Gastbeitrag

Fünf Lügen, die sie uns über Paris erzählen

04_gedenken_anschlaege_paris.jpg

Blumen und Kerzen vor der französischen Botschaft
Blumen und Kerzen vor der französischen Botschaft

BERLIN. (hpd) Alan Posener widerlegt fünf Lügen, die im Zusammenhang seit den Terroranschlägen von Paris immer wieder in Medien und sozialen Netzwerken auftauchen.

Jetzt, da jeder und sein Hund sich in Sachen Paris zu Wort gemeldet haben, mit und ohne Smileys, möchte ich fünf Lügen auflisten, die ich in der Debatte immer wieder gehört haben, was sie nicht besser macht.

Erste Lüge: Der Terror ist auch Ergebnis der Ausgrenzung und Diskriminierung der Muslime in Frankreich.

Unsinn. Viele Minderheiten werden im Westen ausgegrenzt und diskriminiert. Das ist schlimm. Die Juden zum Beispiel wurden über Jahrhunderte in Europa verfolgt. Deshalb griffen sie aber nicht zum Terror. Die Schwarzen in den USA erlitten Jahrhunderte der Sklaverei, ein Apartheidregime in den Südstaaten, ständige Zurücksetzung bis heute. Dennoch griffen sie – von wenigen Ausnahmen in den 1970er Jahren abgesehen – nicht zum Terror.

Hispanics sind oft illegal in den USA und genießen keinen Schutz; und wenn sie Bürger sind, werden sie oft als Bürger zweiter Klasse behandelt. Es gibt keinen mexikanischen Terror. Vietnamesen, Chinesen, Inder und andere werden im Westen diskriminiert. Sie reagieren nicht mit Terror, sondern mit doppelter Arbeit. Nur die Diskriminierung von Muslimen bringt – angeblich – den Terror hervor. Bestimmt nicht deshalb, weil Muslime besonders schlimm diskriminiert werden.

Zweite Lüge: Der Dschihadismus hat nichts mit dem Islam zu tun.

Diese Lüge wird wie eine Mantra heruntergebetet. Das macht sie nur schlimmer. Ganze Bibliotheken sind gefüllt mit Abhandlungen über den Zusammenhang zwischen christlichem Antijudaismus und mörderischem Antisemitismus, über den Zusammenhang zwischen christlichem Fundamentalismus und Hexenwahn, über die üblen Folgen des christlichen Paternalismus und christlicher Homophobie, über die Rechtfertigung von Kolonialismus, Sklaverei und Völkermord durch christliche Ideologen und Kirchen. Aber über den Zusammenhang von Islam und Terror soll man nicht reden? Das erinnert an die Kommunisten, die behaupteten, Stalin habe "nichts mit dem wahren Kommunismus" zu tun, die DDR-Führung sei ein Haufen von "Arbeiterverrätern" usw. usf. Selbstverständlich können die 99.9 Prozent gesetzestreue und moderate Muslime nichts für den Terror. Aber sie können aufhören, sich und anderen die Lüge zu erzählen, der Islam habe damit nichts zu tun. Das wäre der erste Schritt zu einer Reform, die diesen Namen verdient.

Dritte Lüge: Mit Krieg und kriegerischen Mitteln kann man dieses Problem nicht lösen.

Gern auch mit dem Einschub "allein", was die Lüge nicht besser macht. Tatsache ist: Man kann dieses Problem nicht ohne Krieg lösen. Man kann mit einem Krieg nämlich viele Terroristen töten, was eine gute Sache ist. Man kann mit einem Krieg dem Islamischen (ahem!) Staat sein Territorium nehmen, auf dem er unter anderem weitere Terroristen ausbildet, was eine gute Sache ist. Man kann den Terroristen zeigen, dass wir viel stärker sind als sie, was eine gute Sache ist und Möchtegern-Terroristen abschrecken dürfte, was auch eine gute Sache ist. Diese guten Sachen allein rechtfertigen den Krieg gegen den IS. Dass es daneben einen Krieg der Ideen geben muss, einen westlichen Dschihad zur Integration der Muslime und zum Wiederaufbau des Nahen und Mittleren Ostens – Gewiss doch. Aber ohne Krieg gegen die Terroristen ist Entwicklungshilfe nichts.

Vierte Lüge: Wir befinden uns im Notstand. Die Bürgerrechte müssen außer Kraft gesetzt werden.

Gefährlicher Unsinn. Die französischen – und belgischen – Sicherheitskräfte haben vor den Anschlägen total versagt. Fast sämtliche Terroristen waren den Behörden bekannt. Sie wurden nicht ausreichend überwacht. Der Drahtzieher des Angriffs konnte unbehelligt von Syrien nach Frankreich reisen. Waffen und Sprenggürtel konnten beschafft werden. Nach dem Angriff gab es weitere Pannen. Nun versuchen Präsident François Hollande und Innenminister Bernard Cazeneuve, die Hauptversager, versuchen nun, durch hektische Aktivität davon abzulenken. Es geht nicht um die Sicherheit, sondern um die Beschwichtigung des Front National vor den kommenden Wahlen. Die Rechung zahlen vor allem Frankreichs Muslime. Willkürliche Durchsuchungen, unbegründeter Hausarrest, Demonstrationsverbote und dergleichen mehr: Frankreich ist dabei, die Sympathien zu verspielen, die es in aller Welt nach den Pariser Anschlägen erfuhr, und die es braucht, wenn Europa den Bündnisfall ausrufen soll.

Fünfte Lüge: Jetzt sieht man, wie gefährlich offene Grenzen und Flüchtlingsströme sind.

Quark. Die Terroristen waren Einheimische. Vielleicht wurde der eine oder andere Flüchtling rekrutiert. Aber das Problem ist – siehe Punkt vier – die mangelnde Überprüfung der bekannten Gefährder, und nicht die mangelnde Kontrolle der Flüchtlinge, die vor dem mörderischen Wüten des IS und vor dem Schlächter Assad fliehen. Im Gegenteil: diese Flüchtlinge könnten unsere größte Ressource sein, um hiesige Sympathisanten des Terrors aufzuspüren und um potenzielle Sympathisanten vom Schritt hin zum Dschihadismus abzuhalten, wenn wir sie nur als Ressource und nicht als Problem behandeln würden. Die Führung der AfD weiß das alles ganz genau, wie ich im privaten Gespräch feststellen konnte. Aber sie kann der Versuchung nicht widerstehen, mit dem Blut der Pariser Opfer ihr eigenes widerliches Süppchen zu kochen.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors.