestaltungskraft“ in genial-erfrischender Weise zu kombinieren verstanden und so „nicht nur die Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst, sondern auch zwischen Wissenschaft und Laienpublikum“ überwunden.
Wer nun Deschner als Religions- und Kirchenkritiker rühme, dürfe nicht seine wichtigen Impulse auch auf anderen Gebieten übersehen, sei’s im Bereich der Wissenschaftstheorie (ethische Fundierung der Wissenschaft), der Geschichtsschreibung (kritischer Umgang auch mit Geschichte im Allgemeinen), der Literatur (literarische Meisterwerke in allen Gattungen), der Literaturkritik (frühzeitige Würdigung maßlos unterschätzter Autoren wie Musil, Jahnn und Broch), der Tierrechtsbewegung (nicht nur literarisches Engagement für den Tierschutz und einen ethisch fundierten Vegetarismus) oder auch, last but not least, der „Streitkultur der Aufklärung“: Deschner habe mit seinem Leben und Werk „eindrucksvoll demonstriert, dass gerade dort ‚aufrechter Gang’ gefordert ist, wo andere reflexartig (also unreflektiert) auf die Knie fallen“.
Er sei somit „stets ein schmerzender Stachel im Fleisch der Zeit“ gewesen, „an dem sich die Diskussion immer wieder neu entzünden musste“. Deschner, dem Aufklärung in erster Linie ein „Ärgernis“ sei („Wer die Welt erhellt, macht ihren Dreck deutlicher“.), habe alle mit dem Projekt Aufklärung verbundenen Risiken kennen gelernt – ein Vorbild für viele, seit 1988 mehrfach ausgezeichnet mit namhaften Preisen. Ein Preis fehle in der beeindruckenden Übersicht seiner Ehrungen: der Robert-Mächler-Preis, dessen keiner würdiger wäre als der Autor der Kriminalgeschichte des Christentums, Initiator der Mächler-Stiftung. Dieser wichtige Preis blieb Deschner aus eigener Entscheidung zwar versagt. Der Laudator zeigte sich jedoch überzeugt, dass es „Unterschiede in den Halbwertzeiten der kulturellen Erinnerung“ gebe: man werde sich an Karlheinz Deschner noch erinnern, „wenn keiner mehr weiß, wer Jürgen Habermas, Boris Becker, Karl Lagerfeld oder Michael Jackson war“.
Denn Deschners Werk gehöre „zu den kostbaren Schätzen der Aufklärung“; es sei ein „Juwel, das auch in Zukunft noch funkeln wird, um die Welt zu erhellen und jenen Dreck zu verdeutlichen, der ansonsten liebend gerne wieder unter den Teppich gekehrt würde“. Karlheinz Deschner werde „als Aufklärer noch lange ein Ärgernis bleiben“, nicht nur wegen der Aktualität seiner Themen, sondern vor allem, weil Schriftsteller seines Formats „seltene Ausnahmeerscheinungen“ seien „im Meer der Mittelmäßigkeit, das uns umgibt“.
Schlusswort von Karlheinz Deschner
Dem Dank an die Stiftungsleitung, den Moderator und den Laudator (für eine „entwaffnend freimütige“ Rede „voller Schwung und Begeisterung“) ließ Deschner, eingedenk vielfacher Bedingtheit eigener „Leistung“, Reflexionen über das Konstrukt „Willensfreiheit“ folgen: Ehrliche Wahrnehmung der Determinierung unseres Seins, unseres Denkens, Fühlens und Tuns, durch unübersehbar viele genetische, biographische und kulturelle Einflüsse und Prägefaktoren könne dieses traditionsbedingt-beliebte Postulat nur ad absurdum führen: „Ist nicht jede Wahl“, fragte Deschner, „die wir zu haben glauben, eine Scheinwahl? Sind wir nicht, dem Augenschein zum Trotz, immer nur so ‚frei’ wie der Schauspieler im Stück? So ‚frei’ wie bei unserer Geburt? Oder bei unserem Tod? Geht es uns nicht, Produkte billionenfacher Kausalkonnexe, in Wirklichkeit wie dem Lauf des Wassers, das seinen Weg nimmt?“ Deschner erinnerte an prominente Gewährsleute dieser Skepsis, von Michael Schmidt-Salomon in seinem jüngsten Werk zitiert, an große Denker wie Spinoza, an Marx und Darwin, La Mettrie und Hume, an Schopenhauer, Nietzsche, Einstein, Freud. Dies vor Augen, sehe er sich nicht zum Stolz auf seine Arbeit berechtigt, die er, „gewiss verkürzt, sehr ungeschützt gesprochen, nolens volens einfach tun musste und mit Hilfe vieler anderer tat“. Deschner zitierte in diesem Zusammenhang auch seinen Freund Robert Mächler, der, „wiewohl in puncto Willensfreiheit moderater“, u. a. bekannt habe, was er am wenigsten verstehe, sei „die Möglichkeit, in einer Welt voll übemächtiger Kausalität sich selber zu bestimmen“. Er nenne uns lakonisch „Lebenslängliche“ alle, „Gefangene“ unserer Existenz.
Mit Mächler teilt Deschner auch, worauf er in diesem Schlusswort sein Augenmerk richtete, die Kritik an den Kulturbetreibern, am tagtäglichen Unterhaltungsschund wie an der gehobenen Kulturproduktion, ja, in gewisser Weise auch an der Kunst selbst. In der egozentrischen Werkbesessenheit habe Mächler einen allen gemeinsamen geistigen Willen zur (geistigen) Macht am Werk gesehen, „von pausenlosem Ehrgeiz berauschte Konkurrenten, wahre ‚Balettmeister der Eitelkeit’“. Mit Mächler versteht Deschner auch den Aufschrei Heinrich von Kleists: „O hätten alle, die gute Werke geschrieben, die Hälfte von diesem Guten getan, es stünde besser um die Welt.“ Die Brisanz von Mächlers Forderung eines „Gesamtkunstwerks Menschheit“, seines Rufs folglich nach Geistigen, „die mehr Lichtbringer für das Volk“ sind als „Feuerwerker für die Elite“, begreift man nach Deschner nur „angesichts einer in wahnwitzigen Händeln sich fortwälzenden Weltgeschichte, angesichts eines kaum glaublich grassierenden sozialen Elends, einer Welt, in der wir voll bewusst Millionen um Millionen Menschen jahraus jahrein, Jahrzehnt und Jahrzehnt kaltblütig verhungern lassen“. Genau besehen, so Deschner, war Kultur immer, in Antike, Mittelalter und Neuzeit, „der dünne Firnis nur auf der Fratze ungeheurer Barbarei“, „manifest am scheußlichsten“, wie auch von Mächler angeprangert, „ im Umgang mit den Tieren, unser weitaus größtes Verbrechen seit fast unendlichen Zeiten, und noch heute Tag für Tag begangen, von Christen wie Nichtchristen gleichermaßen“. Und mit Mächler steht auch Deschner „auf der Seite der Armen, der Unterdrückten, Betrogenen“, er stimmt Mächler zu, der etwa die enormen Summen für Weltraumforschung unsittlich nennt, solange Millionen Menschen auf Erden hungern, der in psychiatrischen Kliniken nur geisteskranke Zwerge sitzen sieht und hinzufügt: „Die Riesen laufen frei herum in Politik, Wirtschaft, Literatur und Kunst.“
Den „religiösen Riesen“ hat Deschner mit Mächler besondere Beachtung geschenkt. Zwar hätten sie, so Deschner, über Gottvater und Sohn anders gedacht, aufgezeigt in seinem Mächler-Auswahlband Zwischen Kniefall und Verdammung. Robert Mächler – Ein gläubiger Antichrist; zu seiner eigenen agnostischen Position stehe alles Wesentliche im Essay Warum ich Agnostiker bin (neu abgedruckt in Oben ohne. Für einen götterlosen Himmel und eine priesterfreie Welt). Über die institutionellen Reli-gionen aber, voran die christlichen Kirchen, seien sie seit Mächlers Kirchenaustritt 1963 stets einer Meinung gewesen – 1993 von Mächler unter dem (den Gästen vorliegenden) Titel Wofür ich gelebt haben möchte, auch mit Hinweis auf göttliche Steinigungsgesetze im Alten, auf Höllendrohungen im Neuen Testament, kurz und treffend zusammengefasst: „Von allen Religionen hat das Christentum die übelsten Früchte hervorgebracht. (...) Ihr Gutes wurde bloss in Einzelnen wirksam, ihr Schlechtes war der Ursprung der grössten, verbrechenreichsten Geistestyrannei der Geschichte.“
Der Beifall für diese Rede war besonders lang und andauernd, etliche äußerten sich hernach betroffen.
Dank und Verbschiedung
Der Moderator Christoph Bopp fügte seinem Dank an alle Beteiligten den Hinweis bei auf die bis in den Dezember hinein zu besuchende Robert-Mächler-Ausstellung (Staatsarchiv in Aarau: Buchenhof, Entfelderstrasse 22; Öffnungszeiten Di-Fr 8.30-17 Uhr, Sa 8-11.45 Uhr) sowie auf die Website der Robert-Mächler-Stiftung, wo demnächst alle Reden im Wortlaut abrufbar sind; Interessenten stehen sie auch in broschierter Form zur Verfügung. Der Apéro mit Brot und Wein von einem Bauernhof aus der Umgebung lud ein zum regen Gedankenaustausch über diese dicht gefüllten zweieinhalb Stunden eines denkwürdigen Tages in der Bäderstadt Baden bei Zürich.
G. R.