"Upfasting": Fasten neu interpretiert

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Fasten hat neben dem Gesundheitsaspekt auch eine starke religiöse Komponente, welche der US-Außenminister Marco Rubio am Aschermittwoch, dem Beginn der Fastenzeit, durch das Aschenkreuz auf seiner Stirn wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt hat. Können dem humanistisch geprägte Menschen eine Alternative entgegensetzen? Im Folgenden wird der Versuch unternommen, das Fasten hedonistisch weiterzuentwickeln.

Die Grundidee des Fastens ist Verzicht, ursprünglich auf Speisen und Getränke, später wurde es ausgedehnt auf weitere, den Menschen liebgewordene Dinge wie Süßigkeiten oder Alkohol. Später wurden auch exotische Ansätze wie SMS-Fasten oder WhatsApp-Fasten populär.

Das Fasten – in all seinen Ausprägungen – kann Vorteile haben. Sei es die Leibspeise, der Lieblingssong oder ein Glas Single Malt-Whisky – zu oft konsumiert, stellt sich Sättigung und Langeweile ein. Ein zeitweiser Verzicht kann die Freude daran zurückbringen.

Christentum: Misanthropie und Buße

Der religiöse Ansatz ist ein anderer – es geht weder um Gesundheit noch um die Steigerung der Lebensqualität durch den zeitweiligen Verzicht, sondern um Buße. Die Bibel sagt dazu: "Tut nun Buße und bekehrt euch, dass eure Sünden getilgt werden" (Apostelgeschichte 3,19).

Wenn Menschen sündigen, ist die Buße laut Bibel notwendig. Die unzähligen Gebote und Verbote im Christentum machen es faktisch unmöglich, nicht zu sündigen. Zudem hat die evangelische Kirche ein sehr misanthropisches Menschenbild. Martin Luthers Bibelübersetzung formuliert es unmissverständlich: "[…] das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf" (1. Mose 8,21). Egal, wie viel Mühe sich der Mensch gibt, es wird ihm nahegelegt – ja sogar als christliche Selbstverständlichkeit betrachtet –, dass er sich selbst bestrafen muss.

Auch in der katholischen Kirche ist Buße die theoretische Begründung für das Fasten. Die restriktiven Fastenregeln werden den Laiinnen und Laien aufoktroyiert, wohingegen die Theologen (hier ganz bewusst nur das Maskulinum) schon mal kreativ die Regeln umgehen. Ein bekanntes Beispiel ist das Fastenbier, welches Mönche im Frühmittelalter brauten. Es hatte besonders viele Kalorien, wodurch es ihnen leichter fiel, in der Fastenzeit auf so manche feste Nahrung zu verzichten. Auch für Tage, an denen kein Fleisch erlaubt war, gab es eine Lösung: Die Taxonomie der Biologie wurde umgeschrieben und Biber kurzerhand bei den Fischen einsortiert.

Außerhalb des Christentums gewinnt eine weitere religiös motivierte Fastentradition in Deutschland an Bedeutung: der Ramadan. Selbst weltliche Fastentipps, die die körperliche und seelische Gesundheit adressieren, driften oft ins Esoterische ab und können religiöse Züge annehmen.

Sich selbst des Bestrafens willen zu bestrafen, bringt weder das Individuum noch die Menschheit weiter. Wir haben genug echte Probleme in der Welt, um die wir uns kümmern müssen, anstatt unsere Energie an Dinge zu verschwenden, die angeblich ein höheres Wesen von uns verlangt, damit es uns weiter wohlgesonnen bleibt.

Mit philanthropischer Sicht etwas Positives entgegensetzen

Auch die Kirchen haben erkannt, dass reine Selbstgeißelung in unseren Zeiten schwer zu vermitteln ist und möchten mit Ihren Fastentipps die Welt verbessern. Die evangelische Kirche in Deutschland propagiert seit einigen Jahren das Klimafasten. Ist das wirklich ein Paradigmenwechsel oder nur alter Wein in neuen Schläuchen? Auf der aufwendig gestalteten Internetseite werden ausführliche Handlungsempfehlungen gegeben, die zum Teil darauf abzielen, unseren CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Bei vielen Tipps ist die alte Denkweise aber noch präsent und wird nur hinter euphemistischen Formulierungen versteckt: "IN DIESER WOCHE blicke ich nach vorne und ermutige andere – im Wissen um meine eigenen Schwächen." "Böse" wird hier durch "Schwächen" ersetzt, ansonsten bleibt es bei der nicht hinterfragten Aussage, dass alle Menschen Schwächen haben respektive böse sind.  Natürlich darf auch Gott bei der Lösung der Klimakrise nicht fehlen: "IN DIESER WOCHE nehme ich mir Zeit nachzuspüren, wo Gottes gute Botschaft mich durch meine Ängste hindurchführen wird." Ist hiermit gemeint: Vertraue auf Gott, dann wirst du keine Angst mehr haben? Mit solchen Ratschlägen werden wir die Klimaerwärmung mit Sicherheit nicht in den Griff bekommen.

Humanistisch geprägte Menschen sollten das Feld nicht kampflos Weltanschauungen überlassen, die sich auf Übernatürliches berufen. Wie können wir mit einer philanthropischen Sicht dem etwas Positives entgegensetzen? Fangen wir mit dem Begriff "Fasten" an. Er ist historisch untrennbar mit der Religion verbunden und damit vorbelastet. Jeder kennt Upcycling, die bessere Form des Recyclings, bei dem aus Abfall etwas Höherwertiges hergestellt wird. Greifen wir die Idee auf und definieren "Upfasting" als die bessere Form des Fastens. Upfasting ersetzt die quantitative Reduktion einer liebgewordenen Angewohnheit durch eine qualitative Steigerung derselben.

Natürlich müssen wir Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen. Aber jeder einzelne Mensch hat auch das Recht auf ein erfülltes Leben, darf seinen ganz persönlichen Neigungen nachgehen und steht nicht in der Pflicht, jede Handlung vor einem höheren Wesen oder der gesamten Menschheit zu rechtfertigen. Upfasting soll ermutigen, die angenehmen Dinge des Lebens auf ein neues Niveau zu heben: Sie schauen sich gerne Sport im Fernsehen an? Treten Sie einem Verein bei und treiben Sie selbst Sport! Mallorca ist ihre bevorzugte Urlaubsinsel? Lernen Sie Spanisch, Sie brauchen nur eine App auf Ihrem Smartphone zu installieren und können sofort beginnen! Sie trinken gerne ein Gläschen Wein? Nehmen Sie an einem Weinseminar teil, Sie sind dann nicht nur Weinliebhaber, sondern auch Weinkenner!

Gepflegter Hedonismus statt verherrlichter Entsagung – die Dinge des Lebens wertschätzen und nicht ablehnen, das ist humanistisches Upfasting.

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