Bizarre Reliquienverehrung

Verbrannte Gebeine im gläsernen Sarg

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Der gläserne Sarg mit den verbrannten Gebeinen von Sankt Benedetto Il Moro in der Kathedrale von Palermo
Der gläserne Sar

Knochen, Blutampullen, ja sogar die vorgebliche Vorhaut von Jesus Christus - die Verehrung von Reliquien insbesondere in der katholischen Kirche ist bekannt. Und doch ist es bizarr, mit einer solchen Reliquie in Kontakt zu kommen. In diesem Fall in der Kathedrale von Palermo, mit den verbrannten Gebeinen eines Heiligen. Was steckt hinter dieser makabren Form der Reliquienverehrung?

Wer in Siziliens pulsierender Hauptstadt Palermo die prächtige Kathedrale betritt, ein paar Schritte nach rechts tut, trifft schnell auf eine eingezäunte Kapelle. Hinter dem Zaun: ein gläserner Sarg. Darin verkohlte Knochen. So angeordnet, dass sie erkennbar einen Leib zeigen. Ein schlichtes Schild mit der Aufschrift "S. Benedetto Il Moro" sagt, wer da liegt. Der nach heutigen Maßstäben politisch unkorrekt "Benedikt der Mohr" genannte war ein äthiopisch-stämmiger Ordensmann, der 1589 verstarb. Erst viel später, im Jahr 1807, wurde er vom Papst heilig gesprochen. Da ließen sich denn auch leicht die für die Heiligsprechung erforderlichen Wunder behaupten. Bei Benedikt soll es das ganze Programm gewesen sein: Krankenheilung, Visionen und auch die Fähigkeit zur Bilokation: er konnte gleichzeitig an zwei Orten sein. Ungewöhnlich auch seine Historie nach dem Tod. Der Leichnam wollte einfach nicht verwesen. Jedoch: Seine vorletzte Ruhestätte in einem Kloster bei Palermo wurde 2023 von einem Feuer heimgesucht. Einige der verkohlten Gebeine wurden gerettet. Und liegen nun in besagtem gläsernen Sarg. Schneewittchen – die gruselige Version.

Aber warum? Was ist der Grund dafür, ein solches Ausstellungsstück den Kirchenbesuchern zu präsentieren? Reliquien sind in vielen Religionen von großer Bedeutung. Das "Ökumenische Heiligenlexikon" erklärt:

"Die Überreste, latein.: 'reliquiae', des verstorbenen Körpers oder auch der Kleidung und anderer Gegenstände eines Verstorbenen werden von Gläubigen verehrt, weil sie damit sein ehrendes Gedenken bewahren und zudem hoffen, an seinen Wirkkräften Anteil und seinen Segen zu erhalten. Unterschieden werden dabei Primärreliquien, das sind der verstorbene Körper oder Teile davon, und Sekundärreliquien, das sind Gegenstände, mit denen der Verehrte oder sein Leichnam Kontakt hatte."

Häufig geht es um Knochen der Heiligen, die alljährlich bei feierlichen Prozessionen durch die Stadt getragen werden. Wie die Gebeine des "Heiligen Liborius" durch das westfälische Paderborn. Es geht aber auch um andere Körperbestandteile wie insbesondere Blut. Ein besonderes Beispiel dafür ist das im Dom von Neapel in Fläschchen aufbewahrte Blut des "Heiligen Januarius". Dreimal im Jahr trägt der Erzbischof die Reliquie zu den Gebeinen des Märtyrers, dreht sie, wendet sie. Gespannt verfolgen die Gläubigen die Zeremonie: Wechselt die Farbe des Blutes von braun zu rubinrot und verflüssigt sich dieses, so gilt das als Zeichen, dass der nahe gelegene Vesuv ruhig bleibt. Auch der keine zehn Jahre nach seinem Tod im Jahr 2005 heilig gesprochene Papst Johannes Paul II. sorgt für reichlich Reliquien-Nachschub. Dank der bei seinen Krankenhausaufenthalten übrig gebliebenen Blutampullen.

Wandgemälde von Benedetto in der Altstadt von Palermo, Foto: © Peter Kurz
Wandgemälde von Benedetto in der Altstadt von Palermo, Foto: © Peter Kurz

Es geht freilich noch bizarrer. Im italienischen Calcata verehrten Gläubige über Jahrhunderte die heilige Vorhaut von der Beschneidung Jesu, die aber in den 1980er Jahren abhanden kam. Zu Christi Vorhaut hat das Sonntagsblatt eine ausführliche und lesenswerte Recherche veröffentlicht. Mit bizarren Geschichten: so habe die "Heilige Katharina von Siena" die Vorhaut Jesu als unsichtbaren Fingerring getragen, während sie sich Augenzeugen zufolge ekstatisch am Boden wälzte und die spirituellen Umarmungen Christi genoss. Und ein vatikanischer Gelehrter habe spekuliert, dass es sich bei den Ringen des Planeten Saturn um die Vorhaut des Herrn handle, die mit Jesus in den Himmel aufgefahren sei.

Auch Objekte, die in direktem Kontakt mit den Heiligen standen, wie Kleidungsstücke oder Alltagsgegenstände, gelten als Reliquien. Wie die Dornenkrone, die einst Jesus Christus getragen haben soll und die bei dem Feuer 2019 in der Kathedrale Notre-Dame vor den Flammen gerettet wurde. Oder das berühmte Turiner Grabtuch – ein Leinentuch, das Jesus nach seiner Kreuzigung umhüllt haben soll, und in das sich ein Abbild des Verstorbenen eingeprägt habe. Oder wurde das Bildnis nicht doch von Künstlerhand aufgetragen?

Der Vatikan hat den Umgang mit Reliquien detailliert geregelt. In einer entsprechenden Instruktion mit dem Titel "Die Reliquien in der Kirche: Echtheit und Aufbewahrung" heißt es: "Wenn die Heiligsprechung eines Seligen oder die Seligsprechung eines verehrungswürdigen Dieners Gottes unmittelbar bevorsteht … kann man im Kontext einer rechtmäßigen kanonischen Rekognoszierung entsprechend den Hinweisen des anatomischen Sachverständigen zur Entnahme einiger kleiner Teile oder bereits vom Körper abgelöster Fragmente übergehen … Nicht gestattet ist die Zerstückelung des Körpers, es sei denn, der Bischof habe die Zustimmung der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen für die Herstellung bedeutender Reliquien erhalten." Und mit Blick auf den einst blühenden Handel und betrügerische Geschäftemachereien mit Reliquien heißt es: "Absolut verboten sind der Handel und der Verkauf von Reliquien, ebenso ihre Ausstellung an profanen und nicht autorisierten Orten."

Kirchenkritiker Karlheinz Deschner hatte den Handel mit Reliquien, den die katholische Kirche so zu vermeiden sucht, einst auf die Schippe genommen. Mit Blick auf die wundersame Vermehrung der Reliquien im Mittelalter sagte er, dass es so viele Holzsplitter vom "wahren Kreuz" Christi gebe, dass man damit "einen Wald pflanzen" könnte.

Während Martin Luther die Reliquienverehrung ("Tot Ding") ablehnte, kennen andere Religionen wie insbesondere der Buddhismus (Buddhas Zahn) sie sehr wohl. Und auch die Säkularen sollten nicht allzu schnell die Nase rümpfen. So wird manch weltlichem "Heilsbringer" nicht die Ruhe der Gruft gegönnt. Man denke an die in Moskau und Peking zur Schau gestellten einbalsamierten Überreste von Lenin und Mao. In Deutschland treiben wir es mit der säkularen Reliquienverehrung nicht ganz so doll, aber immerhin wurde ein Kleidungsstück des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl im Haus der Geschichte in Bonn ausgestellt: die Strickjacke, die er 1990 bei einem Gespräch über eine deutsche Wiedervereinigung mit dem damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow getragen hatte. Oder die Turnschuhe, die Joschka Fischer trug, als er 1985 als hessischer Umweltminister vereidigt wurde.

Doch zurück zu Benedikt dem Mohr, der ja, bevor sein Leichnam im vergangenen Jahr Opfer der Flammen wurde, angeblich nicht verwesen wollte. Was seiner Aura bei den Gläubigen neben den bewirkten Wundern zuträglich gewesen sein dürfte. Das muss doch ein göttliches Zeichen gewesen sein. Oder lag es schlicht daran, dass im trockenen Klima Siziliens der Körper dehydriert war und Bakterien und andere Zersetzer nicht die notwendige Feuchtigkeit fanden? Und dann Menschen bei der Konservierung nachhalfen... Schließlich waren schon die alten Ägypter in Sachen Mumifizierung recht kundig. Wie dem auch sei: Es ist schon eine Ironie des Schicksals, dass eine nicht verweste Leiche Jahrhunderte später verbrennt. Und auch dann nicht in Frieden gelassen, sondern makaber zur Schau gestellt wird. Zum Zwecke der Ehrerbietung und Anbetung durch die Gläubigen. Und des voyeuristischen Schauders der Touristen.„“

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