Unausgewogene Expertenanhörung

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Reichstagsgebäude, Foto: F. Nicolai

BERLIN. (hpd) Am 26.11.2012 tagte der Rechtsausschuss des Bundestags mit einer Expertenanhörung zum Thema Beschneidung von Jungen. Geladen waren neun Beschneidungsbefürworter und zwei Gegner.

Änderungsanträge von SPD und Grünen

Bekannt wurde, dass es zwei Änderungsanträge zum Gesetzentwurf der Bundesregierung gibt:

MdB Burkhard Lischka (SPD) u.a. fordern einen Zusatz zum § 1631 d
„(3) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere hinsichtlich 

  1. der Ausbildungsvoraussetzungen und Befähigungsnachweis der nichtärztlichen Beschneider,
  2. der Anforderungen und Modalitäten des Eingriffs, insbesondere der Schmerzbehandlung,
  3. der Anforderungen und Modalitäten zur Feststellung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit einer nicht medizinisch indizierten Beschneidung für das minderjährige männliche Kind sowie
  4. der Anforderungen an die Ermittlung und Feststellung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des minderjährigen männlichen Kindes bei erkennbarer Abwehrreaktion gegen eine Beschneidung zu regeln.“

Diese Regelungen sollen vom Justizministerium in Einvernehmen mit dem Gesundheitsministerium innerhalb von fünf Jahren ausgearbeitet und bewertet werden. Gleichzeitig soll eine Überprüfung mit Hilfe von Experten aus Wissenschaft und Praxis stattfinden.

Begründet wird der Antrag mit schwammigen Formulierungen im Gesetzentwurf der Regierung, die „Raum für Zweifel“ ließen und somit der Absicht, Rechtssicherheit zu schaffen, zuwiderliefen.

Außerdem schreiben die Antragsteller in ihrer Begründung, dass die Aufklärung über den Eingriff nur von einem approbierten Arzt vorgenommen werden kann. Das sei juristischer Standard in Deutschland und besonders notwendig im Hinblick darauf, dass bei fehlender medizinischer Indikation die Anforderungen an die Risikoaufklärung erhöht seien.

Gefordert werden Standards für die dem Gesundheitsministerium übertragenen Bereiche. Z.B. soll das riskante Ritual Metzitzah B’peh (Absaugen des Blutes vom Penis des Kinds mit dem Mund) unterbleiben. Die Schmerzbehandlung soll dem wissenschaftlichen Stand der Schmerzforschung angepasst werden und altersgerecht erfolgen. Hingewiesen wird auch auf die unzulänglichen Untersuchungen bei Neugeborenen zur Unbedenklichkeit. Zur Risikominderung (z.B. Feststellung einer Bluterkrankheit oder eines Antikörpermangelsyndroms) soll die ärztliche Standarduntersuchung U2 angepasst werden.

Das Vetorecht des Knaben, das im bisherigen Gesetzesentwurf nur „im Einzelfall“ zum Tragen kommt, ist nach dem Willen der Antragsteller festzuschreiben. Da erstmals ein Gesetz zu dieser Thematik erlassen werde, sei es sinnvoll, das Gesetz beizeiten auf seine Praxisfähigkeit zu überprüfen.

Mit diesen Änderungen würden dann auch die Forderungen des Ethikrats nach ausreichender Schmerzbehandlung und Berücksichtigung des Vetorechts eine Chance auf Umsetzung haben.

Der Änderungsantrag der Grünen von Jerzy Montag findet offensichtlich auch Anklang bei der Union und sieht folgende Änderung vor:

Eingefügt werden soll im § 1631 d im 1. Absatz:
„Dies gilt nicht, wenn das Kind einen entgegen stehenden Willen zum Ausdruck bringt oder durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird“.

Begründet wird diese Ergänzung genau wie im Antrag der SPD (siehe Anlagen). Der Antrag möchte außerdem die Frist, in der nichtmedizinische Beschneider Jungen beschneiden dürfen, von sechs Monaten auf 14 Tage verkürzen.

Die Zeitspanne sechs Monate wird im Regierungsentwurf nicht begründet. Da Mohalim nicht betäuben dürfen, würden auch alle Jungen, die zwischen 14 Tagen und sechs Monaten beschnitten werden, ohne Narkose operiert. Offensichtlich geht es hier aber auch um die Tatsache, dass ab einem Alter von 14 Tagen die Regeln der ärztlichen Kunst eine angemessene Anästhesie (also auch ggf. eine Vollnarkose) vorschreiben. Die rechtliche Grauzone, in der sich Mohalim also zwischen dem Zeitraum von 14 Tagen und sechs Monaten befänden, würde damit erhellt. Das jüdische Ritual am 8. Tag wäre dennoch nicht gefährdet. 

Stellungnahmen der Experten

Wenig Neues war von den Experten zu hören. Die Beschneidungsbefürworter betonten das Elternrecht und die Tradition, bagatellisierten die Folgen und sprachen sich einhellig für den Gesetzentwurf der Bundesregierung aus. Immer wieder wurde betont, dass das Kindeswohl nicht gefährdet sei.

Die Gegner der Legalisierung von Knabenbeschneidung (2 von 11 Experten) wiesen erneut auf die gesundheitlichen Risiken und die juristische und rechtsphilosophische Problematik hin. Der Präsident des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Wolfram Hartmann, votierte für den alternativen Gesetzentwurf (Beschneidung ab 14 Jahren), während Strafrechtsprofessor Dr. Reinhard Merkel in Anbetracht der wahrscheinlichen Mehrheit im Bundestag für den Regierungsentwurf die Änderungsanträge der Grünen und der SPD unterstützte.

Das Vetorecht des Jungen war nun auch das interessanteste Thema der Anhörung. Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Grünen fragte wiederholt bei den Experten nach, wie das Vetorecht bzw. der „entgegenstehende Wille“ denn berücksichtigt werden könnte. Strafrechtler Prof. Dr. Henning Radtke argumentierte rechtsdogmatisch, dass ein Kind, dessen Interessen treuhänderisch von seinen Eltern wahrgenommen werden, entweder einwilligungsfähig sei oder eben nicht und dass es nichts dazwischen gäbe.

Demgegenüber betonte Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden treuherzig, dass ein Junge nicht beschnitten würde, der sich vehement wehrt. Doch wie soll das sichergestellt werden, wenn es nicht im Gesetz festgeschrieben ist? Nicht verwunderlich ist, dass Kramer eine Fristverkürzung von sechs Monaten auf 14 Tage ablehnt, da die Beschneidung die z.B. aufgrund einer Gelbsucht verschoben werden muss, dann nicht mehr von einem Mohel vorgenommen werden kann. Selbstredend lehnte er die Änderungsantrage ab.

Eine Stecknadel hätte man fallen hören, als Prof. Dr. Merkel ausführte, dass man einer fiktiven christlich-fundamentalistischen Sekte, die ihre Kinder am Karfreitag mit einer Peitsche auf den Rücken blutig geißelt, dieses Ritual sofort verbieten würde. Auch würde Piercing bei Kindern sofort verboten, sobald auch nur einmal - im unwahrscheinlichen Fall – ein Kind dadurch zu Tode gekommen wäre. Bei der Knabenbeschneidung sei das nicht der Fall, da nähme man es in Kauf.

Weiterhin ungeklärt blieb das Thema der Schmerzverhinderung bzw. Schmerzlinderung. Die Wirksamkeit der landläufig bei Knabenbeschneidungen angewandten Emla-Salbe wurde von Gegnern der Knabenbeschneidung massiv bezweifelt, während Befürworter sie für ausreichend hielten und subtil vermittelten, dass die Salbe eben dann nicht richtig angewendet würde.

Erwähnenswert ist die Tatsache, dass die Urologin Dr. Antje Deusel, die gleichzeitig auch Rabbinerin und Beschneiderin ist, an dieser Expertenrunde teilnahm. Jedoch argumentierte sie ausschließlich aus religiöser Sicht. Kern des Rituals, so Dr. Deusel, sei das Beschnittensein und nicht die Beschneidung. Neben solch gedanklicher Verschwurbelung konnte sie es nicht lassen, die jüdischen Eltern, die ihre Jungen nicht beschneiden lassen, als unverantwortlich abzustempeln, weil das dann auch die Eltern seien, die sich weigerten, ihre Kinder impfen zu lassen.

Schmerzlich verzichten mussten die Kinderschützer, die zahlreich auf der Zuschauertribüne anwesend waren, auf Koryphäen wie den Münchner Kinderchirurgen Prof. Dr. Maximilian Stehr, der sicherlich einige medizinische Details hätte klären können.

Unbeantwortet blieb die Frage von Abgeordneten, wie die Religionsgemeinschaften vorgehen, wenn bei den Eltern keine Einigung über die Frage der Beschneidung besteht oder wie diese Frage bei interkonfessionellen Ehen zu lösen sei.

Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die unentschiedenen Bundestagsabgeordneten am Ende der Anhörung noch unentschiedener waren als zuvor. Ob sich das letztendlich positiv oder negativ für die noch unversehrten jüdischen und muslimischen Jungen auswirkt, sei dahingestellt.
 

Katharina Micada