Was haben Rechtsextremismus und Islamischer Fundamentalismus gemeinsam?

Die Feinde der Offenen Gesellschaft

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Dr. Dr. Sebastian Schnelle bei seinem Vortrag in Frankfurt am Main. Irrationalismus gibt Halt in einer für manche unüberschaubar gewordenen Welt.
Dr. Dr. Sebastian Schnelle

Die Frage, was Rechtsextremismus und islamischer Fundamentalismus gemeinsam haben, wurde am 25. Oktober in Frankfurt am Main – Gastgeber war der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) Frankfurt/Gießen – und am 26 Oktober in Augsburg – hier lud der örtliche Bund für Geistesfreiheit (bfg) ein – von Dr. Dr. Sebastian Schnelle in einem Vortrag behandelt und im Anschluss diskutiert. Die conclusio, die das Publikum aus dem Vortrag des in Physik wie in Philosophie promovierten Schnelle ziehen konnte, lautet: Auf den ersten Blick haben beide Bewegungen scheinbar nicht viel, auf den zweiten aber so einiges gemeinsam. Vor allem teilen sie die Ablehnung der Offenen Gesellschaft und der Moderne.

Der aktuelle Rechtsextremismus – die sogenannte "Neue" Rechte, eine Selbstbezeichnung die von Schnelle in Frage gestellt wird ("Was ist hier neu?") – wie auch die aktuelle Ausformung des Islamismus sind keine Erfindungen unserer Zeit. Beide Phänomene entspringen ähnlichen zeitgeistlichen Strömungen, deren Anfänge ungefähr 100 Jahre zurückliegen und die eine Ablehnung der Moderne darstellen.1 Schnelle grenzte seine Betrachtung vor allem auf die Zeit des radikalen Bruchs ein, der auf den Ersten Weltkrieg folgte. Die wirtschaftlichen und politischen Folgen des Krieges brachten einen tiefgreifenden Wandel, der viele bis dahin für stabil gehaltene gesellschaftliche Strukturen und Sicherheiten zusammenbrechen ließ – und zwar in Europa wie auch in der islamischen Welt. Beiden Bewegungen gemeinsam ist bis heute die Suche nach einer einfachen Alternative zur Offenen Gesellschaft in Form geschlossener Denksysteme.

Angefangen bei den okkulten Strömungen Ende des 19. Jahrhunderts über die "Konservative Revolution" in der Zeit zwischen den Weltkriegen bis hin zum Ethnopluralismus der "Neuen" Rechten zeigte Sebastian Schnelle anhand ausgewählter Personen und Zitate die historischen Zusammenhänge auf. Ob Blavatsky, Steiner, Lanz von Liebenfels, Jünger, Schmitt, de Benoist, ob al-Banna, Qutb, Faradsch, al-Suri und Weitere: Beide Bewegungen eint der Wunsch, zu einer auf traditionellen Werten basierenden Gesellschaftsform zurückzukehren, die von der Moderne mit ihrem Fokus auf das Individuum und dem skeptischen, wissenschaftlichen Denken "zerstört" worden wäre. Abgelehnt werden Liberalismus, Parlamentarismus, die Werte der Aufklärung und Wissenschaft (kritisches Denken, Ablehnung von Dogmen, "Wir irren uns empor"); die "eigene" Gruppe und deren Dogma, eine kollektive Identität, werden über das Individuum gestellt.

Bedenklich ist die nur wenig angemessene Reaktion der Politik, denn die Akteure beider Strömungen machen, wie einst Hitler mit seinem Werk "Mein Kampf", kein Geheimnis aus ihren Gedankengängen wie auch Strategien. Im Gegenteil, diese werden über Bücher, Zeitschriften und Foren offen kommuniziert. Man muss sich allerdings die Mühe machen, sich damit zu befassen, eine, wie Schnelle anmerkt, nicht unbedingt vergnügliche Arbeit. Aber eine unerlässliche, wenn die Offene Gesellschaft wirkungsvoll gegen ihre Feinde verteidigt werden soll.

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Die dabei eingesetzten Strategien sind teils äußerst manipulativ. So propagieren laut Schnelle dschihadistische Gruppen brutale Anschläge in westlichen Ländern mit der erklärten Absicht, durch die schrecklichen Bilder eine Überreaktion zu provozieren. Wenn in der Bevölkerung nach solchen Attentaten die Ablehnung "der Muslime" als Gruppe zunimmt, so das Kalkül der Dschihadisten, werden diese sich vermehrt einem fundamentalistischen Islam zuwenden, der sich von der "Mehrheitsgesellschaft" abgrenzt.

Vorträge waren gut besucht

Beide Vorträge waren mit jeweils rund 40 Teilnehmenden gut besucht. Die Fragen im Anschluss konzentrierten sich in Frankfurt vor allem auf das Thema AfD, in Augsburg auf den Islamismus. Angesprochen wurde die Strategie der AfD, beispielsweise Vereine zu unterwandern, um in diesen die Deutungshoheit zu erlangen. Kritisch wurde aus dem Publikum angemerkt, dass Rechtsradikalismus in den Medien breit dargestellt werde, während der Islamismus, zum Beispiel die Einflussnahme der Muslimbruderschaft, wie auch der Druck, der von rechtsextremen Gruppen wie den Grauen Wölfen ausgeübt werde, dagegen auf keinen Fall ausreichend thematisiert würde. Schnelle ergänzte dies damit, dass linke Politik sich lange Zeit ein Mäntelchen der Diversität umgehängt habe: Mit gemeinsamen Fotos und Besuchen in Moscheevereinen, die schon lange als islamistisch kritisiert wurden, habe man Weltoffenheit in Kontrast zu den "Rassisten" der CDU demonstrieren wollen. Kritik gab es auch an linken Gruppen, die sich für Universalismus einsetzen, diesen aber vergäßen, wenn es um gewisse Minderheiten ginge. Richtig laut wurde es aber, als die Linke (vor allem in Bezug auf den Iran) pauschal als Steigbügelhalter der Islamisten bezeichnet wurde.

Eine (ebenfalls promovierte) Islamwissenschaftlerin ergänzte, dass eine weitere, nicht unerhebliche Gemeinsamkeit der beiden Gruppen der von ihnen geteilte Sexismus sei. Schnelle stimmte dem Einwand zu und verwies auf einen der Hauptideologen des Islamismus, Sayyid Qutb. Dessen Ablehnung der Moderne basiert zu einem guten Teil auf dem von ihm als anstößig empfundenen Umgang der Geschlechter miteinander im Westen – wohlgemerkt zu einer Zeit, in der die Kirchen selbst noch deutlich für die Aufrechterhaltung des christlichen Patriarchalismus und eines Denkens in der Heilige/Hure-Dichotomie sorgten.

Insgesamt wurde klar: Es gibt kein Patentrezept, um dieser Bedrohung der Offenen Gesellschaft zu begegnen; die Kreativität der Gegner:innen der Religiösen Rechten ist also gefragt. Der Abend in Augsburg endete mit der Frage, wie es komme, dass sich ein promovierter Physiker dann doch noch mit einem solchen Unsinn wie Religion beziehungsweise Fundamentalismus beschäftige...

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1 Der traditionelle islamische Fundamentalismus hat seinen Ursprung bereits in der hanbalitischen Rechtsschule (9. Jh.).