Die neuen Gegenaufklärer

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Christoph Lammers

TRIER. (hpd) Am vergangenen Donnerstag fand an der Trierer Universität ein Vortrag über „Christlichen Fundamentalismus in Deutschland“ mit dem Sozial- und Politikwissenschaftler Christoph Lammers statt. Tenor: Die antimodernen Positionen erhalten Zuspruch und staatliche Legitimation.

Die Veranstaltung begann mit Fragen an das Publikum. Der Sozial- und Politikwissenschaftler Christoph Lammers erkundigte sich, ob jemand der Anwesenden beispielsweise Tabak oder Alkohol konsumiere oder wer gerne in die Kneipe gehe. Erwartungsgemäß konnten sich die meisten Zuhörer bei mindestens einer der Fragen zustimmend melden. Was es mit den Fragen auf sich hatte, zeigte die daran anschließende Darstellung eines Plakats einer evangelikalen Gruppierung. Neben Süßigkeiten, modischer Kleidung, Selbstbefriedigung und Homosexualität wurden dort die zuvor angesprochen Dinge und Verhaltensweisen als Indizien für ein Leben in „Sünden-Sklaverei“ bezeichnet. Es wurde also klar: Laut Meinung der Evangelikalen führt ein Großteil der Veranstaltungsteilnehmer – als auch der Referent - ein Leben in Sünde.

Mit einer bewusst groben Begriffserklärung ging es dann weiter. Fundamentalismus sei „der Versuch, Modernisierungsprozesse aufzuhalten und rückgängig zu machen.“ Vor allem die wortgetreue Auslegung religiöser Schriften bilde die Grundlage für fundamentalistische Überzeugungen, deren Ursachen vielseitig sein können. Neben gesellschaftlichen Ursachen, wie die Deregulierung des Religionsmarktes und die Säkularisierung der Gesellschaft, seien es auch innerreligiöse Gründe, die dem christlichen Fundamentalismus förderlich sind.

Der christliche Fundamentalismus zeichne sich außerdem durch bestimmte Charakteristika aus. Beispielsweise bildeten der Glaube an die Unfehlbarkeit der Bibel und ein eschatologisches Weltbild Elemente dieser Denkrichtung. Trotz solcher antimoderner Positionen sei das Auftreten der Fundamentalisten modern.

In seinen folgenden Ausführungen setzte Christoph Lammers den Fokus des Vortrags auf den Evangelikalismus. Diese theologische Ausrichtung innerhalb des Protestantismus ist die weltweit am stärksten wachsende religiöse Gemeinschaft. Die Anzahl der Anhänger in Deutschland wird auf 1,3 bis 1,5 Millionen geschätzt. Weltweit machen Evangelikale circa 20 Prozent der ChristInnen aus.

Doch inwiefern ist der christliche Fundamentalismus ein für Deutschland relevantes Thema? Dass fundamentalistische Positionen sehr stark in der Gesellschaft verankert sind, veranschaulichte der Referent an verschiedenen Beispielen. 2010 verschickte etwa die saarländische Lebensschutz-Initiative „durchblick e.V.“ 300.000 Plastikembryos an viele Haushalte. Die Aktion wurde von diversen Gewerkschaften und Organisationen kritisiert. Interessant war demgegenüber besonders die Stellungnahme der CDU-Politikerin und ehemaligen Familienministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zur Aktion. „In einer Gesellschaft läuft einiges schief“, so Kramp-Karrenbauer, „wenn sich die Öffentlichkeit nicht mit 1.278 Abtreibungen allein im Saarland beschäftigt, sondern über eine Kampagne zum Thema aufregt.“

Als weiteres Beispiel unter vielen wurde auf die Bibelschule Brake in Lemgo eingegangen. Die 1959 gegründete evangelikale Missionsschule bildet SchülerInnen in dreijähriger Ausbildung unter bibeltreu-konservativer Orientierung zu Missionaren aus. Erstaunlich dabei sei, dass zwar keine staatliche Akkreditierung vorliege, die SchülerInnen der Bibelschule dennoch berechtigt sind BAföG zu beantragen. Die Ausbildung von jungen Menschen zu Missionaren wird also durch staatliche Hilfe unterstützt.

Abschließend thematisierte Christoph Lammers den Umgang mit Kritik an christlichem Fundamentalismus. Exemplarisch wurde unter anderem ein kritischer Bericht („Sterben für Jesus – Missionieren als Abenteuer“ vom 04. August 2009) des Fernsehmagazins Frontal 21 genannt, der sich mit der Missionierung Andersgläubiger im Nahen Osten auseinandersetzte. Schon im Vorfeld habe es Versuche gegeben, die Ausstrahlung des Berichts zu verhindern. Da das ZDF den Bericht trotzdem sendete, gab es mehrere Strafanzeigen wegen Volksverhetzung. Dies sei nur ein Fall, bei dem deutlich werde, wie sich fundamentalistische Gruppen gegen Kritik immunisierten.

Der Vortrag von Christoph Lammers mündete schließlich in dem Fazit, dass fundamentalistische Positionen zunehmend als legitime Alternativen angesehen werden. Zudem sei eine Zunahme an Missionierungen, wie zum Beispiel durch ProChrist und das Christival festzustellen. Anschließend stand der Referent den Zuhörern für weitere Fragen zur Verfügung.

Der von der Jenny-Marx-Gesellschaft und der Hochschulgruppe Linke Liste organisierte Vortrag war gut besucht. Die Anzahl der Zuhörer zeugte jedenfalls von regem Interesse an dem Thema. Ein betroffenes Ehepaar hatte sogar den weiten Weg von Siegen auf sich genommen, um der Veranstaltung beizuwohnen.

Florian Chefai