FRANKFURT/M. (hpd/sh) Die diesjährige Vortragsreihe der Säkularen Humanisten Rhein Main (in Zusammenarbeit mit DiKOM e.V.) im Saalbau Bornheim / Frankfurt am Main, schloss am 18.11.2011 mit einem Vortrag von Prof. Dr. Kanitscheider über die hedonistische Philosophie.
Bericht und Kommentar von Jochen Beck
Ich erinnere mich noch gut, wie während der Tagung zum Welthumanistentag in Nürnberg - am Evolutionstag des Jahres 2008 - der Philosoph Kanitscheider einen Vortrag zum Thema Hedonismus: Die Idee des gelungenen Lebens, hielt. Anschließend fragte ein Zuhörer, ob Hedonismus nicht dazu führen würde, dass alle nur noch Drogen nehmen wollten und niemand mehr Kinder aufziehen würde. Kanitscheider meldete zunächst Zweifel an, ob denn tatsächlich Drogenkonsum zum Inbegriff hedonistischer Freuden gehören würden, wenn man mal von abendlicher Entspannung bei einem Glas Wein absieht. Die Behauptung eines Gegensatzes zwischen Hedonismus und Kindererziehung machte ihn dagegen völlig ratlos. „Also, ich habe vier Kinder! Mich hat das immer gefreut.“
Diesmal hatte die Frankfurter Regionalgruppe wieder einen Referenten aus den Reihen der Beiräte der Giordano-Bruno-Stiftung verpflichtet. Professor Kanitscheider ist einer der Philosophen, die auch gleichzeitig den Naturwissenschaften nahestehen. Vielen Angehörigen der freigeistigen Szene ist er durch Veröffentlichungen wie: Die Materie und ihre Schatten, Entzauberte Welt und Das Hedonistische Manifest bekannt. Zu den Fachgebieten des von 1974 bis 2007 an der Gießener Justus-Liebig-Universität lehrenden Gelehrten gehören: Wissenschaftstheorie, Naturphilosophie, Kosmologie, begriffliche Analyse von Relativitätstheorie und Quantenmechanik, aber auch die Fundierung einer naturalistischen Ethik. Eben diese letztere Fragestellung führte den Referenten einst zum Hedonismus, der Philosophie der Freude, deren Ursprung, ebenso wie der der Philosophie überhaupt, in der griechischen Antike liegt.
Zuallererst war es Demokrit von Abdera, der sich zwar noch nicht eindeutig als Hedonist positionierte, aber das erste bekannte entsprechende Basisaxiom formulierte: „Das Beste für den Menschen ist es, sich so viel als nötig zu freuen und sich so wenig als möglich zu betrüben.“ Freilich gelten erst Aristippos von Kyrene (435 – 360 v. u. Z.) und Epikur (ca. 340 – 270 v.u.Z.) als Begründer hedonistischer Systeme (Kyrenaiker, Epikureer). Die Erlangung von Glückseligkeit und Freude waren allerdings auch für andere antike Schulen Zielpunkte der Ethik. Weder Platon noch Aristoteles hätten hier widersprochen. Sogar Masochisten sind eigentlich lustorientiert, das lustvolle Erlebnis ist für sie eben der Schmerz.
Die gegenteilige Position eines gezielten Strebens nach Schmerz könnte man als „Agonismus“ bezeichnen und eine solche ist kaum in der Ideengeschichte auszumachen, obwohl in deren Verlauf alles einmal offeriert wurde. Fündig wird man durchaus. Eines der wenigen Bespiele sind christliche Flagellantenkreise, welche die schmerzliche Nachfolge Christi heroisierten und sich in Selbstkasteiungen übten. Dieses Ideal ist noch heute im Umfeld des Opus Dei lebendig. Nicht-hedonistische Denkungsarten treten also in der Regel nicht in Form eines Agonismus auf. Vielmehr sehen sie das Glücksstreben in der Unterordnung unter paternalistische Autorität angesiedelt, sie relativieren die sinnliche Lust zu Gunsten geistiger Freuden oder kombinieren Askese im Diesseits mit dadurch zu erlangendem vermeintlichem Glück im Jenseits.
Der Hedonismus dagegen betont die Autonomie des Individuums. Der Einzelne entscheidet selbst darüber, worin er sein Glück verwirklicht sieht und lässt seinem Streben nur durch die Autonomie seiner Mitbürger Einhalt gebieten. Kanitscheider weist in seinen Schriften darauf hin, dass Aristippos in der Überlieferung als Pionier einer Ethik der Freiheit in Erscheinung tritt, so konterte dieser einst - laut Xenophon - die von Sokrates provokativ aufgestellte Dichotomie, wonach ein Mensch nur zwischen den Alternativen Herrschaft und Knechtschaft wählen könne, beides aber durch Verantwortungslast und Fremdbestimmung der Lust entgegensteht - mit einem dritten Weg der Freiheit des Bürgers als wahren Weg zur Glückseligkeit. So mündet die hedonistische Ethik in der politischen Ideengeschichte in einen Weg des Liberalismus und Antipaternalismus. In der Gesetzgebung sieht sie nur Verbote lustvoller Handlungen als begründungsbedürftig an. Dabei wird der Hedonist den Mitbürgern die gleiche Freiheit zubilligen, um nicht in seinem eigenen, gleichwertigen Anspruch hinterfragt zu werden. Die staatliche Gemeinschaft ist dem Hedonisten nicht Selbstzweck, sondern Instrument zum Selbstschutz. Er ist nicht zum Untertanen geeignet, sondern nur zum kritischen, freiheitsliebenden Weltbürger, der dem eigenen Staat nur insoweit „dient“, wie es die Aufrechterhaltung von dessen Wächterfunktion erfordert.
Kanitscheider zeigte auch auf, wie der Hedonismus seit der Antike immer wieder als eine Ethik des Egoismus diffamiert wurde. Dabei ist er - wie sich hier zeigte - eher ein Denkansatz, der den Herrschenden allerdings wenig Freude macht.
An der Stelle möchte ich hinzufügen, dass sich ein Gewaltherrscher meines Wissens nach nie zu einer hedonistischen Konzeption bekannt hat. Es scheint mir auch nicht vielversprechend zu sein, Prinzipien der Lustmaximierung zu propagieren und dann von seinen Bürgern zu erwarten, dass sie in ein fremdes Land einfallen, um dort z.B. bei 20 Grad unter null Moskau zu belagern.
Ein Überlebender des weiteren Umfeldes der „Weißen Rose“ sagte mir 1994, auf die Frage nach den Motiven seines „selbstlosen“ Engagements, abwehrend: „Man musste damals sowieso sein Leben riskieren. Wir wollten es dann nicht für Hitler tun.“