Linksextreme – unterschätzte Gefahr?

(hpd) Die beiden Politikwissenschaftler Harald Bergsdorf und Rudolf van Hüllen liefern in ihrem Buch eine Gesamtdarstellung zu diesem politischen Lager, wobei sie sich ausführlich mit den dort präsenten Befindlichkeiten und Denkstrukturen beschäftigen. Es handelt sich um ein anregendes, informatives und wichtiges Buch mit reflexionswürdigen Ausführungen zu Befindlichkeiten und Motiven für das Engagement im Linksextremismus.


Während in den 1970er und 1980er Jahren durch die Aktivitäten der DDR-gesteuerten DKP und die Anschläge linksterroristischer Gruppen „Linksextremismus“ in Öffentlichkeit und Wissenschaft von großer Bedeutung war, schwand das Interesse daran ab den 1990er Jahren auch und gerade durch die Herausbildung stärkerer Bedrohungen durch den Islamismus und Rechtsextremismus. Ganz unterschiedliche Phänomene wie die Gewalttaten von Autonomen und die Debatte um die Partei „Die Linke“ haben das Thema jüngst aber wieder in den Fokus des politischen und wissenschaftlichen Interesses gerückt. Auf diese beiden Dimensionen spielen die Politikwissenschaftler Harald Bergsdorf und Rudolf van Hüllen im Untertitel ihres gemeinsamen Buchs „Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr? Zwischen Brandanschlag und Bundestagsmandat“ an. Es ist nach ihren Worten in „erster Linie für die politische Bildung konzipiert, konzentriert es sich auf Mentalitäten, Motive und Milieus linksextremer Gruppen und Parteien“ (S. 7).

Zunächst nehmen die beiden Autoren einer Klärung des Begriffs „Extremismus“ vor und widmen sich danach ausführlich den Befindlichkeiten und Denkstrukturen im Linksextremismus, wobei es um Anarchismus und Kommunismus, Menschen- und Selbstbilder, Ästhetik und Milieus geht. Dem folgt ein Überblick zu Organisationen, Strategien und Politikfelder bezogen einerseits auf die Autonomen als Ausdruck des Anarchismus und andererseits auf DKP, MLPD und Trotzkisten als Repräsentanten der Kommunisten. Danach präsentieren Bergsdorf und van Hüllen relativ ausführliche Darstellungen und Kommentare zu der Partei „Die Linke“, die in einer „Grauzone“ zwischen Demokratie und Extremismus verortet wird, sei sie doch „weder eine einwandfrei extremistische noch eine klar demokratische Partei“ (S. 92). Und schließlich findet man noch eine Darstellung zu Argumentations- und Agitationstechniken von Linksextremisten sowie eine Übersicht zu Argumenten gegen linksextreme „Stammtischparolen“.

Die Autoren machen deutlich, dass das gemeinte Lager ein ambivalentes Bild vermittele: „Die lärmende und gewalttätige Autonomen-Szene kann zwar die öffentliche Sicherheit gefährden, mangels strategisch angelegter Konzepte für eine ‚Systemtransformation’ keinesfalls jedoch die Verfassungsordnung. Sie taugt allenfalls als ‚bewaffneter Arm’ für langfristig arbeitende linksextreme Strukturen, die an einer Eskalation sozialer Konflikte ... interessiert sind. Andererseits sind gerade die klassischen ML-Organisationen dabei, auszusterben. An ihre Stelle tritt mit der ‚Linken’ eine vielgesichtige Sammlungspartei, die wie ein Gravitationszentrum auf linksextreme Protagonisten, Ideen und Mentalitäten wirkt. Diese Partei ist nicht eindeutig, doch ihr interner Pluralismus umspannt nur zum Teil politische Strömungen, die zwar links, ... , aber nicht extremistisch sind. Der übrige Teile ... stellt sich als gedeihliches Zusammenwirken von Stalinisten, SED-Nostalgikern, Traditionskommunisten, Trotzkisten und gewaltbereiten Autonomen dar ...“ (S. 179f.).

Da die letzte Gesamtdarstellung zum Linksextremismus mit politikwissenschaftlichem Anspruch 1996 erschien, ist allein schon die Publikation einer solchen Arbeit auf Basis des aktuellen Informationsstandes begrüßenswert. Das Kapitel zu den Denkstrukturen im Linksextremismus beeindruckt durch die inhaltlich kritische Analyse einschlägiger Ideologien und Strukturen, fehlte so etwas doch in der bisherigen Literatur zum Thema. Etwas zu knapp gehalten sind die Ausführungen zu den Autonomen, hätte doch deren Geschichte und Politikverständnis („Politik der ersten Person“) größere Aufmerksamkeit verdient. Sie wird dafür der Partei „Die Linke“ zuteil, wobei man sie in einer „Grauzone“ verortet, gleichzeitig aber meint, sie „will das freiheitliche Gemeinwesen beseitigen“ (S. 116). Die Argumente gegen die „Stammtischparolen“ gegen Ende irritieren teilweise, da sie bezogen auf sozial- und wirtschaftspolitische Fragen doch mitunter ähnlich einseitig ausgerichtet sind. In der Gesamtschau handelt es sich aber um ein anregendes und wichtiges Buch.

Armin Pfahl-Traughber

 

Harald Bergsdorf/Rudolf van Hüllen, Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr?, Paderborn 2011 (Ferdinand Schönigh-Verlag), 200 S., 24,90 €