Fleisch: Fakten und verhärtete Fronten

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Viele Menschen blenden die Konsequenzen ihres Fleischkonsums aus. Dabei wäre die selbstkritische Auseinandersetzung mit der Faktenlage bitter nötig. Doch auch kleine Veränderungen können nach Ansicht von hpd-Autor Constantin Huber viel bewirken und ein gelassenerer Umgang kann zum Abbau verhärteter Fronten beitragen.

Der Mensch ist, wie einige andere Menschenaffen auch, Omnivore, also ein Allesfresser. Dass sich diese Eigenschaft evolutionär als die für den Menschen optimale herausgestellt hat, sollte allerdings nicht überbewertet werden. Denn nur, weil wir sowohl tierische als auch pflanzliche Nahrungsmittel zu uns nehmen können, bedeutet das noch lange nicht, dass wir das auch tun müssten. Es sind prinzipiell Gründe denkbar, wegen derer wir bestimmte Produkte oder gar ganze Kategorien komplett von unserem Speiseplan streichen. Nur, wie sehen diese Gründe aus, wegen derer sich Menschen aktuell dazu entscheiden, auf Fleisch oder tierische Produkte generell zu verzichten? Sind sie mit einem wissenschaftlichen und ethisch zeitgemäßen Weltbild vereinbar? Ist eine Ernährungsumstellung vielleicht sogar geboten? Oder überwiegen doch eher die Gegenargumente?

Was ist was?

Veganismus = Verzicht auf alle Konsumgüter tierischen Ursprungs

Vegetarismus = Verzicht auf alle Konsumgüter, die aus toten Tieren bestehen

Flexitarismus = Seltener, bewusster Fleischkonsum neben hauptsächlich pflanzlichen Gütern

Omnivore = Nahrung besteht sowohl aus pflanzlichen als auch aus tierischen Gütern

Karnivore = Nahrung besteht gänzlich oder hauptsächlich aus Fleisch

Die fünf stärksten Argumente für eine Ernährungsumstellung sind:

1. Nahrungsmittelknappheit

Über 10 Prozent der Weltbevölkerung leidet an Hunger. Das hat zur Folge, dass täglich 24.000 Menschen am Hunger selbst oder seinen direkten Folgeschäden sterben, davon größtenteils Kinder, die das 5. Lebensjahr nicht erreichen. Die Hauptursache hierfür ist extreme Armut. Aber auch das Konsumverhalten spielt eine zunehmende Rolle. So landet mittlerweile weit über ein Drittel des weltweit angebauten Getreides in den Trögen der Masttiere. Nahrung, die also nicht mehr den Menschen zur Verfügung steht. Nach einer längeren Periode des Rückgangs von an Mangelernährung leidenden Menschen steigt die Zahl seit 2015 wieder. Die Verbindung zum Fleischkonsum ist dabei recht eindeutig:

Für die Herstellung von einem Kilogramm Fleisch werden im Schnitt zwei Kilogramm Getreide verfüttert und mehrere Hundert Liter Wasser verbraucht. Spitzenreiter ist das Rindfleisch mit rund 15.000 Liter benötigtem Wasser pro Kilogramm Fleisch. Vier Fünftel der landwirtschaftlich genutzten Flächen auf diesem Globus werden von der Tierhaltung und ihrer Ernährung beansprucht. Während Menschen in manchen Teilen der Erde sauberes Trinkwasser und grundlegende Nahrungsmittel dringend benötigen, müssen Masttiere in der Regel weder verdursten, noch verhungern.

Da auf der Erde Nahrungsmittel für bis zu 12 Milliarden Menschen hergestellt werden könnten, wir aktuell aber noch unter 8 Milliarden Menschen sind, müsste theoretisch kein Mensch verhungern. Da unsere Ressourcen, technischen Errungenschaften, Verarbeitungsbetriebe und kaufstarken Märkte jedoch nicht gleichmäßig verteilt sind, sieht die Realität deutlich anders aus. Insofern ist Nahrungsmittelknappheit vornehmlich ein politisches und wirtschaftliches Problem. Die globale Unterernährung wird jedoch durch einen unverhältnismäßig großen Fleischkonsum befördert, indem die Böden in ärmeren Ländern häufig zur Produktion von Getreide für europäische und amerikanische Mastbetriebe verwendet werden und dadurch nicht mehr genug für die einheimische Bevölkerung übrig bleibt.

2. Gesundheitsschädigung

Zu viel Fleisch ist ungesund. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, maximal 600 Gramm Fleisch pro Woche zu konsumieren. Im Durchschnitt essen die Deutschen jedoch mehr als das Doppelte der empfohlenen Höchstmenge. Das enthaltene Cholesterin begünstigt Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Purine erhöhen die Harnsäure im Blut, was zu Gicht führen kann. Der Verzehr von zu viel rotem Fleisch erhöht zudem das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Die übermäßige Aufnahme von Antibiotika und Hormonen kann dem Körper ebenfalls schaden.

Wir könnten uns mittlerweile ohne gesundheitliche Einschränkungen komplett fleischlos ernähren. In einer fiktiven, veganen Welt, würden jedes Jahr acht Millionen Menschen weniger an den Folgen ihrer Ernährung sterben. Fakt ist auch, dass unsere Vorfahren relativ selten Fleisch zu sich nahmen. Der damalige Konsum steht demnach in keinem Verhältnis zur heutigen Massenproduktion.

Bei einem zu hohen Fleischanteil auf dem persönlichen Speiseplan steigt die Wahrscheinlichkeit, dass zu wenig Obst und Gemüse gegessen wird, was wiederum dazu führt, dass zu wenig sekundäre Pflanzenstoffe, Vitamine oder Mineralien aufgenommen werden. Außerdem ist die Landwirtschaft, vor allem aufgrund der Massentierhaltung, für 45 Prozent des Feinstaubs verantwortlich. Diese Faktoren führen zu einer Schädigung der Gesundheit. Nicht nur der eigenen, sondern über die Luftverschmutzung auch die aller anderer Lebewesen.

3. Umweltverschmutzung

Ernährungsbedingte Emissionen, die etwa ein Viertel aller klimaschädigenden Substanzen ausmachen, könnten um bis zu 70 Prozent eingespart werden, wenn sich alle Menschen vegan ernähren würden. Eine reichlich utopische Vorstellung, doch sie verdeutlicht hervorragend das Ausmaß der Auswirkungen unserer gängigen Ernährungsweise.

Die Rodung von Flächen für die Massentierhaltung ist keine Seltenheit. Allein im Amazonasgebiet werden rund 80 Prozent der Fläche des vormaligen Regenwaldes für den Futtermittelanbau verwendet. Dadurch kann weniger CO2 gebunden und weniger Wasser gespeichert werden. Außerdem produzieren Tiere, insbesondere Rinder, durch Fermentationsprozesse in ihren Mägen Methan – eine chemische Verbindung, die 25 Mal klimaschädlicher ist als CO2. Beim Austragen von Gülle entsteht auf den Feldern Lachgas. Eine Verbindung, die sogar 300 Mal klimaschädlicher ist als CO2. Die Verarbeitung und der Transport von Tierleichen, nicht selten sogar um die halbe Welt, ist ebenfalls alles andere als ressourcensparend. Von der Kühlung und den Plastikverpackungen ganz zu schweigen.

Zu viel Nitrat im Grundwasser, Ammoniak in der Luft und Antibiotika in den Böden schaden uns allen. Außerdem führen sie zu erhöhten Kosten und erneutem Ressourcenaufwand (zum Beispiel beim Herausfiltern von Nitrat in Wasserwerken). Kommende Generationen werden mit den Folgen eines vom Menschen beschleunigten Klimawandels noch lange zu kämpfen haben.

4. Tierleid

Den Tieren in der Massentierhaltung geht es dreckig. Gesetzlich vorgegebene Mindeststandards werden häufig nicht eingehalten. Aber auch wenn diese eingehalten werden, dann werden noch immer unzählige Tiere gemästet und anschließend getötet, die ohne unseren übermäßigen Konsum weder geboren worden wären, noch hätten leiden müssen. Untersuchungen an Schweinen haben ergeben, dass diese intelligenter als Hunde sind und ein ausgeprägtes Langzeitgedächtnis haben.

Laut statistischem Bundesamt werden pro Jahr allein in Deutschland 5,45 Millionen Tonnen Schweine, 1,1 Millionen Tonnen Rinder und 600 Millionen Masthühner geschlachtet. Hinzu kommen ebenfalls meist im Millionenbereich: Enten, Puten, Gänse, Schafe, Ziegen, etc. Die meisten davon – und ja, auch jene mit Biosiegel – verharren ihr Leben lang in viel zu kleinen Käfigen, werden mit Antibiotika vollgepumpt, stehen den ganzen Tag in ihren Exkrementen oder den Leichen ihrer Leidensgenossen.

Paul McCartney sagte: "Wenn Schlachthäuser Glaswände hätten, würden alle Menschen vegetarisch leben." Ich denke zwar nicht, dass das in dieser pauschalen Form zutrifft, aber folgende Frage muss dennoch gestellt werden: Könnte jeder überzeugte Fleischesser die zum Verzehr auserkorenen Tiere selbst töten? Ich denke, dass die meisten Menschen damit ihre Schwierigkeiten hätten. Warum lassen wir es dann zu, dass andere diesen Job für uns übernehmen und verdrängen, dass wir die grauenvolle Aufgabe, Tiere vorsätzlich zu töten, schlicht ausgelagert haben?

5. Ethische Verantwortung

Wenn wir die Welt für unsere Nachkommen zu einem lebenswerteren Ort machen wollen, spricht wenig dafür, an der Artgrenze haltzumachen. Warum sollen sich lediglich die Lebensbedingungen von Trockennasenaffen wie dem Menschen verbessern, nicht aber jene von anderen Tieren? Während wir bereit sind, uns enthusiastisch um das Wohl unserer Haustiere zu kümmern und im Zweifelsfall sogar teure Operationen für unsere meist vierbeinigen Gefährten zu zahlen, werden andere Tiere bewusst gefoltert und anschließend getötet. Eine rationale Rechtfertigung gibt es für dieses ambivalente Verhalten nicht. Die gerne angeführte Überzeugung, dass der Mensch anderen Arten überlegen ist und es deshalb völlig legitim sei, diese zum eigenen Vergnügen auszubeuten, nennt sich Speziesismus und ist ethisch höchst fragwürdig. Die Parallelen zum Rassismus oder anderen chauvinistischen Denkarten können bei einem solchen Erklärungsversuch kaum von der Hand gewiesen werden. Müssten wir uns nicht viel eher die Frage stellen, ob Tiere ebenso wie der Mensch ein Recht auf möglichst leidfreies Leben haben?

Die häufig religiös begründete "Krone der Schöpfung" ist jedenfalls ein Auslaufmodell, das sich wissenschaftlich nicht aufrechterhalten lässt. Zudem sollten wir als vernunftbegabte Wesen durchaus eine gewisse Vorbildfunktion wahrnehmen. Dazu gehört auch, kritisch zu reflektieren, ob empfindungsfähige Lebewesen getötet werden sollten, nur weil der Geschmack als (bislang noch) einzigartig köstlich wahrgenommen wird. Einem Entfremdungsprozess, der uns blind für real existierendes Leid macht, sollte eher mit Einsicht und Aufklärung denn mit einem Achselzucken nach gescheiterten Rechtfertigungsversuchen begegnet werden.

Fazit

Fest steht, dass sowohl Flexi- als auch Vegetari- und Veganismus dazu beitragen können, die globale Unterernährung zu bekämpfen. Auch die anderen genannten Gründe legen nahe, dass ein bewusster(er) Fleischkonsum ratsam ist.

Es kann dabei aber nicht um einen "radikalen Wandel" oder eine "Umpolung" gehen, wie der ein oder andere Kritiker einer veganen Lebensweise gerne behauptet. Sinnvoll ist eine Veränderung des ernährungstechnischen Konsums nur dann, wenn sie aus eigener und freier Entscheidung herrührt. Dass Menschen, die aus Überzeugung bei jeder Mahlzeit auch Fleisch zu sich nehmen, nicht vom Veganismus überzeugt werden können, sollte ohnehin klar sein. Da muss sich auch der ein oder andere Veganer nichts vormachen. Was aber möglich ist, ist eine minimale Veränderung, die auch bereits sehr positive Effekte zur Folge hätte. Statt sieben Tage pro Woche Fleisch zu essen, könnten – sofern dies für sinnvoll erachtet wird – lediglich sechs Mal pro Woche tierische Produkte auf dem Teller landen – und so weiter. Ganz im Sinne von ultra posse nemo obligatur: niemand ist verpflichtet, mehr zu leisten, als er oder sie kann.

Der bewusste Konsum ist prinzipiell unterstützenswert, solange keine esoterische Quacksalberei mit hineingerührt wird. Diese schwarzen Schafe gibt es nämlich durchaus – und deren nachweislich falsche Ansichten sollten benannt und argumentativ angegangen werden.

Mit etwas mehr Forschung und der entsprechenden Nachfrage werden bald wohl auch Fleischprodukte käuflich sein, für die kein Tier getötet werden musste, für die keine Unmengen an Antibiotika eingesetzt werden mussten und die sowohl im Geschmack als auch in puncto Konsistenz dem bisherigen Fleisch in nichts nachstehen: das sogenannte In-vitro-Fleisch. Bis dahin kann jedoch noch einiges getan werden.

Abschließend festzuhalten ist nämlich, dass verhärtete Fronten niemandem nutzen. Einige Veganer und Vegetarier sollten lernen, dass es Menschen gibt, die eben nicht auf rationale Argumente hören können oder wollen. Und das ist deren gutes Recht. So stupide das auch erscheinen mag. Und einige dezidiert Omnivore sollten lernen, dass es den meisten Veganern und Vegetariern nicht darum geht, andere zu bevormunden, sondern reales Leid auf diesem Globus zu minimieren und selbigen auch für künftige Generationen noch bewohnbar zu halten.