Ethik aus Individualität und Freiheit

Polyzentrische Selbstorganisation

Dies ist eine neue Sichtweise im Verhältnis von Individuum und Kollektiv. Kollektive Ordnung muß sich aus dieser Sicht als spontanes Resultat der Interessen und Vorlieben der Individuen ergeben. Wir haben hier eine Umstrukturierung der Etablierung der Gesellschaft. Die hedonistische Gemeinschaft beruht also auf einer polyzentrischen Selbstorganisation und nicht auf einer hierarchischen Fremdorganisation. Es gibt keine von oben vorgegebene gesellschaftliche Ordnung der elitären Vernunft (Platon) und keine theonome Moralinstanz (Christentum). Aus Epikureischer Sicht muß die Gesellschaftsordnung immer der Kritik ausgesetzt werden. Der Hedonismus hat also eine durchgehend subversive Funktion und die Kritik gegen den Hedonismus war nicht primär gegen die sexuellen Freiheiten gerichtet, sondern gegen das Element der Subversion. Der Hedonist ist kritisch gegenüber den staatlichen Organen und der Gesellschaftsordnung, die er permanent in Frage stellen möchte. Insbesondere ist er kritisch gegenüber allen staatlichen, religiösen und gesellschaftlichen Regelungen, welche die Freiheit des Einzelnen beschränken wollen.

Dekonstruktion des asketischen Ideals

Man kann sich heute fragen: kann das hedonistische Modell in eine moderne Gesellschaft implantiert werden, d.h. kann es ein in diesem Sinne nicht repressives Gesellschaftssystem geben, eine hedonistische Ordnung ohne bürgerlichen Ritualismus, ohne die „Amoral der Ekstase“ (L. Böllinger), ohne Sittentabus? Der französische Philosoph Michel Onfray plädiert für eine Aktualisierung der libertären Zwischenmenschlichkeit und eine Dekonstruktion des asketischen Ideals. Ein materialistischer Hedonismus sollte die platonisch-christliche Spiritualisierung des Leibes rückgängig machen. Wenn man den Ausdruck „Libertinage“ benutzt, ist damit nicht die Anarchie, sondern es ist nur die Freiheit von nicht notwendigen sittlichen Autoritäten gemeint, die Konventionen zementiert haben, die für das glückliche Zusammenleben der einzelnen Individuen in der Gemeinschaft nicht notwendig sind.

Ergänzend zu den Analysen von Onfray betont Kanitscheider das humanistische Solidarprinzip, sowie den aus epikureischer Sicht definierten Begriff der Freundschaft.
Zusammenfassend bedeutet eine Ethik aus Individualität und Freiheit:

  • Handlungsorientierung auf empirischen anthropologischen Konstanten aufbauen.
  • Der Einengung durch das Kollektiv widersetzen, wo dieses das Individuum aus Gründen der Selbstüberhebung und des Eigennutzes unterdrückt.
  • Dem Terror einer Metaphysik der Endzeit entfliehen, denn das Schicksal eines Menschen entscheidet sich hier und jetzt.
  • Den Zielpunkt des Lebens in der Freude des nächsten Augenblicks suchen.
  • Das gelungene Leben besteht im Glück, das das Erleben der erfüllten Existenz gewährt.
  • Der Sinn des Lebens ist aus hedonistischer Sicht das Leben selbst.

Im Anschluß an den Vortrag beantwortete Prof. Kanitscheider Fragen aus dem Publikum.

Der Abend fand danach in einem Mannheimer Restaurant bei Bier und Wein einen gemütlichen Ausklang.

 

Das Thema des Vortrags wird von Prof. Kanitscheider in seinem neuen Buch
„DAS HEDONISTISCHE MANIFEST“, Hirzel-Verlag 2011, ausführlich behandelt.

In der Veranstaltungsreihe der Säkularen Humanisten Rhein-Neckar stehen als nächstes folgende Lesungen/Vorträge an:


- 02.04.2011: Michael Schmidt-Salomon & Leas Salomon
„Leibniz war kein Butterkeks“ / Heidelberg, Stadtbücherei, Poststr.15, 20 Uhr
- 06.05.2011: Rüdiger Vaas
„Hawking, Gott(?) und der Urknall“ – Wie unser Universum entstand. Heidelberg, Deutsch-Amerikanisches-Institut (DAI), 20 Uhr