„Rassisten in Deutschland“ – missglückt

(hpd) Der Historiker und Publizist Harry Waibel will in seinem Buch die Entwicklung von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in der alten Bundesrepublik, der DDR und dem wiedervereinigten Deutschland darstellen. So interessant einzelne Beschreibungen sind, enttäuscht das Buch doch durch die fehlende Kenntnis der Forschung und die eher oberflächlichen Darstellungen.

Agitation und Gewaltakte gegen Angehörige ethnischer Minderheiten prägen die gesellschaftliche Realität in Deutschland nicht erst seit der Wiedervereinigung, obwohl Anfang der 1990er Jahre einschlägige Taten binnen kurzer Zeit einen in Qualität und Quantität erschreckend hohes Ausmaß annahmen. Bereits in der „alten Bundesrepublik“ kam es zu derartigen Ausschreitungen bis hin zur Tötung von Menschen. Ähnlich verhielt es sich in der damaligen DDR, worüber aber offiziell im „antifaschistischen Staat“ geschwiegen werden musste.

Wie nun die Ereignisse ab 1990 mit den vorherigen Entwicklungen in den früheren Teilstaaten des heutigen vereinten Deutschlands zusammenhängen, ist von daher eine beachtenswerte und erkenntnisförderliche Fragestellung. Ihr will der Historiker und Publizist Harry Waibel in seinem Buch „Rassisten in Deutschland“ nachgehen. Darin arbeitet er mit dem Rassismusbegriff als Bezeichnung für die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer biologisch bedingten angeblichen Minderwertigkeit.

Das Buch gliedert sich in drei große Kapitel: Zunächst geht es um „Rassisten in der BRD (1949 bis 1990)“, wobei Parteien und Neonazi-Gruppen, Skinheads und Hooligans, aber auch der „gesellschaftliche Rassismus“ und der „anti-semitische Anti-Zionismus bei deutschen Linken“ im Zentrum stehen. Danach behandelt der Autor „Rassisten in der DDR (1949 bis 1990)“, bezogen auf die Feindschaft gegenüber den Polen oder den „Vertragsarbeitern“, aber auch hinsichtlich einzelner Fälle fremdenfeindlicher Tötungen und den „anti-semitischen Anti-Zionismus“ nach Innen und Außen. Im dritten Teil über die „Rassisten in Deutschland (ab 1990)“ bildet die Darstellung und Kommentierung von fremdenfeindlichen Gewaltakten, aber auch von Skandalen wie der Walser-Debatte den thematischen Schwerpunkt. „Die Summe aller Beispiele belegt“, so Waibel, „dass der ‚Rechtsextremismus’ ... keine Gefahr mehr darstellt, die sich allein am rechten Rand der Gesellschaft entwickelt – diese Gefahr kommt jetzt aus der Mitte der etablierten, bürgerlichen Gesellschaft ...“ (S. 225).

Der Ansatz, die Entwicklung von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus nach 1990 im Lichte der Geschichte der Bundesrepublik und der DDR in diesem Themenfeld anzugehen, ist sicherlich erkenntnisfördernd. Waibel liefert auch für die einschlägigen Geschehnisse in der früheren DDR aus Archivfunden einige Beispiele, welche bislang in der Literatur noch keine größere Aufmerksamkeit gefunden haben. Im Anhang findet man auch eine einschlägige Chronologie der gemeinten Ereignisse. Darüber hinaus enttäuscht der Band aber.

Bereits auf den ersten Seiten merkt man, dass der Autor mit der wissenschaftlichen Diskussion und Forschung zum Thema nicht vertraut ist. Er will sich am „Standardwerk von R. Opitz“ (S. 8) orientiert: Nur ist das gemeinte Buch kein Standardwerk, stammt es doch von einem bundesdeutschen Anhänger der DDR-Faschismustheorie. Waibel will sich auch gegen die „Totalitarismusforschung“ wenden, welche „die Gleichsetzung von extremen linken mit extremen rechten Auffassungen zur Voraussetzung hat“ (S. 7). Das ist schlicht falsch!

Das Kapitel über die „Rassisten in der BRD“ basiert meist aus einer oberflächlichen Kenntnis der Sekundärliteratur zum Thema. Der genauere Blick macht darüber hinaus auch immer wieder deutlich, dass Waibel sich selbst im Thema nicht so gut auskennt. Da gibt es dann Fehler und Ungenauigkeit in Darstellung und Zuordnung. Gleich zu Beginn spricht der Autor etwa von der „Organisation ehemaliger SS-Angehöriger“ (vgl. S. 24), die nach der neueren Forschung eher eine Legende denn historische Realität darstellt. Oder Waibel erwähnt die „neo-nazistischen ‚Deutschen Staatsbriefe’“ (S. 187). Zwar ist die gemeinte Zeitschrift eindeutig rechtsextremistisch, aber nicht ideologisch neonazistisch. Außerdem lautet der Titel nur „Staatsbriefe“ und nicht „Deutsche Staatsbriefe“. Hat man eine solche Publikation mal selbst in der Hand gehabt, dann fällt so etwas formal wie inhaltlich auf. Bei alldem handelt es sich nicht um Einzelfälle. Insofern entwerten solche Defizite auch die rein beschreibenden Teile. Daher wurde auch ein wichtiges Thema verschenkt.

Armin Pfahl-Traughber

Harry Waibel, Rassisten in Deutschland, Frankfurt/M. 2012 (Peter Lang-Verlag), 447 S., 59,95 €.